Gevelsberg. Der AWo-Ortsverband Gevelsberg ist 100 Jahre alt geworden. Darum wurde er damals gegründet und darum ist seine Arbeit heute so noch wichtig.
Ein paar Wochen ist er nun her, der 100. Geburtstag – jetzt hat der AWo-Ortsverband Gevelsberg dazu auch seine Festschrift vorgestellt. Darin blickt er auf seine Gründung am 21. November 1921 zurück und lässt die bewegte Geschichte der Arbeiterwohlfahrt in der Stadt Revue passieren. Ein knapp 60 Seiten starkes Werk, das geschichtsinteressierten Leserinnen und Lesern viel Stoff bietet. Das gleichzeitig aber auch zeigt, wie notwendig die Arbeit des Ortsverbands schon immer war.
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Dass sie es auch noch heute ist, wissen die Vorsitzende Martina Drucks und Schriftführer Gerhard Lützenbürger nur zu gut. Nachdem Lützenbürger in intensiver und mühevoller Recherche die Gevelsberger AWo-Historie aufgearbeitet hat, präsentierten sie das Ergebnis gemeinsam am Mittwoch.
Frau übernimmt ersten Vorsitz
Die Gründung der AWo in Gevelsberg fand damals im Restaurant „Germania“ in der Hagener Straße 51 statt. Die „Arbeiter Wohlfahrt“ war zwei Jahre vorher in Berlin als Abteilung der SPD von Marie Juchacz ins Leben gerufen worden. Erste Vorsitzende war Maria Schmidt, mit Frau Höppner eine der beiden ersten Frauen im Gevelsberger Stadtrat. Maria Schmidt engagierte sich im Wohlfahrtsausschuss und im Kuratorium der Höheren Töchterschule in der Goethestraße 22. Hier nutzt sie die Einrichtung um Bedürftigen Kleidung und Wäsche zu schneidern oder zu ändern.
Die Situation in Gevelsberg ist in der Festschrift wie folgt dargestellt: „Gevelsberg ist im Herbst 1921 eine Stadt noch ohne die Ortsteile Silschede, Asbeck und Berge, die damals selbstständige Gemeinden waren. Mit seinen circa 20.500 Einwohnern bildet die Stadt ein Zentrum für die Kleineisenindustrie, den Handel und das Dienstleistungsgewerbe. Hier werden in Schmieden und Hämmern Schlösser und Schlüssel, Sensen, Sicheln, Spaten und andere Eisenprodukte erzeugt.
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Die meisten der Kleinbetriebe sind an der Ennepe oder an den Bächen der Stadt angesiedelt, dort steht ihnen die Wasserkraft zur Verfügung. Arbeiter verdienen dort ihr tägliches Brot, der relative Reichtum zeigt sich in der Mittelstraße mit ihren Einkaufsmöglichkeiten, den Bürgerhäusern und Villen um den Stadtkern herum. In der Stadt sind eine Reihe von Hotels angesiedelt, an jeder Ecke gibt es Gaststätten.“
Durch die Nazis verboten
Maria Schmidt bleibt nicht lange Vorsitzende, bereits 1925 übernimmt Elfriede Hetzler ihr Amt bis zum Verbot durch die Nationalsozialisten im Sommer 1933. Nach zwölf Jahren, im August 1945, wird die AWo Gevelsberg gemeinsam mit der SPD wiedergegründet, Vorsitzende wird erneut Elfriede Hetzler. sozialpolitisch wird sie im EN-Kreistag aktiv.
1952 beginnt sie gegen alle Widerstände mit der Werbung für ein Altenwohnheim, zwei Jahre später hat sie die Politik überzeugt und 1957 wird das „Altenwohnheim“ an der Kampstraße in Betrieb genommen. 2019, im 100. Jahr der AWo bundesweit, wird sie durch die Namensgebung „Elfriede-Hetzler Seniorenzentrum“ besonders geehrt. „Elfriede Hetzler wollte damals kleine bezahlbare Wohnungen schaffen, daraus ist später das heutige Seniorenzentrum entstanden“, erklärt Gerhard Lützenbürger dazu.
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Elfriede Hetzler gibt nach 25 Jahren ihr Amt 1971 an Erna Münter ab, die es zehn Jahre führt. Ihr folgt 1971 für ganze 37 Jahre Hildegard Melcher als Vorsitzende. Bereits in den ersten beiden Jahren ihrer Amtszeit sorgt Melcher für den ersten Kindergarten der AWo in Gevelsberg in der Schule Asbeck.
Arbeit immer professioneller
Bei der Erweiterung des Altenwohnheims 1977 um einen Pflegebereich im Flügel an der Südstraße erhält der AWo-Ortsverein eigene Räume für eine Begegnungsstätte. Von da an wird die AWo in Gevelsberg immer stärker professionalisiert, erweitert ihre Aufgaben. „Es gab immer mehr AWo-Einrichtungen“, sagt Lützenbürger. 1982 nimmt die Verwaltung für den neu gebildeten Kreisverband AWo Ennepe-Ruhr ihren Sitz im alten Realgymnasium in der Neustraße.
2008 wird Hildegard Melcher nach ihrem Rückzug vom Vorstand zur Ehrenvorsitzenden ernannt. Im Amt folgt ihr Irmtraud Hirte, die es 2015 aus beruflichen Gründen an die heutige Vorsitzende Martina Drucks weitergibt. Sie brachte neue Ideen in den Ortsverein und sorgte unter anderem dafür, dass zum 1. Januar 2018 die etwa 50 Mitglieder des AWo-Ortsvereins Silschede im Gevelsberger Ortsverein eine neue Heimat fanden.
Heute, im 100. Jahr seines Bestehens, hat der Ortsverein etwa 360 ehrenamtliche Mitglieder, mehr als ein Prozent der Gevelsberger Einwohnerinnen und Einwohner. Der Ortsverein ist vielseitig aktiv, ob das die Mitarbeit in städtischen Organen oder die Unterstützung der mehr als 30 Gevelsberger AWo-Einrichtungen und Dienste ist. „Die eigentliche soziale Arbeit haben wir ins Hauptamt ausgegliedert, um die Ehrenamtlichen aus der Verantwortung zu nehmen“, sagt Gerhard Lützenbürger.
Kernaufgabe seit 100 Jahren gleich
Die Kernaufgabe der AWo sei immer gewesen, Menschen zu helfen. Und zwar so, dass sie sich anschließend auch selbst helfen könnten. „Wir wollten immer etwas anstoßen und das dann von der Gesellschaft übernehmen lassen“, sagt Lützenbürger. „Die Aufgaben, die wir heute übernehmen, sind überwiegend staatliche Aufgaben.“
Einsamkeit durch Corona aktuelles Thema
Ganz aktuell bestimmt natürlich auch die Pandemie die Arbeit des Ortsverbands. „Einsamkeit ist ein großes Thema“, sagt Vorsitzende Martina Drucks. „Durch Corona sind Treffen nicht mehr so möglich.“ Etwas, dem die AWo durch digitale und hybride Angebote – beispielsweise beim Bingo oder im Seniorensport – versucht, gerecht zu werden. „Da kommen wir auch zum zweiten Thema“, ergänzt Gerhard Lützenbürger. „Wir gucken jetzt, wer zu arm ist, um an diesen digitalen Angeboten teilzunehmen, weil er sich zum Beispiel die Geräte dafür nicht leisten kann.“ Die Recherchearbeit für die historische Festschrift zum 100. Geburtstag des Gevelsberger Ortsverbands hat Lützenbürger übernommen. 2018 hat er damit angefangen und seitdem mehrere hundert Stunden Arbeit dafür investiert. Mit Hilfe regionaler Zeitungen, Recherchen im Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung, des Hagener, des Schwelmer sowie des Gevelsberger Stadtarchivs und mit Hilfe seines Leiters Detlef Raufelder, vielen Unterlagen des verstorbenen Lokalchronisten Fritz Sauer und unter Rückgriff auf Dossiers vom ehemaligen Betriebsleiter der AWo Ennepe-Ruhr, Rolf Kappel, konnte die Geschichte der AWo Gevelsberg nachvollzogen und aufbereitet werden.
An der Aufgabe selbst hat sich über die 100 Jahre wenig geändert, wie er und auch die Vorsitzende Martina Drucks betonen. Außer, dass es immer professioneller geworden sei. „Wir legen den Finger aber auch da in die Wunde, wo der Staat noch etwas machen könnte“, so Gerhard Lützenbürger weiter. „Deswegen sind wir auch in den Gevelsberger Ausschüssen wie dem Sozialausschuss tätig.“