Gevelsberg. Das Opfer einer Messerattacke in Gevelsberg spricht nun über die Tat. Es berichtet von familiären Problemen des Angeklagten, Gewalt und Alkohol.

„Wo waren Sie beim letzten Mal?“, fragt die Vorsitzende Richterin Heike Hartmann-Garschagen direkt zu Beginn den wichtigsten Zeugen des Verhandlungstages am Mittwoch – das Opfer der Messerattacke, die sich in der Nacht auf Montag, 5. Juli 2021, in der Flüchtlingsunterkunft An der Drehbank in Gevelsberg zugetragen hat. „Entschuldigen Sie, ich verstehe kein Deutsch“, antwortet der 39-Jährige Türke. Per Dolmetscher lässt er schließlich erklären: „Ich hatte Angst und war nicht in Hagen.“

Angst hatte er davor, abgeschoben zu werden, wenn er zur Gerichtsverhandlung kommt. So hatte er es bereits am vergangenen Prozesstag ausrichten lassen. Ein Termin dafür hatte wohl schon festgestanden, das Ausländeramt teilte dem Gericht aber mit, dass es an der Verlängerung der Duldung arbeite. „Sie hatten Glück, dass Sie die Ladung nicht ordnungsgemäß erreicht hat, sonst wäre es gefährlich gewesen, nicht herzukommen“, macht Hartmann-Garschagen ihrem Ärger darüber Luft. Danach bittet sie ihn, den Vorfall vom 5. Juli aus seiner eigenen Sicht zu schildern.

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„Ich habe damals gearbeitet und bin gegen 5 oder 6 Uhr nachmittags nach Hause gekommen“, fängt der Geschädigte an, zu erzählen. Verteidiger Christoph Wortmann wird den Gevelsberger später fragen, als was er denn gearbeitet habe, dass er dies an einem Sonntag getan habe. „Auf dem Bau, aber das war doch an einem Samstag“, antwortet der 39-Jährige darauf und meint den Tag der Tat. „Nein, das war ein Sonntag“, ist sich auch die Richterin sicher. Es soll nicht die einzige Ungereimtheit in der Aussage bleiben.

Aus Angst bei Opfer übernachtet

Daraufhin habe ihn die Noch-Ehefrau des Angeklagten angerufen, fährt der Zeuge fort. „Sie sagte, sie habe sich von ihrem Mann getrennt, und mitgeteilt, dass sie Angst vor ihm hätte und er hinter ihr her wäre“, so der Gevelsberger. „Wir haben uns dann in einer Parkanlage getroffen, mit ihren zwei Kindern und Nachbarn.“

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Als die Kinder müde und hungrig geworden seien, habe sich die Gruppe (die Frau, er selbst, eine Freundin und ein Verwandter von ihm) mit den beiden Kindern auf den Weg zu ihm nach Hause, in die Unterkunft An der Drehbank, gemacht. „Sie hatte Angst, mit den Kindern nach Hause zu gehen“, so der Zeuge weiter. Sie hätten den Kindern etwas zu essen gemacht, sie ins Bett gelegt, daraufhin seien sie eingeschlafen.

Eigentlich habe er die Frau dann überreden wollen, nach Hause zu gehen, da sein Verwandter bei ihm haben übernachten sollen. Letztlich seien aber nur die Noch-Ehefrau des Angeklagten und die beiden Kinder bei ihm geblieben.

Psychische Probleme seit der Tat

„Die Kinder haben geschlafen, und als wir gerade schlafen wollten, wurde bei uns einmal an der Tür geklopft“, berichtet der Zeuge weiter. Der Angeklagte sei hereingekommen und habe ihm ohne Ankündigung einen Faustschlag gegeben. Den restlichen Tathergang schildert er im Wesentlichen so, wie es im bisherigen Verlauf des Prozesses durch die Aussagen mehrerer Polizistinnen und Polizisten, die die Beteiligten unmittelbar nach der Tat befragt hatten, auch wiedergegeben wurde.

Ärzte und Nachbar befragt

Im zweiten Teil des Verhandlungstages hörte das Gericht Ärztinnen und Ärzte an, die das 39-jährige Opfer nach der Messerattacke im Helios-Klinikum in Schwelm behandelt haben. Sie bestätigten die dem Opfer zugefügten Stich- und Schnittverletzungen. Lebensgefahr habe aber keine bestanden. Nach einem kurzem Aufenthalt auf der Intensivstation sei der Geschädigte auf die Normalstation verlegt und noch am Tag nach der Attacke wieder entlassen worden.Auch ein anderer Bewohner der Unterkunft An der Drehbank sagte am Mittwoch aus, ein 47-Jähriger Afghane, er gab aber an, weder den Angeklagten noch dessen Noch-Ehefrau zu kennen. Selbst den Geschädigten, seinen Nachbarn, kenne er nur flüchtig. Neue wichtige Erkenntnisse zur Tat an sich ergaben sich aus seiner Befragung nicht. Am Montag, 31. Januar, soll der Prozess ab 9.30 Uhr vor dem Hagener Schwurgericht fortgesetzt werden. Dann soll es vor allem um die psychische Verfassung des Angeklagten gehen.

Am Ende habe er eine Stichverletzung an der Flanke, eine am Bauch und eine Schnittverletzung an der Hand gehabt. Später berichtet er noch von psychischen Problemen nach der Tat. Während das Opfer der Messerattacke aussagt, schüttelt der Angeklagte immer wieder den Kopf.

„Als er zugestochen hat, habe ich ihn weggestoßen“, erinnert sich das Opfer und geht auf den Angeklagten ein. „Er ist dann aus dem Zimmer raus, vermutlich hinter der Frau her, dann kam er wieder rein und ich bekam einen zweiten Stich.“

Aussagen weichen voneinander ab

Richterin Heike Hartmann-Garschagen wird stutzig. „Bei der Polizei haben Sie das anders erzählt, vom zweiten Stich war da nicht die Rede“, wundert sie sich. „Das muss ein Übersetzungsfehler oder ein Missverständnis sein“, antwortet der 39-Jährige. „Hat der Angeklagte Sie gefragt, wieso die Frau bei ihnen übernachtet?“, möchte die Richterin außerdem wissen. „Nein“, so der Befragte. „Das sollen Sie bei der Polizei aber zuerst gesagt haben“, hakt Hartmann-Garschagen nach. „Das muss ein Missverständnis gewesen sein“, erklärt der Mann wieder.

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Im Zuge der Verhandlung gibt er auch Einblicke in die familiäre Situation des Angeklagten und dessen baldigen Ex-Frau. Außerdem schildert der Gevelsberger, in welchem Verhältnis er zum Angeklagten steht und wie er dessen Partnerin kennengelernt hat, die heute seine eigene Partnerin sei.

So erklärt der Geschädigte, dass er und der Angeklagte sich bereits vorher in Gevelsberg kennengelernt hätten und miteinander befreundet gewesen seien. Später habe er auch dessen Partnerin kennengelernt, das sei vor circa einem Jahr gewesen.

Familiäre Probleme und Alkohol

Mehrfach habe der Angeklagte ihn eingeladen. „Da ich wusste, dass die beiden so oft streiten, habe ich versucht, sie nicht so oft zu besuchen“, sagt er. „Kam es jedes Mal zu Streitigkeiten?“, fragt die Richterin. „Ja“, so der Zeuge. „Immer wenn er betrunken war?“, hakt sie weiter nach. „Ja“, lautet die Antwort wieder.

Der 39-Jährige erklärt, dass der Angeklagte regelmäßig Alkohol getrunken habe, Bier, zwischendurch aber auch Whiskey oder Wodka. Dann sei es zum Streit gekommen, auch soll er die Frau geschlagen haben. „Er guckte die Frau an und wurde aggressiv und hat sie als Nutte oder Schlampe bezeichnet“, schildert der Zeuge. Zwischenzeitlich habe der Angeklagte die gemeinsame Wohnung nicht mehr betreten dürfen und dafür bei ihm gewohnt. Die Frau sei auch im Frauenhaus gewesen, wegen eines Kindes aber wieder zurückgekommen.

Richterin Heike Hartmann-Garschagen möchte wissen, ob der Angeklagte bei der Tat, die ihm vorgeworfen wird, auch betrunken gewesen sei. „Ob er taumelte oder Ausfallerscheinungen hatte, kann ich nicht sagen“, antwortet der Zeuge. „Ich meine, er hätte etwas getrunken gehabt, er hat nach Alkohol gerochen.“