Gevelsberg. Lange hat die blinde Gevelsbergerin Corinna Hoffmann mit der Krankenkasse um einen Blindenführhund gestritten. Jetzt hat das Gericht entschieden.

Lange war es Still um Corinna Hoffmann. Die blinde Gevelsbergerin hatte 2019 mit ihrer Krankenkasse um die Finanzierung eines neuen Blindenführhundes gestritten. Der Prozess dazu zog sich hin. Jetzt hat das Sozialgericht Dortmund entschieden: Die Techniker Krankenkasse (TK) muss Corinna Hoffmann einen neuen Blindenführhund bezahlen.

Die Vorgeschichte

Rückblick: Als ihre alte Blindenführhündin Paula zu alt wird und damit zunehmend müde und unkonzentriert, stellt die heute 37-Jährige einen Antrag auf ein neues Tier bei ihrer Krankenkasse. Diesen Antrag lehnt die TK unter Berufung auf den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ab. Dieser sei der Auffassung, dass einer Neuversorgung mit einem Blindenführhund nicht zugestimmt werden sollte.“

Die TK beruft sich in dem Schreiben auf ein „Gutachten der Pflegeeinstufung“ aus August 2018. Daraus gehe hervor, dass bei Corinna Hoffmann chronische Angststörungen in Verbindung mit Panikattacken bestünden. „Dem Gutachten ist auch zu entnehmen, dass Sie sich außer Stande sehen, die Wohnung ohne Begleitung einer Pflegeperson zu verlassen“, hieß es darin. Es sei daher auch zu befürchten, dass bei fehlender regelmäßiger Anforderung die Führleistung des Blindenhundes in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.

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„Die Argumentation der TK, ich sei wegen psychischer Krankheit nicht geeignet, eine Blindenführhündin zu halten, ist völlig falsch“, sagte Hoffmann damals gegenüber dieser Redaktion. Zwar leide sie bedingt durch ihre Augenkrankheiten seit 2005 beziehungsweise 2006 an Depressionen und einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Daran habe sich aber seitdem nichts verändert.

Anders als damals sei gewesen, dass sie im Jahr zuvor einen Antrag auf Pflegestufe 1 gestellt habe. Über den daraus resultierenden Entlastungsbeitrag habe sie eine Assistentin bezahlt, die zu Ärzten begleitet, wo sie Blindenführhündin Paula nicht mit hinnehmen darf. Auch Konzertbesuche würden ihr dadurch ermöglicht.

Das MDK-Gutachten der Pflegeeinstufung nahm die Techniker Krankenkasse schließlich zum Anlass, keine weiteren Kosten für einen Blindenführhund zu übernehmen. Corinna Hoffmann legte Widerspruch über eine Anwaltskanzlei ein.

Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung einigten sich die Krankenkasse und Hoffmann darauf, dass sie eine erneute sogenannte Gespannprüfung mit ihrer bereits außer Dienst gesetzten Hündin Paula absolviert. Mit der Gespannprüfung wollte die TK herausfinden, ob Corinna Hoffmann in der Lage ist, einen Assistenzhund zu führen, beziehungsweise, ob sie darauf angewiesen ist. Das Ergebnis: Die 37-Jährige bestand die Prüfung nicht und verließ sich laut Prüferinnen zu sehr auf ihren Blindenlangstock. Die Krankenkasse sah sich dadurch bestätigt.

Das Gerichtsurteil

„Die Klägerin [...] hat Anspruch auf Versorgung mit einem Blindenführhund zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung“, heißt es dagegen im Urteil des Sozialgerichts Dortmund. Corinna Hoffmann sei wegen ihrer Behinderung auf die Nutzung von Hilfsmitteln angewiesen und um ihre Behinderung auszugleichen, habe sie Anspruch auf die Versorgung mit einem Blindenführhund. Diese Versorgung sei erforderlich, zweckmäßig und wirtschaftlich. Sie übersteige nicht das Maß des Notwendigen.

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Der Blindenlangstock hat nach Ansicht des Gerichts wesentliche Nachteile gegenüber einem Blindenführhund. Die Kammer hat auch keine Bedenken, dass Corinna Hoffmann nicht zur Führung eines Blindenführhundes geeignet ist. Dabei beruft sie sich auf ein gerichtliches Sachverständigengutachten.

Außerdem: „Eine nicht bestandene Gespannprüfung mit einem dienstunfähigen Blindenführhund in der Vergangenheit kann [...] nicht die Grundlage für die Leistungsentscheidung sein“, so das Gericht in seinem Urteil.

Die Gegenseite

Die Techniker Krankenkasse hat gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund keine Rechtsmittel eingelegt. Mittlerweile sei die Rechtsmittelfrist auch abgelaufen, wie eine Sprecherin auf Nachfrage der Redaktion erklärt.

Aber sieht die TK in dem Urteil einen Einzelfall oder sogar die Schaffung eines möglichen Präzedenzfalles, der anderen Versicherten künftig als Blaupause dient, ebenfalls gegen die Krankenkasse zu klagen? „Es handelt sich um einen Einzelfall“, so die Sprecherin. „Das Gericht hat keine grundsätzlichen oder neuen Ausführungen getätigt, die auf die Bearbeitung von Anträgen von Versicherten in der Zukunft irgend einen Einfluss haben können.“

Die Zukunft

Corinna Hoffmann zeigt sich durch das Urteil erleichtert. Mittlerweile lebt ihre frühere Blindenführhündin Paula nicht mehr. „Ich bin jetzt dabei, mir einen neuen Blindenführhund zu suchen“, sagt sie und kann ihre Freude darüber kaum verbergen. „In den letzten Monaten habe ich meinen Alltag mit meiner Mutter, meiner Schwester oder alleine bestritten“, sagt die 37-Jährige. Das sei aber nicht so sicher gewesen wie mit einem Hund.

„Letztlich ging es auch um die Frage: Was ist selbstbestimmtes Leben?“, sagt Rechtsanwalt Nils Buchartowski von der Gevelsberger Kanzlei Wortmann, der Corinna Hoffmann vor Gericht vertreten hat. „Da geht es auch darum, dass man alleine irgendwo hinkann.“ Das könne seine Mandatin nur mit einem Blindenführhund und ohne Begleitperson. Für ihn persönlich sei es daher auch ein aufregendes Verfahren gewesen, da es um etwas Grundsätzliches gegangen sei. „Deshalb war es auch wichtig, dass wir das jetzt nach Hause holen“, freut sich auch Buchartowski.