Ennepetal. Knapp 150 Mal soll sich der Ennepetaler an seiner Tochter vergangen haben. In der Familie herrschte Gewalt. Er selbst spricht über sein Leben.

Als der Satz ausgesprochen war, stand die Zeit kurz still. „Die Vorwürfe aus der Anklage treffen so vollumfänglich zu“, verlas Verteidiger Christian Isselhorst für seinen Mandanten. Da war jedem im Gerichtssaal klar: Der 48-jährige Ennepetaler hat sich knapp 150 Mal sexuell an seiner Tochter vergangen, darunter etwa 90 Vergewaltigungen.

Zum Prozessauftakt gegen den Mann, der sein Kind im Alter zwischen elf und siebzehn Jahren als Sexspielzeug missbraucht hat, zeichnet sich auch ein Bild der Familienverhältnisse – geprägt von einem gewalttätigen, cholerischen Vater und einer Tochter, die sich für den Sex mit ihrem Vater hergab, damit Bruder und Mutter unter dessen Gewaltausbrüchen nicht noch schlimmer leiden mussten. Zumindest hat der Ennepetaler seiner Tochter mit dem Geständnis eine Aussage erspart.

Die Taten

Das Martyrium des Mädchens soll laut Anklage begonnen haben, als es gerade elf Jahre alt geworden war. Die Tochter war auf die weiterführende Schule gewechselt, als ihr Vater das erste Mal nachts in ihr Zimmer kam, sich zu ihr ins Bett legte und sie streichelte. Bei der Polizei sagte sie aus, sie habe sich schlafend gestellt, bis er wieder gegangen sei. Doch er kam wieder. Immer und immer wieder. Bald schon blieb es nicht mehr beim Streicheln, die sexuellen Übergriffe nahmen an Intensität und Häufigkeit zu. Kurze Zeit später kam es zum Beischlaf. Die Anklage geht davon aus, dass sich der Mann in den vergangenen Jahren mindestens einmal pro Woche an seinem Kind verging.

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Das Mädchen leistete kaum Widerstand. Aus Angst davor, dass sein Vater dann seinen Frust in Form von Prügeln und anderen Repressalien an der Mutter, vor allem dem Bruder aber auch an ihr ablasse, wie es bei der Polizei aussagte. Das Muster war wohl immer ähnlich. War der 48-Jährige in dem Einfamilienhaus mit der Tochter allein oder zeichnete sich dies ab, schickte er ihr eine Whats-App „Hast Du Lust?“ Das Mädchen antwortete meist aus den genannten Gründen mit „Ja“. So soll es auch am 15. Dezember 2020 gewesen sein – die letzte Vergewaltigung, bevor die 17-Jährige zur Polizei ging. Das Mädchen war im Homeschooling, als sich der Vater an ihm verging und soll danach einfach wieder in den Unterricht gegangen sein. Der sexuelle Missbrauch wäre wahrscheinlich noch Jahre weiter gegangen, wäre das Mädchen nicht im vergangenen Jahr mit seinem älteren Bruder auf einer Party gewesen. Die bisherigen Aussagen deuten darauf hin, dass der Vater auch den Bruder angefasst haben soll. Der soll sich seiner Schwester auf besagter Party offenbart haben, sie außerdem darauf angesprochen haben, dass er Dinge mitbekommen habe, die darauf hindeuten, dass der Vater das Mädchen missbraucht.

Erst als er seiner Schwester klar gemacht hat, dass er den Vater mit den Vorwürfen konfrontieren und anschließend aus dem elterlichen Haus ausziehen will, hat die 17-Jährige die Reißleine gezogen. Mit einer Freundin ging sie am folgenden Tag zur Polizei und erzählte dort ihre Geschichte. Ebenfalls machte sie deutlich, dass sie von ihren Qualen nur berichte, weil sie Angst habe, dass ihre Mutter und sie nach einer Konfrontation des Bruders mit dem Vater noch mehr unter dem Patriachen leiden würden.

Der Täter

Als der Mann den Gerichtssaal betritt, fallen alle Blicke auf ihn: bullig, raspelkurze Haare, akkurat hochgeschlossenes braunes Hemd, dicke Brillengläser. Als sein Blick durch die gut gefüllten Zuschauerreihen gleitet, schlägt er die Hände vor sein Gesicht. Im Laufe des Prozesstages notiert er immer wieder Dinge mit, ist mit seiner Mimik sehr rege, ansonsten spricht er selbst bei der Befragung durch den Vorsitzenden Richter Jörg Weber-Schmitz kaum ein Wort. Sein Anwalt verliest seine Entschuldigung, spricht über seine Angst davor, im Gefängnis Opfer von Gewalt zu werden, wenn die Mithäftlinge von seinen Taten erfahren. Die Einlassung des 48-Jährigen dreht sich überwiegend um sich selbst und sein Leben. Geboren in Gelsenkirchen, Hauptschulabschluss, gelernter Maler. Seine ersten sexuellen Erfahrungen habe er mit 18 mit der Frau gemacht, die er mit 19 geheiratet habe. Es folgten eine Scheidung, er lernte die Mutter der Geschwister kennen, schulte um, die Kinder erblickten das Licht der Welt. Gesundheitlich und beruflich sei es immer wieder drunter und drüber gegangen, zuletzt habe er auf dem Bau gearbeitet. Intensiv geht er in seiner Einlassung auf seine Kindheit ein. Die Elter hätten sich scheiden lassen, als er fünf Jahre alt war, die Mutter sei anschließend von wechselnden Partnern geschlagen und missbraucht worden, starb im Alter von 36 Jahren an ihrer Sucht nach Alkohol und Drogen. Im von Nonnen geleiteten Heim sei er von Männern missbraucht worden, die Nonnen hätten ihm verboten, darüber zu sprechen. Er sei im Alter von elf Jahren zu seinem Vater gekommen, der habe ihn mit Besenstielen und Kleiderbügeln verprügelt.

Er beteuerte, sich therapieren lassen zu wollen und ließ mitteilen: „Ich respektiere die Entscheidung meiner Tochter, sich zu offenbaren und werde alles das versuchen zu unternehmen, was ihr bei der Aufarbeitung behilflich sein wird, auch wenn das wahrscheinlich jedweden Kontakt zu meinen Kindern beenden wird.“

Die Familie

Alle bisherigen Aussagen und Ermittlungsergebnisse zeichnen ein Bild voller Gewalt, Kontrolle und Druck. Der Vater soll mit Repressalien regiert haben, die Mutter, vor allem den Bruder und in seltenen Fällen auch die Tochter geschlagen haben. Nacktheit sei offen gehandhabt worden, die Mutter hat wohl keinen Anstoß daran genommen, dass der Vater noch mit seiner Teenager-Tochter gemeinsam in die Badewanne gegangen sei. Überall in der Wohnung waren Kameras installiert – laut des Vaters zur Kontrolle der Hunde. Es steht aber laut Aussage einer Polizistin im Raum, dass er damit auch seine Familie kontrolliert hat. Ebenso fertigte er Videos vom stets ungeschützten Geschlechtsverkehr mit seiner Tochter an. Insgesamt sicherte die Polizei 24 Datenträger. Der 48-Jährige soll stets seine eigenen Kindheitserfahrungen als Rechtfertigung für sein Verhalten angeführt haben und damit auf Verständnis bei der Familie getroffen sein. Laut Informationen dieser Zeitung hat die Verlobung zwischen ihm und der Mutter weiterhin Bestand, die beiden haben wohl weiter Kontakt.

Das Opfer

Das Mädchen ist mit der Mutter in eine andere Wohnung gezogen. Sie tritt als Nebenklägerin in dem Verfahren gegen ihren Vater auf. Sie muss wohl nicht aussagen.

So geht’s weiter

Die Hauptverhandlung gegen den Ennepetaler begann mit mehr als einer Stunde Verspätung. Ein Schöffe hatte den Termin offenbar vergessen und musste erst ins Hagener Landgericht bestellt werden.

Ursprünglich hatte die Kammer für das Verfahren gegen den 48-Jährigen fünf Verhandlungstage vorgesehen. Ob diese jedoch nach dem Geständnis des Vaters alle benötigt werden, schein eher unwahrscheinlich.

Die ersten Zeugen werden nun wieder abgeladen, das Opfer selbst muss nicht im Saal aussagen.