Gevelsberg. Leiter der Mordkommission kann nach Schüssen in Gevelsberg diverse Widersprüche nicht auflösen. Diverse Nachlässigkeiten bei der Aufarbeitung.

Selten sind sich in einem Strafverfahren das Gericht, die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung derart einig wie bei der Aktenlagen zu den polizeiinternen Vorgängen beim Einsatz in Gevelsberg, als Vitalij K. auf Polizeibeamten geschossen hatte. Immer wieder herrschte kollektives Kopfschütteln vor dem Hagener Schwurgericht darüber, dass Dinge ein unvollständiges Bild abgeben, dass die vielen hundert Seiten Papier an einigen Stellen mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Nun saß der Leiter der Mordkommission im Zeugenstand und vermochte es nicht, den angekratzten Ruf aufzupolieren. Im Gegenteil: An entscheidenden Stellen erhärten sich Widersprüche.

Im Fokus der Befragungen standen die Waffen, die eingezogen und untersucht worden sind. Das sind vier an der Zahl; zwei von den beiden Polizisten, auf die in der Verkehrskontrolle geschossen wurde, zwei von beiden Polizistinnen, die vom Tatort geflüchtet waren.

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Sie alle sind in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai, in der die Tat stattfand, sichergestellt worden. Dies findet sich in den Akten so wieder. Der Chefermittler der Mordkommission sagte hingegen aus: „Ich habe erstmals im Video aus dem Streifenwagen gesehen, dass dort ein weiterer Wagen von uns vorbei gefahren ist.“ Er sei davon ausgegangen, dass der Mercedes Vito, in dem die beiden Frauen gesessen hatten, nicht angehalten habe. „Ein paar Tage später rief mich die Leiterin der Kriminalpolizei aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis an und fragte, ob ich von dem Verlassen des Tatorts der Kolleginnen Kenntnis hatte.“

Wer gab welche Anweisungen?

So weit, so unspektakulär, wäre da nicht die Aussage des jungen Polizeikollegen vor dem Hagener Schwurgericht gewesen, der auf Nachfrage deutlich gemacht hatte: „Ich habe die Waffen der beiden Kolleginnen an der Wache in Gevelsberg auf Anweisung meines MK-Leiters sichergestellt.“ Stirnrunzeln beim Gericht. Warum hat der Mordkommissionschef die Waffen einziehen lassen, wenn er von dem einzigen Grund, der dies rechtfertigen würde, erst Tage später erfahren haben will? Antwort: „Ich kann mich an diese Anweisung nicht erinnern. Es kann natürlich sein, dass ich den Kollegen prophylaktisch damit beauftragt habe.“ Es könne aber auch sein, dass jemand aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis die Verantwortung dafür trage. Generell verweisen die Kreispolizeibehörde Ennepe-Ruhr und das Polizeipräsidium Hagen seit Bekanntwerden der Polizistinnen-Flucht auf die jeweils andere Behörde und dementsprechend eierte auch der Leiter der Mordkommission im Zeugenstand bei dieser Sache herum und vermochte keine Aufklärung in die lückenhafte und nicht logische interne Aufarbeitung bei der Polizei zu geben.

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Nicht minder schwer nachvollziehbar ist der behördeninterne Umgang mit den beiden Opfern, dem 29-jährigen Polizisten, der angeschossen wurde und seinem 23-jährigen Kollegen. Diese sind nie als Zeugen zu dem Fall vernommen worden. Der Chefermittler sagte im Zeugenstand: „Nach der Erstbefragung gab es ein Zeichen aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis, dass sie sich anwaltlich vertreten lassen wollten.“ Ein Umstand, der vor allem Verteidiger Andreas Trode fassungslos machte: „Warum finde ich dazu nichts in den Akten, dass die beiden nicht vernommen werden wollten? Welche Mühe hat man sich überhaupt gegeben, um vernünftige Aussagen zu bekommen? Sie müssen doch als Leiter der Mordkommission da sitzen und sehen, was sie haben und was fehlt.“

Überwachungsvideo vorgespult

Das nächste Thema, der nächste Umstand, bei dem die Ermittler nicht gut aussehen: der Notarzt, der erst 20 Minuten, nachdem der Angeklagte angeschossen wurde, eintraf, weil er zunächst zur Hagener Straße nach Ennepetal gefahren war. Dies sei einem Versehen des SEK-Kommandoführers geschuldet, der dem Mediziner die falsche Adresse mitteilte, so der MK-Chef. Vor Gericht hatte ein SEK-Mitglied ohne Führungsverantwortung mitgeteilt, er habe einen Kommunikationslapsus begangen. Trode: „Auch dazu finde ich gar nichts in den Akten, was Einsatzprotokolle der Mediziner anbelangt.“ Natürlich, so der leitende Ermittler, habe er sich gewundert, dass der Angeklagte auf dem Überwachungsvideo vom Festnahmeort so lange schreie, habe dieses Video allerdings nicht komplett gesehen, sondern vorgespult.

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Zumindest ist die Herkunft der Waffe, mit der Vitalij K. auf die Polizisten geschossen hat, geklärt. Der Mk-Leiter sagte aus, dass die Walther P99 mit NL-Prägung an die niederländische Polizei ausgeliefert werden sollte. „Sie ist wohl in der Nacht vom 29. auf den 30. Juli 2018 bei einem Einbruch ins niederländische Justizministerium mit 23 weiteren Waffen gestohlen worden.“

Unsicher ist allerdings weiterhin, wie der 37-jährige Angeklagte in den Besitz der Pistole gekommen ist. Der wird sich in Kürze über seinen Anwalt zum ersten Mal seit der Tat zu den Vorgängen in der Nacht äußern.