Schwelm/Gevelsberg/Ennepetal. Wir haben bei Esther Albrandt, Petar Beram und Nicole Püttmann 15 Monate nach dem Erscheinen der Artikel noch einmal nachgefragt.

Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass diese Zeitung Mutmachern eine Stimme verlieh. In allen Lokalredaktionen und im überregionalen Teil standen zahlreiche Menschen im Fokus, die sich mach Schicksalsschlägen berappelt haben, die außergewöhnliches geleistet haben oder die große Bürden zu tragen haben und trotzdem mit einem Lächeln in die Zukunft schauen. Seit wir diese Serie im November 2019 veröffentlicht haben hat sich die Welt weitergedreht und mehr als durch alles andere mit dem Einsetzen der Corona-Pandemie verändert.

Gerade jetzt ist es aus unserer Sicht besonders wichtig, Mut zu haben und daher nehmen wir die Auszeichnung mit dem renommierten European Newspaper Award gern zum Anlass, um bei einigen unsere Mutmacher aus Schwelm, Gevelsberg und Ennepetal noch einmal nachzufragen, wie es ihnen seitdem ergangen ist, wie sich ihr Leben verändert hat und einmal nachzufragen, ob sie immer noch Mutmacher sind.

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Esther Albrandt

Immer wenn Esther Albrandt mit ihrem Wagen auf der A 43 unterwegs ist und an der Anschlussstelle Witten-Herbede vorbei fährt, sind die Bilder wieder in ihrem Kopf. Der Unfall, die beiden Motorradfahrer, die am Boden liegen, die vielen Menschen, das Blaulicht, der Augenblick, wie der 61 Jahre alte Mann starb, den sie versuchte zu retten. „So etwas vergisst man nicht so leicht“, sagt die Gevelsbergerin 15 Monate nach dem schweren Unfall, der das Leben vieler Menschen veränderte. Für die Angehörigen des 61-jährigen Motorradfahrers, der noch am Unfallort für tot erklärt wurde, für die Familie des 29-jährigen Mannes, der einige Zeit später seinen schweren Verletzungen erlag.

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Und auch der 64 Jahre alte Autofahrer wird diesen Tag im September nie vergessen. Er soll die Spur gewechselt haben, als die Motorradfahrer heran rauschten. Die Staatsanwaltschaft Bochum hat mittlerweile vor dem Amtsgericht Witten Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben. „Der Aufprall muss massiv gewesen sein“, sagt die Gevelsbergerin, „beide Motorradfahrer hatten ihre Helme verloren.“

Als sie mit ihrem Wagen an der Stelle vorbei kam, ist der Unfall schon passiert und die ersten Helfer sind vor Ort – auch Esther Albrandt wechselt sich wenige Augenblicke später mit einer Frau bei der Herzdruckmassage ab. Auch wenn sie den Kampf um das Leben des Mannes verloren haben, ist etwas Tröstliches in diesen Momenten. „Es haben so unglaublich viele Menschen geholfen“, sagt die Gevelsbergerin. Für die Familie des 61-Jährigen zählte, dass er in seinen letzten Sekunden nicht alleine war.

Die Angehörigen haben der Gevelsbergerin geschrieben, sich bedankt, einige persönliche Zeilen an sie gerichtet. Esther Albrandt erklärt, dass sie aus der Zeitung ihren Namen haben, froh waren, zu wissen, wer bei ihm war. Auch die Familie des zweiten Opfers hat einige Monate später Kontakt aufgenommen. Das half auch der Gevelsbergerin mit der Situation umzugehen, sie ist dankbar dafür. Und noch etwas an ihrer Geschichte macht Mut: Jeder kann in so einer Situation helfen, die Angst etwas falsch zu machen, sollte niemand haben. „Die Hand zu halten ist manchmal schon Hilfe genug, den Menschen nicht allein zu lassen.“

Petar Beram

Mit fast nichts in der Tasche in einem fremden Land neu anzufangen und es dort zu Wohlstand und einem erfüllten Leben zu bringen, dies ist Petar Beram, der heute in Ennepetal wohnt, eindrucksvoll gelungen. Vor gut einem Jahr erzählten wir von seiner Mutmacher-Geschichte, die 1970 im ehemaligen Jugoslawien begann. Der damals 20 Jahre alte Petar ließ seine Familie und Freunde in der kroatischen Heimat zurück, um als so genannter Gastarbeiter sein Glück in Deutschland zu finden. Nur mit einer Plastiktasche in der Hand kam er damals mit dem Zug am Bahnhof in München an.

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Die Maloche ist hart, das Geld für seine Verhältnisse gut. Nach einem Jahr Gastarbeits-Vertrag muss Petar Beram sich entscheiden. Zurück in die Heimat oder bleiben? Der gelernte Schlosser, dem die (Arbeits-)Welt in Deutschland offen steht, entscheidet sich fürs Bleiben. Zurückkehren kann er ja immer noch...

Hochmalocht hat er sich. Zuerst in der Dillinger Hütte Saarstahl, dann im Atomkraftwerk in Grundremmingen, ab 1975 schließlich bei Peddinghaus in Ennepetal. Über den Fußball und das Akkordeonspiel entstehen viele Freundschaften. Als (dienst-)ältester Fußballschiedsrichter im Kreis wird er später nicht nur bekannt, sondern vor allem geschätzt. Nach gut 50 Jahren in diesem Land fühlt sich Peter Beram hier pudelwohl und bezeichnet Deutschland als seine zweite Heimat.

Daran hat sich auch ein Jahr später nichts geändert, wie sein Sohn Ivan uns auf Nachfrage erzählt. Der Papa sei gesund („toi, toi, toi“) und immer noch gut drauf. Einzig Corona mache ihm zu schaffen, weil er jetzt seine geliebten Kontakte nicht mehr so pflegen könne. 2020, als keine Flüge mehr gingen, hatte der Sohn seinen Vater mit dem Auto nach Kroatien gebracht. Der mehrwöchige Urlaub, die Rückkehr in die alte Heimat, gehört für Petar Beram zum Leben einfach dazu. In diesem Jahr soll es im Mai in die alte Heimat gehen. Der Vater freue sich schon darauf. „Hoffentlich klappt es“, erzählt Ivan Beram. Richtig planbar sei das ja noch nicht. Doch Petar Beram bleibt optimistisch. Schließlich ist er ein Mutmacher.

Nicole Püttmann

Über dem Mutmacher-Text, der sich um Nicole Püttmann und ihr Schicksal drehte, prangte seinerzeit der Titel „Nicole Püttmann ist dem Tod stets ein paar Schritte voraus“. Um es gleich vorweg zu nehmen: Diesen Vorsprung hat sie auch 15 Monate später noch gehalten. Die 44-Jährige hat Mukoviszidose, eine unheilbare Stoffwechselerkrankung mit überschaubarer Lebenserwartung. So hat eines der eindringlichsten Zitate im Leben der Gevelsbergerin ihr Kinderarzt geprägt, der ihren Eltern nach der Diagnose im Kleinkindalter mit auf den Weg gab: „Verwöhnen Sie die Kleine, sie wird nicht in die Schule kommen.“ Doch so einfach ließ die Kleine sich nicht unterkriegen, ist groß geworden und hat selbst in düstersten Corona-Zeiten ein Lächeln auf den Lippen, als sie erzählt, was seit ihrem Mutmacherbericht so alles passiert ist.

Vor allem im medizinischen Bereich hat sich eine Menge getan. „Es gibt ein neues Medikament, das zu einem Gamechanger geworden ist. Es repariert meinen DNA-Fehler während der Entstehung, so dass sie quasi gesund gebildet werden.“ Die Mukoviszidose ist damit nicht geheilt und sie wird dieses Medikament ihr Leben lang einnehmen müssen, dennoch steigert dies ihre Lebenserwartung enorm. „Ich muss zum ersten Mal in meinem Leben nicht permanent husten. Das fühlt sich wie ein neues Leben an.“

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Doch parallel zu dieser bahnbrechenden Entwicklung zollte ihr Körper der Jahrzehnte langen Keimbelastung ihrer Lunge Tribut und Nicole Püttmann leidet an einer extrem schmerzhaften Folgeerkrankung ihrer Mukoviszidose. Sie ist an Rheuma erkrankt. „Seit Monaten habe ich täglich große Schmerzen. Das ist echt heftig. Ich hoffe, dass ich bald eine geeignete Therapie bekomme.“

Die größte Hilfe, dass sie ihre gute Laune behalte, sei Ludwig. „Das ist unser Hund, den wir seit etwa einem halben Jahr haben und der meinem sechzehnjährigen Sohn, meinem Lebensgefährten und mir täglich viel Freude bereitet.“ Eine Bereicherung vor allem in den Pandemiezeiten, die für sie eine zusätzliche Herausforderung darstellen. „Wir befinden uns als Familie seit einem knappen Jahr so gut wie in Vollisolierung. Meine Mukoviszidose stellt einen Hochrisikofaktor dar, deshalb muss ich besonders aufpassen.“

Andererseits hätte ihre Krankheit auch entscheidende Vorteile mit Blick auf das Coronavirus. Denn: „Die Einhaltung der Hygiene-Vorschriften fällt uns allen sehr leicht, weil wir immer schon auf diese Dinge geachtet haben“, sagt die 44-Jährige. Händewaschen, Desinfektion, in bestimmten Situationen Masken tragen – das war immer schon Alltag für Nicole Püttmann, die bereits bei ihrem Mutmacherbericht mit Mund-Nase-Schutz auf einem Foto zu sehen war.

Problematisch sei es allenfalls in ihrem persönlichen Umfeld. Es sei für manche schwer, die Tragweite zu realisieren, die eine Infektion für sie bedeute und dass dadurch vor allem bei den sozialen Kontakten extremste Vorsicht herrsche. Die gesamte Familie achte sehr darauf, alle Regeln einzuhalten und größte Vorsicht walten zu lassen. Selbst dem 16-Jährigen falle dies leicht, auch weil er auf einer Privatschule unterrichtet werde, die in der Digitalisierung sehr fortgeschritten sei. Er halte sich gern an die Regeln, um seine Mutter zu schützen. Ihn nerve die Kontaktbeschränkung nur im gleichen Maße wie alle anderen jungen Leute.

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Nicht zuletzt deshalb kann die ganze Familie es kaum erwarten, dass sie alle geimpft werden. Nicole Püttmann: „Ich stehe dem sehr positiv gegenüber und glaube, dass das die einzige Möglichkeit zur Rückkehr in die Normalität ist, in der man Familie und Freunde wieder treffen kann.“ Ein Impfrisiko halte sie für sehr gering, vor allem mit Blick auf die zahlreichen Medikamente, die sie ohnehin ihr Leben lang schon täglich nehme.

Wie blickt sie denn nun in eine Zukunft, von der kaum jemand in ihrer Kindheit glaubte, dass sie diese überhaupt haben würde? „Wie wohl jeder hoffe ich auch, dass die Pandemie so bald wie möglich vorbei ist. Ich wünsche mir, dass unser anstehender Umzug gut verläuft und wir uns dort gut einleben und ankommen. Persönlich wünsche ich mir, dass meine rheumatischen Schmerzen bald therapiert werden können.“ Sie lacht bei diesen Worten, Lebensfreude funkelt in ihren Augen.

Nur bei einer Frage muss sie etwas überlegen. „Warum ich ein Mutmacher bin? Puh, ich glaube, dass vielleicht die Tatsache anderen Mut machen könnte, dass ich mit meiner besonderen Situation mit der Erkrankung trotzdem mein Leben mit Kind, Hund, Partner, Haushalt und Fast-Vollzeit-Job trotzdem auf die Kette bekomme.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.