Gevelsberg. Die Gevelsbergerin Angelika Scheibel hat die Selbsthilfegruppe Myotone Dystrophie gegründet: eine Krankheit, die viele Gesichter hat.
Muskelkater gehört für viele Menschen zum Sport dazu, zu spüren, wie die Muskeln beansprucht werden. Wenn Angelika Scheibel das fühlt, dann weiß sie, dass ihr Körper wieder ein Stück Kraft verloren hat, unwiederbringlich Muskelmasse verschwunden ist. Die Gevelsbergerin leidet an einer schweren Form der Myotonen Dystrophie, einer Krankheit, die ihr Leben bestimmt und sie in den Rollstuhl gebracht hat. Lange Zeit wusste sie nicht, was ihr fehlt. Und mit der Diagnose kamen die Fragen. Deshalb hat sie eine Selbsthilfegruppe in Gevelsberg ins Leben gerufen, um anderen dabei zu helfen, Antworten zu finden.
800 verschiedene Formen
Die ersten Symptome hat sie bereits in den 90er Jahren gespürt. Das Aufstehen klappte nicht mehr so gut, die Gehstrecken wurden immer kürzer, es sei schleichend gekommen, ebenso wie die Müdigkeit und der Schmerz. Der Neurologe hat nichts entdeckt. „Er hat mir gesagt, ich soll mehr Sport machen“, erinnert sich die Gevelsbergerin. Das hat sie getan, und das hat ihr vieles gekostet. Sport sei gut und wichtig bei der Krankheit, wie sie heute weiß, doch zu viel schadet und hinterlässt Spuren.
Bis 2013 hat es gedauert, bis Angelika Scheibel erfahren hat, warum sie sich tagtäglich krank fühlt. Sie hatte starke Schmerzen, wurde immer schwächer, konnte die Treppe nur noch seitlich hinaufgehen – und wurde von vielen schräg angeschaut. Sie hätte selber irgendwann angefangen zu denken, dass sie sich alles einbildet, und einfach weiter gemacht. Bis es nicht mehr ging.
Im Muskelzentrum wurde die Myotone Dystrophie festgestellt. Sie sei froh gewesen, dass endlich etwas gefunden wurde, doch dann kam die Ernüchterung. „Ich habe mir durch meine Unwissenheit so viel kaputt gemacht und den Krankheitsverlauf beschleunigt.“
Fortschreitende Muskelschwäche
Die Myotone Dystrophie ist fortschreitende Muskelschwäche und wird in zwei Typen unterschieden: Typ 1 und Typ 2, die Symptome sind vielfältig. Charakteristisch ist auch eine verzögerte Muskelerschlaffung.
Man spricht hier von einer Multisystemerkrankung. Dazu gehören auch grauer Star, Hodenschwund, Rhythmusstörungen des Herzens, Störungen beim Sprechen und Schlucken, Tagesmüdigkeit mit und ohne nächtliche Atemaussetzer (Schlaf-Apnoe-Syndrom), Hörstörungen, Verdauungsstörungen, Gallensteinleiden.
Mehr Informationen gibt es bei der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke unter ww.dgm.org. Spenden sind immer willkommen.
Die ersten Treffen der Selbsthilfegruppe in Gevelsberg, das war kurz vor der Corona-Pandemie, fanden am 3. Samstag im Monat - immer ab 11 Uhr - bei der Kiss an der Kölner Straße statt. Demnächst sind Videokonferenzen geplant. In kleinen Gruppen treffen sich die Teilnehmer auch privat. Die Teilnehmer kommen auch aus Münster und von der niederländischen Grenze.
Neue Mitglieder sind herzlich willkommen. Kontakt: Angelika Scheibel 01575/3150960
Insgesamt gibt es mehr als 800 verschiedene Formen der Muskelerkrankung „und etwa 100.000 Erkrankte, von denen man in Deutschland weiß“, erklärt Petra Hatzinger. Sie ist die Vorsitzende des Landesverbandes der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V. und ist seit 1992 selbst Betroffene. Sie hätte Glück gehabt, bei ihr sei die Krankheit früh entdeckt worden. Sie weiß, dass das nicht immer der Fall ist. Die Diagnosemöglichkeiten würden jedoch immer besser.
Sie war 28 Jahre alt, als sie spürte, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Sie sei immer wieder hingefallen, die Beine und auch Arme seien immer schwächer geworden, das Zusammenspiel aus Muskeln, Nerven und Sehnen war immer mehr gestört. Seitdem sind weitere 28 Jahre vergangen --- mit wöchentlicher Krankengymnastik. Nur so können die Folgen der Krankheit verlangsamt werden, Medikamente gibt es nicht, die helfen. Nur Schmerzmittel.
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Doch nicht jeder hat Schmerzen. Der eine hat einen schweren Verlauf, bei dem auch der Herzmuskel angegriffen werden kann, der andere nur leichte Symptome. Eine Krankheit mit vielen Gesichtern, „die Probleme sind aber die gleichen“, weiß Petra Hatzinger. „Man kann dennoch einiges tun, wenn man weiß, was los ist“, sagt Angelika Scheibel heute. „Und wenn man nicht an den richtigen Arzt gerät, wird man schnell abgestempelt“, ergänzt die Landesvorsitzende.
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Es gibt in NRW nur zwei Selbsthilfegruppen für Myotone Dystrophie. „Zwei Jahre habe ich jemanden gesucht, der sich im Großraum Hagen engagiert“, erklärt Petra Hatzinger und ist froh, die Gevelsbergerin gefunden zu haben. Sie weiß, wie wichtig es ist, einen Ansprechpartner zu haben und die Nummer eines Arztes, der sich mit der Krankheit auskennt, die Beschwerden der Menschen ernst nimmt.
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Myotone Muskelerkrankungen seien gar nicht so selten, aber die vielfältigen Ausprägungen machen sie so unberechenbar und schwer zu diagnostizieren. Eine Selbsthilfegruppe biete in vielen Lebenslagen eine entscheidende Hilfestellung, erklärt die Landesvorsitzende und nennt ein Beispiel: Nur die wenigsten wissen, dass eine Narkose für Erkrankte gefährlich werden kann. Jeder müsse deshalb einen Notfallpass für Muskelkranke mit sich führen.
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Wie bewältige ich den Alltag, was kann ich als Unterstützung beantragen? Nach der Diagnose prasseln viele Fragen auf einen ein. In einer Selbsthilfegruppe ist man damit nicht allein. Ein Tipp, den Angelika Scheibel jedem gibt: „Nimm die Krankheit an und bleib positiv.“