Gevelsberg. . Der Gestank der Tierverwertungsanlage sorgt bei den Anwohnern in Gevelsberg für Übelkeit. Die Suche nach Lösungen hat begonnen.
Schlaflose Nächte, Würgereiz und Erbrechen: Rund 350 Menschen haben in der Gevelsberger Aula des Schulzentrums West mit drastischen Worten ihre Probleme mit dem Gestank der Linderhauser Knochenmühle geschildert.
Die Teilnehmer der Bürgerversammlung, zu der Gevelsbergs Bürgermeister Claus Jacobi eingeladen hatte, haben aber auch gegenüber den Vertretern des Ennepe-Ruhr-Kreises und der Städte konstruktive Lösungsvorschläge gemacht.
Gestank kommt aus der Luft und der Kanalisation
Einig waren sich die Bürger, die nicht nur aus Gevelsberg, sondern auch aus Schwelm gekommen waren, darüber, dass der u nerträgliche Gestank aus den Fabrikhallen von Schmidt + Geitz GmbH + Co KG sowohl aus der Kanalisation als auch über die Luft kommt.
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Die entscheidende Frage kam zum Schluss der dreistündigen Debatte: Wieviel Abwasser entsorgt die Knochenmühle in den Abwasserkanal, der durch das Gevelsberger Tal fließt? 100 Kubikmeter pro Woche war die Antwort von Wolfgang Flender, zuständig beim Ennepe-Ruhr-Kreis für Wasserwirtschaft und Immissionsschutz. Diese Menge, so die Argumente aus dem Publikum, könnten doch mühelos mit einem Lastwagen zur Kläranlage gebracht werden. So würde mindestens die Belästigung aus den Kanalschächten verhindert werden.
Vorschläge für Geruchsverschlüsse und Messstationen
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Auch sonst gab es an dem Abend neben juristischer Einschätzungen konstruktive praktische Vorschläge in der Diskussion:
Der Gestank in der Gevelsberger City könnte durch Geruchsverschlüsse unter den Kanaldeckeln in den Griff bekommen werden.
Die Städte Gevelsberg und Schwelm prüfen die Möglichkeit, eigene Messstationen in ihre Kanäle in unmittelbarer Nähe der Firma Schmidt + Geitz einzubauen, die stündlich Wasserproben entnehmen und Ergebnisse aufzeichnen. Schwelm lässt sich von der Knochenmühle ab sofort unterrichten, wenn Abwasser eingeleitet wird und kontrolliert den Prozess. Zum ersten Mal ist das am Morgen vor der Bürgerversammlung geschehen. Der Ennepe-Ruhr-Kreis hat ständige Messpunkte in den Fabrikationshallen angebracht, um Fehlerquellen aufdecken zu können.
Bürgermeister: "Betrieb ist nicht mehr zumutbar"
Bürgermeister Claus Jacobi will aber auch weiter die juristischen Möglichkeiten im Auge behalten, um gegen Schmidt + Geitz vorzugehen: „Der Betrieb ist einfach nicht mehr zumutbar. Deshalb stellen wir uns auch einer sportlichen, gerichtlichen Herausforderung.“
Es riecht nicht nur schlecht – der Gestank der Linderhauser Knochenmühle ist im medizinischen Sinne des Sprichworts zum Kotzen. Viele Teilnehmer der Bürgerversammlung zur Belästigung durch die Produktion der Tierkörperbeseitigungsanlage Schmidt + Geitz beschrieben, wie sie sich, wie sich ihre Kinder, Handwerker, Gäste oder Mitarbeiter übergeben mussten, wenn der Geruch wieder unerträglich „wie Leichengestank“ werde.
Flüchten aus der Stadt
Eine Anwohnerin aus der Cleverstraße sprach davon, das es nach „Tod und Verderben“ riecht: „Man kann nur noch flüchten aus der Stadt. Ein Mann, der in der Asternstraße wohnt, beschreibt seine Gefühle an den Tagen mit Geruchsbelästigung so: „Wenn ich mit meinem Hund spazieren gehe, dann möchte ich mir am liebsten den Kotbeutel selbst überziehen.“
Nicht nur die Anwohner, auch ganze Betriebe sind betroffen. Der Vertreter eines Unternehmens in der Breitenfelder Straße hat ein spezielles Problem. Er braucht für die Produktion eine Mischung aus 80 Prozent Umluft und 20 Prozent Frischluft: „Durch die Umwälzung bleibt der Gestank dann tagelang in den Hallen.“ Er würde ihn schon auf der Zunge schmecken können: „Da hatte ich genug“.
Taschentücher vor Mund und Nase
Der Betriebsleiter eines anderen Unternehmens schildert, wie seine Mitarbeiter mit Taschentüchern vor Mund und Nase von der S-Bahn-Station Westbahnhof zur Fabrik eilen: „Es ist auch schon vorgekommen, dass sie gleich direkt zu den Toiletten laufen, um sich zu erleichtern.“ Der Westbahnhof scheint besonders stark von dem Gestank betroffen zu sein. Eine Frau erzählte, ihr Hund hätte sich deshalb geweigert, durch die Eisenbahn-Unterführung zu gehen: „Wir haben eine schöne Stadt, es wäre gut, wenn wir sie auch an den Wochenenden benutzen könnten.“
Belästigung im Kindergarten
Die Vertreterin eines Kindergartens in Linderhausen berichtete, sie könnten die Fenster an heißen Sommertagen nicht mehr aufmachen: „Der Geruch hängt schon im Gebäude. Die ersten Worte, die die Mädchen und Jungs bei uns lernen, sind: Es stinkt.“ Selbst in Berge würde sie den Gestank riechen, wenn sie im Vorgarten arbeitete, versicherte eine andere Gevelsberger Bürgerin. Eine Frau aus Frielinghausen sprach davon, das die Belästigungen nicht nur bei hohen Temperaturen auftreten: „Ich bin schon nachts um 4.45 Uhr davon aufgewacht. Und da hatten wir keine Hitze, sondern eben einmal 6,5 Grad.“
„Mich kotzt es an, wir überlegen, die Stadt zu verlassen“, so die Meinung einer Frau aus der Goethestraße. Ihre Nachbarin klagte: „Wir können die Wäsche nicht mehr auf die Leine hängen.“ Ein Bürgerin vom Uellendahl hat mit ihrem Mann schon Konsequenzen gezogen: „Wir kaufen woanders ein, wir gehen hier nicht mehr zum Arzt, wir trinken nicht mehr hier unseren Kaffee.“ Der Gestank der Firma Schmidt + Geitz sei für sie schlicht „Freiheitsberaubung“. So sehen es auch andere Betroffene: „Wir können in unseren eigenen Häuser nicht mehr tun, was wir wollen“.
300 Meldungen seit März
Die Geruchsbelästigung der Linderhauser Knochenmühle ist nicht immer da. Sie verläuft im Lauf der Jahre wellenförmig. Einige Jahre ist alles gut, dann geht es wieder los: „2018 ist ein besonders schlechtes Jahr“, erklärte Thorsten Blech, Initiator der Facebook-Gruppe „Interessengemeinschaft Knochenmühle“, der auch auf dem Podium saß. Vor allem in den Nachtstunden tauche das Problem auf. Rund 300 Geruchsmeldungen habe es seit dem März dieses Jahres bei ihm gegeben. Seine Gruppe betreibe keine Hetzjagd: „Wir arbeiten mit Schmidt + Geitz und dem von der Firma beauftragten Ingenieurbüro zusammen.“ Und so kam er auch auf das Gelände der öffentlichkeitsscheuen Knochenmühle. Sein Resümee: „Besonders ordentlich sieht es da auf den ersten Blick nicht aus.“
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„Es ist keine Sammelklage möglich. Jeder Bürger muss sein Recht einzeln geltend machen“, erklärte Dr. Inga Schwertner. Die Fachanwältin der renommierten Kanzlei Lenz und Johlen war von der Stadt Gevelsberg beauftragt worden, um die rechtlichen Möglichkeiten im Kampf gegen den Gestank durch die Firma Schmidt + Geitz zu bewerten.
Drei drastische Fälle
Auch die Stadt Gevelsberg würde nicht stellvertretend für ihre Bürger vor Gericht ziehen können. Es spiele keine Rolle, wie hoch die Zahl der Klagen sei, die eingehen würden. Es biete sich an, die zwei bis drei drastischsten Fälle zu nehmen und mit ihnen Klage einzureichen. Eine Erheblichkeit der Belästigung setze zwar grundsätzlich eine Dauer des Gestanks von 900 Stunden im Jahr voraus, das sei aber nicht das einzige Kriterium für die Richter. Die Juristin regte ein neutrales Geruchsgutachten an.
Auf die Frage von Bürgermeister Jacobi erklärte Schwertner, dass die Stadt durchaus als Betroffene klagen könnte, wenn zum Beispiel Mitarbeiter in kommunalen Büros unter dem Gestank leiden. Außerdem könne die Stadt natürlich ihre Bürger beim Gang vor die Gerichte finanziell unterstützen.
„Die Stadt sieht sich an einem Punkt, an dem wir weiter juristisch aufrüsten werden“, erklärte der Gevelsberger Bürgermeister den Teilnehmern der Versammlung.