Dortmund. Eine Dortmunder Schülerin wird von einer Mädchen-Gang terrorisiert. Die Schulleitung scheint machtlos, die Mutter erhebt schwere Vorwürfe.
Die Videos, die Leonies Mutter auf ihrem Handy sammelt, sind nur schwer zu ertragen. In jedem einzelnen ist ihre Tochter zu sehen. Eine Aufnahme aus dem Januar 2024 zeigt das Mädchen von hinten, wie es eine Treppe in der Robert-Koch-Realschule (RKR) in Dortmund hinuntergeht. Eine weibliche Stimme sagt: „Angst oder was?“ Dann greift die Täterin Leonie in die Haare, ringt sie nieder. Die Kamera folgt dem Geschehen, der Übergriff wirkt geplant. Das Gewaltvideo wird wenig später in Whatsapp-Gruppen verbreitet und in Sozialen Netzwerken geteilt. Leonie erzählt ihrer Mutter zunächst nichts von dem Vorfall.
Wenige Tage später „produzieren“ und verschicken die Täterinnen ein weiteres Gewaltvideo mit Leonie als Opfer. Diesmal noch brutaler, versehen mit dem Schriftzug „diesmal hab ich besser gemacht“ – das Lob einer Täterin an sich selbst. Tatort ist die Mädchentoilette. Vor der offensichtlich eingeweihten Filmerin reißen mindestens fünf Mädchen Leonies Kopf an den Haaren nach unten, greifen ihr ins Gesicht, prügeln mit Fäusten auf ihren Kopf ein, eine Beteiligte tritt zu.
Dortmunder Schülerin für Gewaltvideo verprügelt und verletzt
Leonie landet im Erste-Hilfe-Zimmer der Schule. Ihr Gesicht ist geschwollen und mit blutigen Striemen überzogen. Da die Mutter Nachtschicht hat, ruft Leonie ihre Tante an. Diese fährt sie ins Krankenhaus, wo die Verletzungen dokumentiert werden. „Warum ist kein Rettungsdienst gerufen worden? Warum ist die Polizei nicht eingeschaltet worden?“, fragt sich Leonies Mama bis heute. Die 15-Jährige sei stattdessen vom Schulpersonal angewiesen worden, ihr Gesicht abzuwaschen und in völlig verstörtem Zustand eine Art Protokoll des Übergriffs zu verfassen. Währenddessen hätten die Täterinnen vor dem Raum gelauert und gelärmt, berichtet die Schülerin.
Mobbing durch Mädchen-Gang beginnt nach Schulwechsel
Leonie wechselte erst zum Jahresbeginn 2024 vom Gymnasium in Dortmund-Hombruch auf die direkt gegenüberliegende Robert-Koch-Realschule. Die Haupttäterin kenne sie von dort – es habe gelegentlich geringfügige Streitigkeiten gegeben. Mit dem Schulwechsel habe dann das Mobbing begonnen, an dem sich mittlerweile eine etwa siebenköpfige Gruppe von 13- bis 17-jährigen Schülerinnen beteilige.
Nach dem Übergriff in der Mädchentoilette erstattet die Mutter Anzeige bei der Polizei, sucht das Gespräch mit dem Schulleiter der RKR: „Er hat mir versprochen, alles dafür zu tun, damit das aufhört. Solche Leute wolle er nicht an seiner Schule haben. Er würde sein Bestes geben, damit die Schülerinnen einen Verweis bekommen, da einige davon schon zuvor aufgefallen seien. Da hatte ich das Gefühl, dass er sich wirklich kümmern will.“ Dieses Gefühl hat die Dortmunderin mittlerweile nicht mehr, zumal es im Februar eine weitere körperliche Auseinandersetzung gab, bei der Leonie ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt. „Ich denke, der Schulleiter ist mit der Situation völlig überfordert und weiß nicht, was er tun soll“, so das Fazit der Mutter. Auch involvierte Lehrerinnen und Lehrer würden lieber wegschauen.
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Bezirksregierung Arnsberg bezieht Stellung zum Mobbing-Problem an der Robert-Koch-Realschule
Auf die Anfrage unserer Redaktion an den Schulleiter antwortet ein Sprecher der Bezirksregierung Arnsberg als zuständige Schulaufsichtsbehörde: „Die Schule hat nach Bekanntwerden der ersten Vorgänge im Januar im verantwortlichen Gremium, einer Teilkonferenz der Lehrerkonferenz, mehrfach getagt. Es wurden gegen an den Übergriffen aktiv Beteiligte Ordnungsmaßnahmen verhängt, die additiv durch verschiedene pädagogische Maßnahmen flankiert wurden. Diese waren angemessen, verhältnismäßig und geeignet, um den Schülerinnen ihr schwerwiegendes Fehlverhalten zu verdeutlichen und ähnliches Verhalten zukünftig zu verhindern.“ Und: „In der ganzen Zeit haben mit allen an den Vorfällen Beteiligten, den Eltern von Täterinnen und Opfern viele Gespräche, mahnenden oder informativen Charakters stattgefunden.“
Mädchen-Gang prahlt im Internet mit Gewalttaten
Die vorübergehende Suspendierung einzelner Schülerinnen und sogar Gefährderansprachen durch die Polizei zeigen jedoch bis heute offenbar keine Wirkung. Es erscheinen weiterhin Clips mit Bildern von Leonie, die mit erniedrigenden Schriftzügen, Symbolen und Stickern verziert sind. Die Täterinnen feiern ihre Attacken sogar in Livestreams, fordern „Respekt“ von den Mitschülern, äußern Drohungen und kündigen weitere Übergriffe an. Eine Schülerin postete kürzlich sogar das Foto eines Stapels von Briefen von Polizei, Jugendamt, Staatsanwaltschaft und Amtsgericht, kommentierte stolz: „Mir alles egal.“ All diese Postings sichert Leonies Mutter über extra dafür angelegte Social-Media-Accounts und leitet die Dateien an die beteiligten Behörden weiter.
Leonie hat mittlerweile schreckliche Angst, zur Schule zu gehen. Sie versteckt sich manchmal stundenlang in den Toilettenräumen, bleibt dem Unterricht fern und ist versetzungsgefährdet. Im Gespräch sagt sie dazu: „Man denkt jedes Mal: Was passiert heute wieder?“ Auf die Schulaufgaben könne sie sich schon lange nicht mehr konzentrieren.
Die Mutter hat inzwischen eine Dienstaufsichtsbeschwerde bei der Bezirksregierung Arnsberg eingereicht und einen Anwalt eingeschaltet. „Was muss passieren, damit endlich etwas unternommen wird gegen diese Schülerinnen? Wer schützt mein Kind?“, so die verzweifelte Dortmunderin. Sie versucht jetzt, eine neue Schule für Leonie zu finden.
Anmerkung: Der Name Leonie ist ein Pseudonym. Der richtige Name des Mädchens ist der Redaktion bekannt.