Dortmund. Extremisten aus allen Lagern sind in Dortmund aktiv. Ein Bericht zeigt, welche Gruppen und Personen der Verfassungsschutz hier im Blick hat.
Wie gefährdet ist die Demokratie? Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) schlug alarmierende Töne an, als er am Donnerstag den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023 vorstellte. Das Dokument zeigt: In Dortmund sind Extremisten aus allen politischen Lagern aktiv – 63 mal taucht der Name der Stadt darin auf.
Polizeipräsident Gregor Lange spricht zwar von einem „grundsätzlich niedrigen Niveau“ der politisch motivierten Kriminalität in Dortmund, gerade unter Berücksichtigung von Krisen wie Nahost-Konflikt und Ukraine-Krieg. Dennoch fallen Neonazis und Islamisten, aber auch Linksextreme und andere Gruppen immer wieder auf.
Polizei Dortmund: Neonazi-Szene hat keine festen Strukturen mehr
Rechtsextreme Gruppen und Personen: „Die organisierte rechte Szene in Dortmund ist zerschlagen“, teilt die Polizei anlässlich des neuen Berichtes mit. Aktiv seien nur noch einzelne Akteure ohne feste Strukturen. Anhänger dieser Szene begingen demnach in 2023 157 Straftaten – ungefähr so viele wie im Jahr davor (156). Zum Vergleich: Noch 2015 waren ganze 441 Taten registriert worden.
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Der Verfassungsschutz hat vor allem die Partei „Die Heimat“ im Blick, bis 2023 unter dem Namen NPD aktiv. Sie fand in Dortmund neue Mitglieder, als sich Anfang desselben Jahres der Landesverband der Partei „Die Rechte“ auflöste und viele Anhänger überliefen. Im Dortmunder Stadtrat ist Die Heimat mit Matthias Deyde vertreten – eines von drei Ratsmandaten der Partei in NRW.
Im Bericht wird der untergetauchte Neonazi Steven Feldmann namentlich genannt. Um ihn habe sich „eine lose organisierte Szene“ entwickelt, die ebenfalls dem Kreisverband von Die Heimat nahestehe. Feldmann, gegen den ein europaweiter Haftbefehl vorliegt, erreicht über soziale Netzwerke wie Tiktok insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene – einzelne Videos werden über 100.000 mal aufgerufen.
AfD und JA luden rechtsextreme Redner nach Dortmund ein
Auch die AfD wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Zwar gilt der Landesverband offiziell bislang nicht als rechtsextremer Verdachtsfall, dafür aber der Landesverband der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA). Und sowohl AfD als auch JA luden 2023 Gastredner nach Dortmund ein, denen im Gegensatz dazu eine rechtsextreme Gesinnung eindeutig nachzuweisen ist.
So hielt Thüringens AfD-Chef Björn Höcke im November einen Vortrag bei einer Veranstaltung des AfD-Bezirksverbands Arnsberg auf der Hohensyburg. Und die JA NRW führte im September in Dortmund eine sogenannte „JA Akademie“ durch, bei der mit Philipp Huemer eine Führungsperson der Identitären Bewegung in Österreich sprechen durfte.
Die islamistische Szene: Nach nur zwei Straftaten im Vorjahr meldet die Polizei Dortmund dieses Mal 18 Delikte mit dem Hintergrund religiöser Ideologien. Dabei habe es sich zu einem großen Teil um Volksverhetzungen gehandelt.
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Laut Verfassungsschutz finden seit Ende der Corona-Pandemie wieder vermehrt Vortragsveranstaltungen radikaler Prediger statt. In Dortmund war demnach unter anderem der Ibrahim El-Azzazi aktiv, der in NRW regelmäßig ein breites Publikum erreiche.
Islamisten mit „sektenartigem Charakter“ haben Zentrum in Dortmund
Der Bericht führt auch große ausländische Terror-Organisationen wie die Hisbollah auf, deren Anhänger sich in bestimmten Moscheevereinen träfen. Satzungen und Aktivitäten der Vereine ließen zwar nach außen keinen offensichtlichen Hisbollah-Bezug erkennen. Dennoch seien dem Verfassungsschutz solche Verbindungen unter anderem aus dem Dortmunder Verein Gemeinschaft libanesischer Emigranten (Ahl al-Bait-Zentrum) bekannt.
Dortmund gilt als regionaler Schwerpunkt der „Islamischen Befreiungspartei“ Hizb ut-Tahrir. „Die Anhänger treffen sich in abgeschotteten Kleingruppen (Zellen), die sich durch ein äußerst konspiratives Verhalten auszeichnen“, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Die Organisation will demnach einen islamischen Staat unter Führung eines Kalifen errichten.
Einen „beinahe sektenartigen Charakter“ schreiben Ermittler der türkischen Furkan-Gemeinschaft zu. Die ist in Dortmund als „Furkan Kultur- und Bildungszentrum e.V.“ präsent. Die Gemeinschaft verfolge das Ziel, die „Islamische Zivilisation“ durchzusetzen. Im April 2023 fand während des Ramadan eine Großveranstaltung der Furkan-Gemeinschaft statt, die Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet und dem angrenzenden Ausland besuchten.
Linke Szene fordert Abschaffung von Dortmunder Polizeiwache
Weitere Organisationen aus dem Ausland: Die in Deutschland verbotene kurdische Partei PKK versucht nach Einschätzung der Verfassungsschützer über lokale Vereinsstrukturen, ihre Politik zu verbreiten. Sie organisiere ihre Anhänger nach sozialen Kriterien, auch nach Berufsgruppen. Zu den relevanten Organisationen wird der Verein Föderation der demokratischen Aleviten (FEDA) mit Sitz in Dortmund gezählt.
Die linksautonome Szene: Im Bereich der politisch motivierten Kriminalität von links bilanziert der Verfassungsschutzbericht für Dortmund einen Anstieg der Straftaten von 52 auf 60. Gesondert erwähnt wird die Gruppe „Defund the Police“, die unter anderem die Abschaffung der Polizeiwache Nord sowie selbst organisierte Strukturen für die Nordstadt fordere.
Die Forderung, Polizei und Justiz abzuschaffen, habe 2023 innerhalb der autonomen Szene noch einmal an Bedeutung gewonnen. Dortmund war eine der Städte, in denen entsprechende Demonstrationen stattfanden. Dabei wurde auch auf den Fall des von Polizisten erschossenen Mouhamed Dramé Bezug genommen.
Corona-Protestmilieu versucht neue Themen zu besetzen
Weitere verfassungsfeindliche Gruppen bestünden noch immer aus der Protestbewegung gegen die Corona-Maßnahmen heraus. „Teile dieser Bewegung gehen über legitimen Protest gegen das Regierungshandeln hinaus und verfolgen eine systemfeindliche Agenda“, urteilt der Verfassungssschutz.
Das Bündnis „NRW erwacht“ will demnach den harten Kern der einst als „Querdenker“ bezeichneten Corona-Protestszene vernetzen und so der nachlassenden Zahl der Demonstranten entgegenwirken. Dabei fiel den Ermittlern unter anderem eine Gruppe namens „Demokratischer Widerstand Dortmund“ auf.
„NRW erwacht“ versuche, mit aktuellen Themen wie Energiekrise oder Ukraine-Krieg wieder größere Teile der Gesellschaft zu erreichen; auch Rechtsextremisten und Reichsbürger nutzten die Versammlungen vereinzelt, um ihre Positionen zu verbreiten. Entsprechende Verbindungen sind demnach auch in Dortmund aufgefallen.