Dortmund. Dutzende Mordfälle sind seit Jahrzehnten ungelöst – jetzt rollt die Dortmunder Polizei viele davon neu auf. Es gibt Hoffnung auf neue Spuren.
Neue DNA-Spuren geben der Dortmunder Polizei Hoffnung in einem lange ungelösten Mordfall: 1991 wurde Heike Kötting (28) in Dortmund-Scharnhorst erstochen – die Täter sind bis heute unbekannt. Jetzt wird der Fall neu aufgerollt, weil neue Spuren Hinweise auf die Täter geben können. Auch „Aktenzeichen xy... ungelöst“ widmet sich dem Fall erneut. Mord verjährt schließlich nie!
Aber Heike Kötting ist nur einer von 42 ungelösten Mordfällen, die sich die „Ermittlungsgruppe Cold Cases“ wieder vornimmt. Und Dutzende weitere Fälle, für die es (vorerst) keinen Ermittlungsansatz gibt, schlummern in den Archiven. Dabei geht es nicht nur um Fälle aus Dortmund. Das Präsidium ist auch für Hamm und die Kreise Unna, Soest und HSK zuständig. Einige der 42 Fälle hat die Polizei am Freitag im Präsidium an der Markgrafenstraße vorgestellt.
„Cold Cases“-Ermittler bekommen teils „Schrankwände an Akten“
In den letzten Jahren habe sich die Kriminaltechnik massiv weiterentwickelt, erklärt Mordermittler Gregor Schmidt. Vor allem hochentwickelte DNA-Analysen führen oft zum Fahndungserfolg. Das zeigen auch diese beiden Fälle: Der Mörder von Nicole Schalla (16) aus Dortmund ist seit 2021 verurteilt – über 25 Jahre nach der Tat. Eine Hautschuppe wurde ihm zum Verhängnis. Der Mörder von Ursula Scheiwe (26) aus Soest wurde 2019 verurteilt, nachdem er 22 Jahre lang davongekommen war. Auch hier führten DNA-Spuren zum Täter.
Die „Ermittlungsgruppe Cold Cases“ des Dortmunder Präsidiums besteht aus vier erfahrenen Mordermittlern, weiteren Ermittelnden, einem Kriminaltechniker und drei „Rentner-Cops“, die für die Bearbeitung der Cold Cases aus dem Ruhestand zurückgekommen sind. Akten und Beweismittel liegen in der Hand von Staatsanwältin Gülkiz Yasir.
„Das sind manchmal Schrankwände an Akten“, weiß Gruppenleiter Gregor Schmidt. Jeden Tag setzen sich die Ermittlerinnen und Ermittler zusammen, besprechen Fälle, teilen neue Ansätze miteinander. Welche Zeugen könnte man neu befragen? Gibt es weitere Bekannte, die damals nicht einbezogen wurden? Welche Asservate könnte man neu nach Spuren untersuchen? Bei welchem Beweismittel ist die Hoffnung auf eine neue DNA-Spur am größten?
Mikrofaser-Abteilung des LKA untersucht Dortmunder Beweismittel nach DNA
Aber nicht nur in Dortmund wird fieberhaft an den Fällen gearbeitet, sondern auch beim LKA in Düsseldorf. Pro Fall gebe es rund 100 Folien, erklärt Schmidt – also Klebestreifen, mit denen damals Mikropartikel von Leiche, Boden, Tatwaffen gesichert wurden. Ist die Chance hoch, dass sich dort Hautschuppen, Härchen oder andere DNA-Spuren vom Täter verstecken? Dann schickt die Dortmunder Polizei die abgeklebten Spuren zur Mikrofaser-Abteilung nach Düsseldorf. Einen ganzen Tag dauere es, bis eine einzige Folie ausgewertet sei, erklärt Schmidt. Die Ermittelnden brauchen also vor allem eins: bissige Ausdauer.
Unter anderem diese „Cold Cases“ rollt die Dortmunder Polizei neu auf:
1991: Heike Kötting (28) wird in Dortmund-Scharnhorst erstochen
Dortmund 1991: Heike Kötting (28) wird am 25. Februar 1991 von Einbrechern in ihrem Bungalow in Dortmund-Scharnhorst getötet. Ihre Eltern finden die junge Karstadt-Dekorateurin am Morgen danach – sie wurde erstochen. Die Tatwaffe ist verschwunden. Die (vermutlich zwei) Täter müssen Ortskenntnisse gehabt und gewusst haben, dass ihr Opfer einen größeren Geldbetrag im Haus hatte. Täter und Opfer könnten sich also gekannt haben, vielleicht hatten die Täter aber auch nur einen Tipp. Das Kellerfenster jedenfalls, durch das die Einbrecher einstiegen, war gut versteckt und für Fremde nicht sichtbar. Kurz zuvor hatte sich Kötting von ihrem Freund getrennt. Um ihm bereits gezahlte Miete für das Haus zurückzuzahlen, hatte sie viel Bargeld abgehoben. Ihr Ex-Freund wusste das. Köttings roter Ford Fiesta wurde später (leer gefahren und von sämtlichen Spuren gereinigt) auf einer Raststätte in Frankreich gefunden.
Auch 33 Jahre danach ist die Tat ungeklärt. Jetzt hat die Dortmunder Polizei die damals abgeklebten Spuren in Düsseldorf untersuchen lassen und an Kellerschacht und Leiche DNA gefunden. Nur der Täter fehlt. Der Fall Kötting wird auch bei „Aktenzeichen xy... ungelöst“ (ZDF, 17. Januar 2023, 20.15 Uhr) gezeigt. Zudem ist eine Belohnung von 5000 Euro ausgesetzt.
1986: Anna Saußen (84) wird in Bergkamen ermordet
Bergkamen 1986: In ihrer Wohnung im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses wird Anna Saußen (84) ermordet. Die Polizei geht von einem Raubmord aus – die Seniorin hatte einen hohen Geldbetrag im Haus. Der Täter stieg über eine Leiter durchs Fenster ein, die er kurz vorher bei einem Bauern gestohlen hatte. Die Polizei geht davon aus, dass der Täter gute Ortskenntnisse und einen Bezug zu Bergkamen-Oberaden hatte. Zu bereits gefundenen DNA-Spuren kommt jetzt eine neue dazu: Auch an der Leiter haben die Ermittler Spuren gefunden. Jetzt scheint klar, dass die Spuren vom Täter stammen.
1986: Marc Gutte (11) wird tot in einem Maisfeld in Unna gefunden
Unna 1986: Der Mord an Marc Gutte (11) in Unna war ein besonders brutaler Gewaltexzess. Am 30. September 1986 will der Junge einen Freund besuchen – kommt dort aber nie an. Die Eltern vermissen ihn erst, als er abends nicht heimkommt. Tags darauf wird er tot in einem Maisfeld gefunden, durch den ein beliebter Trampelpfad führte. Hier muss ihm der Täter aufgelauert haben. Marcs Gesicht ist tief in die Erde gedrückt, sein Kopf weist massive Spuren stumpfer Gewalt auf, zudem hat er Würgemale. Ein Raubmord war es nicht. Auch kein Sexualmord. Auch hier bestehe berechtigte Hoffnung auf neue DNA-Spuren, erklärt Chefermittler Schmidt. Man hoffe zudem auf neue Zeuginnen oder Zeugen.
1977: Gastwirt Heinrich Brüggemann (37) wird in Arnsberg brutal erstochen
Arnsberg 1977: Mit unzähligen Messerstichen wird Kneipier Heinrich „Heino“ Brüggemann (37) in seinem Badezimmer gefunden. Täter und Opfer kannten sich vermutlich. Brüggemann hatte am Abend seines Todes einen jungen Mann kennengelernt – womöglich ist er der Täter. Am Tatort fand die Polizei auch ein Kondom mit DNA, die nicht von Brüggemann stammt. In der BKA-Datenbank ist die DNA des mutmaßlichen Täters nicht. Zudem fehlen die Tageseinahmen des Gastwirts und dessen Revolver.
1986: Josef Milata (67) wird in seiner Wohnung in Bergkamen erstochen
Bergkamen 1986: Der recht wohlhabende Josef Milata (67) lebt mit seinem Pflegesohn in einer Wohnung in Bergkamen. Als der Sohn spätabends aus der Disko zurückkommt, findet er seinen Vater tot in der Wohnung – erstochen und stranguliert. Der homosexuelle Milata hatte oft Besuch von jungen Männern, womöglich ist ein solcher Bekannter sein Mörder. Neue DNA-Spuren weisen auf zwei Personen hin, erklärt Ermittler Schmidt. Einer der Männer sei der Polizei inzwischen bekannt, er sei auch befragt worden. Aber hinreichender Tatverdacht bestehe nicht. Die Ermittlungen gehen weiter.