Dortmund. Freiheitsberaubung und Unverhältnismäßigkeit? Vor der Gedenkfeier für Mouhamed Dramé (16) werden Vorwürfe gegen das Dortmunder Ordnungsamt laut.
Trauriger Jahrestag: Vor genau einem Jahr starb Mouhamed Dramé (16) nach Schüssen aus einer Polizei-MP. Der eskalierte Polizeieinsatz in der Nordstadt zog in Dortmund nicht nur viel Trauer nach sich, sondern auch Wut – und langwierige Ermittlungen gegen die Einsatzkräfte der Polizei.
Vor Gedenkdemo am Jahrestag: Ärger mit Ordnungsamt
Am Jahrestag findet eine Gedenkfeier in der Nordstadt statt. Aber schon vor der eigentlichen Demo habe es Ärger mit dem Ordnungsamt gegeben, schreibt der "Solidaritätskreis Mouhamed" am Dienstagmittag auf X aka Twitter: "Wir waren gerade auf dem Nordmarkt. [...] Viele Gespräche, Tränen in den Augen mancher Leute – die Nordstadt weiß, welcher Tag heute ist. Tja, und dann kam das Ordnungsamt", heißt es im X-Post.
Demo-Anmelderin Iris Bernert-Leushacke bestätigt: Zwei Aktive des Soli-Kreises wollten auf dem Wochenmarkt Flyer für die Gedenkveranstaltung verteilen. Aber nach einer Beschwerde des Marktmeisters habe das Ordnungsamt die Materialen beschlagnahmt – laut behördlichem Schreiben "130 kleine Flyer, 85 mittelgroße Flyer, 4 große Flyer zum Aufruf einer Gedenkfeier". Der Rechtsgrund dafür sei auch Bernert-Leushacke schleierhaft. Da die Aktiven die Zettel nicht freiwillig hergaben, sei die Situation eskaliert.
Ordnungsamt beschlagnahmt Flyer und setzt Aktivisten fest
Das Solidaritätsbündnis wirft der Stadt auch Freiheitsberaubung vor. "Eine Person in Handschellen fast eine Stunde in den Räumlichkeiten des O-Amtes", heißt es auf X weiter, garniert mit dem Foto eines mit blauen Flecken übersäten Handgelenks. "Das war absolut unverhältnismäßig", meint Aktivistin Bernert-Leushacke.
Die Polizei Dortmund sei in den Vorfall nicht involviert gewesen, heißt es aus der Pressestelle. Die Stadt Dortmund äußerte sich am frühen Abend zu den Vorwürfen: Das Verteilen der Handzettel sei "nach der Wochenmarktsatzung nicht gestattet, so dass die Marktaufsichten nach Beschwerden mehrerer Markthändler den Kommunalen Ordnungsdienst der um Unterstützung gebeten haben". Leider seien die jungen Männer "äußerst unkooperativ" gewesen. Weil einer der Beiden "erheblichen Widerstand" leistete, sei er fixiert und ins benachbarte Ordnungsamts-Büro gebracht worden. Nach Personalienfeststellung und Sicherstellungsprotokoll seien ihm "die Handfesseln unverzüglich abgenommen" worden, schreibt die Stadt.
Was passiert zum Jahrestag von Mouhamed Dramés Tod?
Nicht nur am Jahrestag selbst gibt es Veranstaltungen zum Gedenken an Mouhamed Dramé. Stattdessen hat der "Solidaritätskreis Justice4Mouhamed" einen ganzen Aktionsmonat geplant. Los ging es schon am 27. Juli mit einem kritischen Vortrag über Gefängnisse, es folgen weitere Vorträge über Polizeigewalt. Auch die Demo vor dem Dorstfelder AfD-Büro war Teil der Aktionswoche. Die größten geplanten Veranstaltungen sind eine Demo am Jahrestag selbst und eine bundesweite Demo am 12. August.
Demo am 8. August in der Dortmunder Nordstadt:
Am Jahrestag des tödlichen Einsatzes ruft der Solidaritätskreis zu einer Demo am Tatort auf. Los ging es um 14.30 Uhr am Kurt-Piehl-Platz in der Nordstadt. Die Veranstaltung läuft bis zum Abend und ist eine reine Standkundgebung. Die Zahl der Teilnehmenden liegt im zweistelligen Bereich.
Demo "Es gibt 1000 Mouhameds" am 12. August:
Eine größere Demo "Es gibt 1000 Mouhameds" ist für Samstag nach dem Jahrestag geplant. Treffpunkt ist um 14 Uhr an der Katharinentreppe vor dem Dortmunder Hauptbahnhof. Die Demo wird live vom linken Aktionsradio "Radio Nordpol" übertragen. Erwartet werden laut Bernert-Leushacke 500 Teilnehmende von Initiativen und Betroffenen von Polizeigewalt in ganz Deutschland. Die Strecke des Demozuges: Katharinentreppe, Westenhellweg, Hansastraße, Freiherr-vom-Stein-Platz (gegenüber Wache Nord), Platz am Cinestar (Abschlusskundgebung).
Wie geht es mit den angeklagten Polizisten weiter?
Fünf Polizisten sind wegen der tödlichen Schüsse angeklagt. Aber der Prozess ist noch nicht terminiert – im März war noch von "zweiter Jahreshälfte" die Rede, inzwischen geht man von Ende 2023 aus. In Untersuchungshaft sitzt keiner der Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft hatte Mitte Februar Anklage erhoben. Dem Schützen wird Totschlag vorgeworfen. Drei Polizisten wurden wegen gefährlicher Körperverletzung, der Dienstgruppenleiter wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung angeklagt.
Was hat sich nach den Todesschüssen bei der Polizei geändert?
Der Fall Mouhamed beschäftigt die NRW-Landespolitik noch immer. Im Nachklang des eskalierten Einsatzes gab es einige Veränderungen bei der Polizei: So wurde etwa das Tragen von Bodycams zur Pflicht (allerdings liegt es im Ermessen der Einsatzkräfte, sie einzuschalten). Zudem wurden zwei zusätzliche Schulungstage pro Jahr eingeführt, um den Umgang mit bestimmten Gruppen oder mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen zu lernen. Ein weiteres Vorhaben der NRW-Polizei: Es sollen mehr Dolmetscherinnen eingesetzt werden. Aber das alles gehe nicht weit genug, erklärt Polizeiexperte Prof. Rafael Behr.
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