Dortmund/NRW. „Wir haben Grund, den Erzählungen der Polizei zu misstrauen“, sagt ein Experte und fordert die Kamerabilder als objektive Beweismittel ein.
Genau ein Jahr nach den tödlichen Polizeischüssen auf Mouhamed Dramé (16) in Dortmund fordert der Polizei-Experte Rafael Behr eine Einschaltpflicht für die Bodycams der Polizisten und Polizistinnen. „Immer noch bleibt es den Beamten überlassen. Das ist mangelhaft, das muss geändert werden“, sagte der Professor der Polizei-Akademie Hamburg am Dienstagmorgen im WDR.
„Denn wir haben Grund, den Erzählungen der Polizei zu misstrauen, gerade nach solchen Fällen“, so Behr. Da brauche es objektive Beweismittel. Auch beim tödlichen Einsatz am 8. August 2022 in Dortmund waren die Bodycams nicht eingeschaltet. Zudem hatten sich einige Einsatzdetails im Laufe der Ermittlungen anders dargestellt als zunächst von der Polizei angegeben.
Behr dringt auch auf andere grundlegende Veränderungen im Polizeiwesen. Er sehe nicht, dass sich „qualitativ oder strukturell eine Verbesserung einstellt“. Auch im Umgang mit psychiatrischen Fällen und beim Einsatz von Waffen sehe er Nachholbedarf.
Zwei zusätzliche Trainingstage "absolut zu wenig"
Behr halte zudem die zwei zusätzlichen Trainingstage pro Jahr, mit denen Polizeibeamte besser auf solche Situationen vorbereitet werden sollen, „für absolut zu wenig“. Trainings allein seien nicht genug. Ergänzend müssten Beamtinnen und Beamte für psychiatrische Notfallintervention ausgebildet werden. „Tatsächlich könnte sich die Polizei, wenn sie wollte, besser qualifizieren“, betonte der Hamburger Professor. Terrorlagen würden von der Polizei intensiv geübt. Das müsse auch für solche Fälle gelten.
Behr bemängelt zudem: Was Waffen und Instrumente für die Verteidigung angehe, denke die Polizei aktuell „vor allem in Richtung Aggressionssteigerung und Gewaltsteigerung“. Statt Maschinenpistolen könnten aber beispielsweise auch Distanzstangen eingesetzt oder nicht-tödliche Instrumente genutzt werden. „Da mangelt es an Fantasie“, konstatiert der Polizeiwissenschaftler.
Behr: Bei Waffen denkt Polizei „Richtung Aggressionssteigerung"
So seien die Beamten bei dem Einsatz im vergangenen August in dem Einsatzparadigma gefangen gewesen, den Fall schnell lösen „und als Sieger vom Platz gehen“ zu wollen, so Behr. „Und das bringt sie mehr ins Dilemma, als dass es Lösungen anbietet.“ Er hoffe sehr, dass es innerhalb der Polizei auch in diesem Punkt ein Umdenken gebe. „Beamten müssen lernen, mit psychiatrischen Fällen anders umzugehen als mit kriminalistischen“, mahnt der Wissenschaftler.
NRW schreibt Bodycams vor: Tragepflicht ohne Einschaltpflicht
NRW hatte Ende April eine Tragepflicht für Bodycams bei der Polizei vorgeschrieben. Eine Einschaltpflicht für die an der Uniform befestigten Kameras gibt es aber nicht. Bei dem tödlichen Polizeieinsatz in Dortmund waren die Bodycams der beteiligten Beamten nicht eingeschaltet.
Die Dortmunder Polizei war am 8. August 2022 zu einer Jugendhilfeeinrichtung in die Dortmunder Nordstadt gerufen worden, wo der 16-Jährige zunächst gedroht haben soll, sich mit einem Messer zu töten. Er wurde von der Polizei erst mit Pfefferspray und zwei Tasern beschossen. Schließlich schoss ein Polizist mit einer Maschinenpistole. Der Jugendliche, ein Geflüchteter aus dem Senegal, starb im Krankenhaus.
Dortmunder Polizeischüsse: Todesschütze und Kollegen angeklagt
Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Schützen Anklage wegen des Vorwurfs des Totschlags erhoben. Die vier anderen Polizisten müssen sich wegen gefährlicher Körperverletzung beziehungsweise Anstiftung dazu verantworten. Zum Jahrestag hat ein Solidaritätskreis zu einer Mahnwache in der Nähe des Einsatzortes in Dortmund aufgerufen. (epd/dpa)