Balve/Neuenrade/Hagen/Düsseldorf. In der heimischen Wirtschaft liegen die Nerven blank. Arbeitgeber funken zur Landesregierung SOS.
Verkehrschaos und kein Ende: In der heimischen Wirtschaft liegen die Nerven blank.
Dr. Sarah Schniewindt ist die wohl prominenteste Stimme der Industrie im Hönnetal. Sie ist Vorsitzende des Ortsverbandes Neuenrade im Märkischen Arbeitgeberverband. Obendrein amtiert sie als Vize-Präsidentin der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer (SIHK). Die Unternehmerin aus Neuenrade erklärte auf Anfrage der Westfalenpost: „Die aktuelle Sperrung der B 236 in Nachrodt-Wiblingwerde ist die dritte Hiobsbotschaft in zwölf Monaten, die die Verkehrsinfrastruktur an neuralgischen Punkten in unserer Region trifft - und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht die Letzte.“ Die Befürchtung der Wirtschaft, die regionale Verkehrsinfrastruktur würde nach Hochwasser und Vollsperrung der A 45 „schwerstbeschädigt“, habe sich bestätigt.
Im Juli 2021 richtete ein Jahrhundert-Hochwasser schwere Schäden im Lennetal an. Nur wenige Monate später, im Dezember 2021, wurde die Sauerlandlinie bei Lüdenscheid gesperrt. Die marode Rahmede-Talbrücke ist inzwischen abgerissen, ein Ersatzbauwerk indes noch in weiter Ferne. Vor gut einem Jahr wurden Brücken-Probleme in Altena offenbar. Zuletzt, im vorigen Dezember, sorgte ein weiteres Hochwasser für Schäden an der B-236-Brücke in Nachrodt-Wiblingwerde. Ein Bauunternehmen arbeitet daran, die Mängel per Stahlkorsett und Spezialbeton zu beheben.
Unterdessen hat die SIHK die jüngste Sperrung zum Anlass genommen, ihre Vollversammlungsmitglieder um Mitunterzeichnung eines Brandbriefes an NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer zu bitten. Damit will die SIHK ihre bereits im Sommer 2022 formulierten Forderung nach einem Infrastrukturbeauftragten Nachdruck verleihen. Bisher sei nichts passiert, hieß es.
Der Märkische Arbeitgeberverband (MAV) hat derweil bei seinen Mitgliedsunternehmen per Blitzumfrage nachgehakt, wie sie die Mobilitätsprobleme im Märkischen Kreis bewertet. Das Ergebnis ist NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubauer vorgetragen worden.
Obendrein habe ein Krisengespräch zwischen Ministerin Neubaur sowie Nachrodt-Wiblingwerdes Bürgermeisterin Birgit Tupat, SIHK-Geschäftsführer Dr. Ralf Geruschkat und MAV-Geschäftsführer Özgür Gökce stattgefunden, wie MAV-Sprecher Dr. Andreas Weber mitteilte. „Es war ein offener und konstruktiver Austausch der Beteiligten“, erklärte er. In dem Gespräch sei darum gegangen, die „Notlage der Gewerbetreibenden“ in Handel, Dienstleistung und Industrie darzustellen.
Weber nannte Details. 34 Betriebe von Iserlohn über Altena bis nach Plettenberg gaben innerhalb weniger Stunden an, von der jüngsten Brückensperrung negativ betroffen zu sein. Befragte Unternehmen fürchten, für Beschäftigte unattraktiv zu werden. Sie rechnen mit Abgängen. Zugleich argwöhnen sie einen Rückgang an Bewerbungen. „Die Folgen für die Bewerbung von Auszubildenden für das nächste Ausbildungsjahr sind noch gar nicht abzusehen“, hieß es.
Allerdings mochten etliche Unternehmen finanzielle Schäden bisher nicht beziffern. „Wer es sich zutraut, geht durchaus von vierstelligen Einbußen pro Tag aus“, notierte Weber. Aus einem Betrieb hieß es: „Durch die Brückensperrung erhöhen sich unsere Frachtkosten massiv, sowohl einkaufs- wie verkaufsseitig. Teilweise ist der benötigte Laderaum seit der Brückensperrung im Markt nicht vorhanden. Der administrative Aufwand der Logistikabteilung steigt massiv zur Organisation der benötigten Transporte. Kundenseitig gibt es wenig bis kein Verständnis für eventuelle ‚Sonderkosten‘.“ Eine andere Stimme aus der Wirtschaft: „Zulieferer lehnen die Zusammenarbeit ab oder erhöhen die Preise bei Beauftragung.“
Der Zeitverlust trifft Beschäftigte und Logistiker, Außendienstler und Geschäftsführungen.
Jenseits von Frust im Betrieb durch Zeitverlust stehen „Unterbrechung der Produktion aufgrund fehlender Mitarbeiter“ zur Rede.
Ministerin Neubaur hat, wie es hieß, Verständnis geäußert. MAV-Sprecher Weber: „Die Ministerin hat unterstrichen, dass diese wichtige Wirtschaftsregion – wieder einmal – unverschuldet in eine Notlage geraten ist. Es soll geprüft werden, wie das Land möglichst schnell und unbürokratisch im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützen kann.“ Förderinstrumente in Folge der A-45-Sperrung könnten, wie es hieß, „als Grundlage dienen“.