Frühlinghausen. Fabian Schulte arbeitet für eine israelische Firma mit Wurzeln im Kibbuz. Am 7. Oktober metzelt die Hamas Kollegen.

Die Welt ist klein in Frühlinghausen. Fabian Schulte indes hat im Wohnzimmer die ganze Welt im Blick, buchstäblich, als Deko über dem Klavier. Der Vorsitzende des Musikvereins „Amicitia“ Garbeck ist hauptberuflich für einen Konzern im Einsatz, zu dem Tochterunternehmen in aller Welt gehören. Das Unternehmen heißt Kafrit Group. Verbraucher kennen eines seiner Produkte: die Kunststofffolie für verpackte Lebensmittel, unter der sich im Kühlregal kein sichtbares Kondenswasser bildet. Auch Landwirte kennen Produkte von Kafrit: UV-feste Folien, die Strohballen vorm Verderb retten. Gegründet wurde Kafrit im israelischen Kibbuz Kfar Aza. Seit dem Überfall der palästinensischen Terrorgruppe Hamas kennt das Dorf die ganze Welt.

Grauen braucht keine Worte

Fabian Schulte sitzt nach einem langen Arbeitstag im Wohnzimmer, nippt an einem Glas Wasser. Er trägt ein T-Shirt seines Arbeitgebers: weiße Baumwolle mit rotem K. Der gebürtige Garbecker – manche in Frühlinghausen necken ihn deswegen – ist in deutschen Landen als Nachhaltigkeitsmanager unterwegs. Fabian Schulte neigt nicht zum Überschwang, er wägt seine Worte, spricht druckreif. Besonnen sein heißt allerdings nicht, dass er kein Mitgefühl besitzt. Im Gegenteil: Der Angriff auf das Kibbuz hat ihn tief getroffen. Von rund 400 Einwohnern sind mindestens 52 ermordet worden, weitere 20 Personen, vielleicht sind es mehr, werden vermisst. Unter den Toten sind Kolleginnen und Kollegen, darunter Kafrit-Vorstand Aviv Kutz und seine Familie. Nach dem Gespräch wird Fabian Schulte ein Pressebild der hingerichteten Familie zeigen. Das Grauen braucht keine Worte.

Fabian Schulte will aber nicht nur Emotionen wecken, er will Hintergründe erklären, Verständnis wecken, für seinen Arbeitgeber und dessen Produkte. Er hat keinen Job, er hat eine Aufgabe. Fabian Schulte setzt in Schulen auf Dialog, überreden will er nicht, er will überzeugen – übrigens auch für einen Arbeitsplatz in Südwestfalen.

Bunker allgegenwärtig

Dennoch ist Fabian Schulte dieser Tage mit Gedanken und Gefühlen im Süden Israels, in Kfar Aza, dem Dorf, von dem aus Gaza-Stadt zu sehen ist, dem Dorf, aus Kafrit hervorging: „Von 160 Mitarbeitern wohnen 35 im Kibbuz. Viele andere wohnen in Kibbuzim drum herum.“

Ein Bild der Zerstörung: Der Kibbuz wurde im Oktober von Hamas-Terroristen angegriffen. Foto: Ilia Yefimovich/dpa
Ein Bild der Zerstörung: Der Kibbuz wurde im Oktober von Hamas-Terroristen angegriffen. Foto: Ilia Yefimovich/dpa © dpa | Ilia Yefimovich

Der 7. Oktober 2023 ist für Fabian Schulte das, was für viele andere Menschen der 11. September 2001 war; ein Tag, den er nie vergessen wird. „Ich habe morgens um sieben mein Handy angemacht, und die Headline lautete: Hamas beschießt Israel mit Raketen. Raketen alleine bedeutet in Israel nicht gleich Chaos. Das sind die Menschen relativ gewohnt.“ Fabian Schulte erklärt, warum. Er spricht von der präzisen Raketenabwehr der Israelis, von den allgegenwärtigen Bunkern im Umfeld von Gebäuden. Fabian Schulte hat vor Ort in Israel erlebt, dass das Kafrit-Team entspannt mit der Bedrohung umging. Doch am 7. Oktober ist etwas anders. Es geht nicht um einzelne Raketen, es geht um Tausende. Schnell wird klar: Die Masse legt sogar Israels top-moderne Raketenabwehr lahm. „Das versetzt in Panik“, stellt Fabian Schulte fest. Als er erfährt, dass immer mehr Terroristen nach Israel eindringen, fragt er in der Konzernzentrale nach. „Die erste Antwort, die von meinem Chef kam, lautete: It’s bad.“ Es ist übel. „Das schreibt er sonst nie. Die Israelis haben sonst immer die Haltung: Wir kriegen das schon hin.“

Die erste Antwort, die von meinem Chef kam, lautete: It’s bad.
Fabian Schulte, Nachhaltigkeitsmanager

Doch diesmal ist alles anders. Terroristen kommen mit Motorseglern, mit Mopeds, zu Fuß, und es werden immer mehr. „Als dann mein Chef schrieb, dass er nicht zu allen Kontakt hat, da wusste ich: Das ist ein ganz andere Dimension“, sagt Fabian Schulte. „Das hat Israel unheimlich angefasst. Es gibt 1400 Ermordete, es gibt dabei diese unfassbare Brutalität, diese Menschen sind nicht einfach nur ermordet worden, sie sind bestialisch hingerichtet worden, und dann kommt dazu das Gefühl, als Nation kollektiv versagt zu haben.“ Und dann?

Leben steht still

Das Leben im Kibbuz steht seither still. Zu den Toten kommt buchstäblich verbrannte Erde. Die Firma allerdings – sie steht. Doch die Produktion läuft andernorts. Kfar Aza ist seither militärische Sperrzone. Und die Menschen?

„Das war für alle ein riesiger Schock“, hat Fabian Schulte, „das kriegst Du auch über tausende Kilometer mit.“ Doch plötzlich rückt das zuvor gespaltene Land zusammen. Es gibt gegenseitige Hilfe. „Und die, die trauern erst mal. Für meinen Chef war das so: Da haben die ersten Wochen nur aus Beerdigungen bestanden. Von einem Vorstandschef wird erwartet, dass er Flagge zeigt.“ 70 Beerdigungen waren es am Ende. Denn Trauer wird geteilt. Betroffene wollen sprechen, wieder und immer wieder.

Viele Bewohner wurden bei den Angriffen im Kibbuz Kfar Aza ermordet. Foto: Ilia Yefimovich/dpa
Viele Bewohner wurden bei den Angriffen im Kibbuz Kfar Aza ermordet. Foto: Ilia Yefimovich/dpa © dpa | Ilia Yefimovich

Doch was Fabian Schulte an Israel fasziniert: Die Juden seien stets verfolgt worden. Doch sie hätten nie aufgegeben. Trotz Terror und Trauma habe sich Israel eine Lebensfreude bewahrt: Das lässt Fabian Schultes Augen leuchten, tausende Kilometer von Kfar Aza entfernt in Frühlinghausen.