Hagen/Tel Aviv/Gaza. Der Hagener Kriegsfotograf Andy Spyra ist auch in Israel im Einsatz und berichtet von einem surrealen Mischbild vor Ort.
Während des Telefonats kracht es furchtbar laut. Genau in diesem Moment holt der „Iron Dome“, ein Abwehrsystem für Raketen, Artillerie- und Mörsergranaten, das in Israel entwickelt wurde, eine Rakete vom Himmel. Knappe sieben Sekunden später spürt Andy Spyra den Druck der Detonation der abgefangenen Hamas-Rakete. An einem nahe gelegenen Strand spielen die Menschen weiter Volleyball, einige andere gehen unberührt spazieren. Der Hagener Kriegsfotograf Andy Spyra berichtet von einer bizarren Situation.
Unsere Zeitung und Andy Spyra kommen immer wieder in Kontakt, wenn auf der Welt Kriege wüten. Nigeria, Afghanistan, Ukraine – und jetzt Israel. Vor zweieinhalb Wochen kam er erst aus Kiew zurück, nun machte er sich mit einem Reporter des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) auf den Weg Richtung Gaza-Streifen und Richtung palästinensische Autonomiegebiete. Er war in Sderot, fünf Kilometer vom Gaza-Streifen entfernt.
In den Gaza-Streifen selbst, sagt Andy Spyra, würde er sich nicht begeben, wenn die Bodenoffensive Israels beginnen sollte. „Das wird Tausende Menschenleben kosten. Und Häuserkampf ist ein militärischer Albtraum. Man weiß nicht, was hinter der nächsten Ecke vor sich geht. Es ist unwahrscheinlich, dass man als Reporter dann so nah dran sein wird“, sagt der 39-Jährige.
Die Stimmung beschreibt Spyra aktuell als angespannt. Man sehe viele bewaffnete Menschen, auch Zivilisten. In Israel gebe es ein fortschrittliches Raketensystem, den Iron Dome, der wohl der Grund für das „surreale Mischbild“ ist, das Spyra beschreibt. Die Menschen wiegen sich in scheinbarer Sicherheit. Das hat aber auch mit der Entfernung zur Front oder zum kriegerischen Geschehen zu tun. In Tel Aviv, weiter entfernt, gehen die Menschen sichtbar schneller zum Tagesgeschehen über als in Sderot, was nah am Gaza-Streifen liegt und wo nur eine viel kürzere Zeit bleibt, sich in Sicherheit zu bringen.
Wachsamkeit ist ohnehin eine wichtige Fähigkeit für Kriegsreporter. „Hier sind die Journalisten aber gut organisiert. Es gibt Whatsapp-Gruppen, in denen man sich austauscht. Ich muss sagen, dass ich mich zum Beispiel in Nord-Nigeria unsicherer gefühlt habe. Dort sorgt die islamistisch-terroristische Gruppierung Boko Haram bekanntlich für eine gefährliche Sicherheitslage.
Es sei überdies entscheidend, wie weit man sich von der Front weg befinde, erklärt Spyra, der mit einem Kollegen des RND unter anderem eine Frau besuchte, die die Angriffe der Hamas auf ein Festival in Israel am 7. Oktober mitbekommen hat. Sie besuchten auch eine palästinensische Protestaktion und von israelischen Siedlern beschossene Palästinenser. Andy Spyra erklärt, sich selbst erstmal wieder eingelesen zu haben in den langen Konflikt um Land, Gebiete, Raum und Glauben. Jeder Vorgang, jedes Handeln, jede Reaktion stehen in einem historischen und religiösen Kontext, der nicht in Schwarz und Weiß, in gute und schlechte Seite, in Recht und Unrecht beantwortet werden kann. Gefühle, Zugehörigkeiten, historische Vorgänge und externe Einmischungen – der Konflikt im Nahen Osten ist diffus.
Aktuell ist Spyra nach langen Reisen in den Hagener Süden zurückgekehrt. Vor zwei Monaten war er mal 15 Tage zuhause. Zuletzt war er in Tunesien, der Ukraine und eben Israel. Alsbald wird er wieder nach Israel fliegen. In die nächsten Kriegsberichterstattungen.