Beckum/Münster. Ein winziger Backenzahn schreibt Evolutionsgeschichte. Dr. Achim Schwermann und sein LWL-Team entdeckten ihn bei Balve. Was ist daran besonders?

Er schwebte auf Wolken sieben. Dabei lag der Grund seiner Freude tief im Boden des alten Steinbruchs Busche in Beckum, 125 Millionen Jahre lang. Dr. Achim Schwermann, Grabungsleiter eines Forschungsteams des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), kann sich noch genau an den Tag erinnern, als die frohe Botschaft per WhatsApp von der Universität Bonn kam. Sie bestätigte, dass in Beckum erneut eine bisher unbekannte Säugetierart der Urzeit gefunden worden war. Mittlerweile sind es sechs. Beim jüngsten Fund steht ein winziger Backenzahn für eine große Entdeckung.

Dino-Talk mit Dr. Achim Schwermann vom LWL. Er ist seit 2017 Grabungsleiter in Beckum.
Dino-Talk mit Dr. Achim Schwermann vom LWL. Er ist seit 2017 Grabungsleiter in Beckum. © WP | jürgen overkott

„Der Zahn ist perfekt erhalten“, schwärmt Professor Dr. Thomas Martin. Er ist Experte für Säugetiere aus der Zeit der Dinosaurier an der Universität Bonn. „Absolut bemerkenswert ist, dass dies erst der sechste Zahn dieser Tiergruppe ist, den wir aus der Zeit der Unterkreide in Europa kennen. Für das europäische Festland ist es sogar der erste Zahn dieser Art, alle anderen stammen aus England.“

+++ BECKUM: LWL BRAUCHT DINO-JÄGER +++

LWL jagt in Beckum Dinos mit Ehrenamtlern. Möglich wird das unter anderem durch Zusammenarbeit von Grabungsleiter Dr. Achim Schwermann und Ortsvorsteher Georg Wortmann.
LWL jagt in Beckum Dinos mit Ehrenamtlern. Möglich wird das unter anderem durch Zusammenarbeit von Grabungsleiter Dr. Achim Schwermann und Ortsvorsteher Georg Wortmann. © WP | jürgen overkott

Dinos sind inzwischen – bis auf Vögel – Geschichte. Säugetiere indes haben sich weiterentwickelt. In der Kreidezeit, vor 125 Millionen Jahren, waren Dinos mitunter extrem groß. Säuger indes brachten über Millionen von Jahren zunächst nur kleine Formen hervor. „Entsprechend klein sind auch ihre Fossilien. Fundstellen, die Fossilien von Säugetieren aus der Zeit der Dinosaurier liefern, sind weltweit selten, und die winzigen Überreste zu finden ist eine mühselige und langwierige Aufgabe. Es gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, sagt Schwermann.

Wunsch wird wahr

Die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen sucht der LWL bereits seit 20 Jahren, zunächst unter Führung des Paläontologen Dr. Klaus-Peter Lanser, seit 2017 leitet Dr. Achim Schwermann die Forschergruppe aus Hauptamtlichen, Studenten und Ehrenamtlern aus Westfalen. Ihre Arbeit gleicht bei flüchtiger Betrachtung einem Sandkastenspiel, der Steinbruch einem Abenteuerspielplatz. Warum?

„In Balve schlämmen wir jeden Sommer etliche Tonnen Sedimente aus der Zeit der Dinosaurier, um auch noch die kleinsten Reste von damaligen Wirbeltieren zu finden“, erläutert der LWL-Experte. Was, bitte, ist Schlämmen?

Darunter ist das Waschen der Ablagerungen über verschiedene Siebe zu verstehen. Die kleinste Maschenweite beträgt 0,5 Millimeter. Die feineren Sedimentpartikel, etwa 90 Prozent des Materials, werden ausgewaschen, um die winzigen Fossilien frei zu legen. Die Mühe lohnt. „Mit dieser Methode wurden in der Vergangenheit schon beachtliche Erfolge in Balve erzielt und auch der neueste Fund des Zahns zeigt, dass wir damit spannende Ergebnisse erreichen können“, fügt Schwermann hinzu. Was macht den Fund besonders?

+++ SENSATION IN BECKUM: DAS GEHEIMNIS DER LANGHALS-DINOS +++

LWL jagt in Beckum Dinos mit Ehrenamtlern. Möglich wird das unter anderem durch Zusammenarbeit von Grabungsleiter Dr. Achim Schwermann und Ortsvorsteher Georg Wortmann.
LWL jagt in Beckum Dinos mit Ehrenamtlern. Möglich wird das unter anderem durch Zusammenarbeit von Grabungsleiter Dr. Achim Schwermann und Ortsvorsteher Georg Wortmann. © WP | jürgen overkott

Der neue Zahn ist nicht nur aufschlussreich, er ist sogar einzigartig. Schwermann betont, der Grundaufbau der unteren Backenzähne dieser Tiergruppe sei schon vor dem Fund in Beckum bekannt gewesen. Doch seine Ausgestaltung markiert eine evolutionäre Weichenstellung. Der Zahn ist nicht nur spitz, wie Forscher ihn von Insektenfressern kennen – er passt mit seinem Gegenstück im Oberkiefer auch zusammen wie Mörser und Stößel. „Und da weltweit kaum Zähne dieser Form aus der Zeit der Unterkreide bekannt sind, überrascht es wenig, dass es sich bei diesem Fund um den Beleg einer neuen Gattung und Art handelt,“ ergänzt Schwermann.

Wenn Forscher eine neue Tierart entdeckt haben, dürfen sie ihr einen Namen verpassen. Sie heißt nun Spelaeomolitor speratus. Hä? Tatsächlich erzählt der lateinische Name eine Geschichte. Der Gattungsname bedeutet so viel wie „Höhlenmüller“. Die Höhle meint dabei den Fundort: einen Karsthohlraum, in den in der Kreidezeit Ablagerungen wurden eingespült wurden. Die Bezeichnung Müller verweist auf die mechanische, mahlende Struktur, die für diese Tiergruppe charakteristisch ist. Und die Artbezeichnung speratus bedeutet „erhofft“ (lateinisch). Dieser Fund war lange erwartet worden. Und Schwermann erwartet noch mehr.