Balve. Pfarrerin Antje Kastens geht im Herbst in den Ruhestand. Wie sich Balve erarbeitet hat, was ihr wichtig ist, wohin geht.
Die evangelische Pfarrerin Antje Kastens geht im Herbst in den Ruhestand. Zeit, zurückzublicken und auch nach vorn.
Wir treffen uns im Besprechungszimmer des Pfarrbüros, Kaffee steht schon auf dem Tisch, die Gesprächspartnerin hat Teilchen besorgt.
Wie hat sich die Pfarrerin eine Region erschlossen, die für sie Neuland war?
„Ganz neu, ja. Hier war ich noch nie“, sagt die gebürtige Ostwestfälin. Elf Mal ist sie umgezogen. „Ich
komme vom Mittellandkanal. Aber ich habe über zehn Jahre in Tübingen gelebt.“ Was Ostwestfalen und Tübingen eint: Beide Regionen gelten als protestantisches Kernland – Balve indes ist kurkölnisch-katholisch geprägt.
So viele Ortswechsel – kann man da Wurzeln schlagen? „Das stimmt nicht“, entgegnet die Pfarrerin entschieden, „es kommt darauf an, ob man Beziehungen hat und ob man sie pflegt. Ich habe Beziehungen nach Petersburg und nach Taipeh. Ich habe gar keine Probleme, auch nach Tübingen nicht, zur Gemeindesekretärin. Wir telefonieren jedes Jahr zwei Mal. Es ist eine Frage der Intensität der Beziehungen.“
Dazu ist sie offenkundig in der Lage. „Was echt ist, bleibt auch“, stellt die Theologin fest.
Erstes Projekt Sportabzeichen
Aber meine erste Frage hat sie noch nicht beantwortet, also frage ich nach. „Hm“, sagt sie, „vom Gemeindemanagement her habe ich die Instrumente. Ich habe geguckt, wie viele Firmen gibt es hier, welche Infrastruktur, wie ist die Verkehrslage, welche Schulen gibt es, wie viele Kinder, welche Vereine.“ Und da hat Antje Kastens schnell eine Erkenntnis gewonnen: Ihr Herzensprojekt Jungbläser wäre krachend gescheitert – Musikvereine gibt es im Stadtgebiet reichlich, Jugendarbeit inklusive.
+++ PFARRERIN KASTENS UND DIE NACHFOLGE +++
Anderes war lohnender. „Meine erste Frage lautete: Kann ich hier mein Sportabzeichen machen?“ Antje Kastens hat die Möglichkeiten erkannt, und sie hat sie genutzt.
Wer sich ortskundig macht, lernt, was läuft, was lahmt und was Kompromisse erfordert. Die Hönnetalbahn, beispielsweise, mag sich für den Freizeitverkehr lohnen. Für berufliche Verpflichtungen taugt sie nicht: „Ich bin wahnsinnig viel gefahren“, gesteht die Seelsorgerin.
Zudem wurde ihr alsbald klar, wo persönliches Erscheinen erforderlich ist. Beerdigungen halfen. Die traurigen Anlässe geben immer wieder Anlass zum sehr persönlichen Gespräch. Ausgerechnet Abschiede für immer verhalfen der Gemeinde zu neuem Leben. Aus Gesprächen nach einer Beisetzung wurden Kontakte im Gottesdienst. „Die Leute haben mir gesagt: Sie hören genau hin – sie machen das sehr persönlich. Die Leute haben gemerkt, ich nehme sie ernst, und da haben sie auch die Kirche ernst genommen.“
+++ DAS OSTERPROGRAMM DER BALVER GEMEINDEN +++
Die Person und die Kirche: Pfarrerin Kastens hat stets klar gemacht, dass sie keine Psychologin, sondern eine Seelsorgerin ist: „Man kriegte mich nicht ohne die Sache. Ich habe aber den Menschen nie über den Kopf gepredigt.“ Sie hat nach außen wie nach innen gewirkt. Sie hat sich an Kirchenferne wie an Gemeindemitglieder gerichtet: „Das größte Glück ist für mich, wenn sie Mitarbeiter werden.“ Antje Kastens erfreut sich einer riesigen Helferschar, vom Presbyterium über Jugendteam und Frauenhilfe bis Flüchtlingscafé für Menschen aus der Ukraine. „Wir haben sogar Mitarbeiter, die sind katholisch.“ Antje Kastens huscht ein verschmitzter Ausdruck übers Gesicht. „Ich habe nie nach Konfession gefragt.“ Das alles klingt nach viel Arbeit. Aber die Pfarrerin betont: „Es macht auch Spaß. Es bringt ihnen ‘was.“ Ihr geht’s um Freude, um Sinn.
Dinge schwinden
Zugleich weiß die Theologin, dass sie nicht alle Menschen glücklich machen kann. Es gebe auch „leise Abschiede“. Sie sehe Dinge schwinden, und sie lasse sie auch schwinden. „Ich bin fürsorglich, aber ich investiere nicht meine neuen Projekte dort.“
+++ DARUM IST EVANGELISCHE GEMEINDE BALVE ATTRAKTIV +++
Das Ende ihres Berufsleben ist mit einem Neubeginn der Gemeinde verbunden. Weniger Gemeindemitglieder, weniger Pfarrer, weniger Kirchensteuer: All das erzwingt Änderungen – auch in Balve. Die Gemeinde arbeitet künftig stärker mit Protestanten in Deilinghofen zusammen. „Ich bespreche gern Dinge, bevor sie spruchreif werden. Denn ich weiß, diese Dinge brauchen Korrektur. Deshalb habe ich die Mitarbeiterschaft in den letzten Monaten mitgenommen. Das verstehe ich unter Verantwortung.“
WARUM JUGEND SO WICHTIG IST
Jugendarbeit ist Pfarrerin Antje Kastens seit ihrem Amtsantritt in Balve im Oktober 2017 immer wichtig gewesen: „aber nicht aus taktischen Gründen“. Sie betont: „Mir geht es nicht darum, neue Gemeindemitglieder zu rekrutieren – die jungen Leute sind die Zukunft unseres Landes und dieser Welt. Wir brauchen Menschen, die Rückgrat haben, aber auch an den Herausforderungen dieser Welt nicht zerbrechen.“ Die Theologin versteht ihre Arbeit als Ermutigung. Das bleibt bei Konfirmanden hängen. Sie halten den Kontakt noch nach Jahren. Offenbar wirkt Pfarrerin Kastens durch Rat und auch durch Vorbild. „Ich trete leise auf. Aber wenn ich etwas sage, dann ist es auch nötig.“ Darauf können sich die Mitmenschen in ihrer neuen Wahlheimat bei Osnabrück schon mal einstellen.