Balve. Generationenwechsel in Balves Evangelischer Gemeinde. Pfarrerin Antje Kastens geht im Herbst. Für die Nachfolge gibt’s einen ungewöhnlichen Plan.

Pfarrerin Antje Kastens geht im Herbst in den Ruhestand. Nachlassende Kirchenbindung und Personalmangel erlauben einerseits keine gleichwertige Neubesetzung mehr. Die Evangelische Gemeinde in Balve aber mit einem interprofessionellen pastoralen Team und einer pfarramtlichen Verbindung mit der alten Muttergemeinde ihr Ziel erreichen: weiter 100 Prozent Präsenz und Seelsorge vor Ort.

Evangelische Gemeinde Balve weiht renovierten Gottesdienstraum mit
Evangelische Gemeinde Balve weiht renovierten Gottesdienstraum mit "Musikalischer Andacht" ein. © Evangelische Gemeinde Balve

„Wenn wir die Chance hätten, dann würden wir Antje Kastens noch mindestens 20 Jahre hier behalten“, lacht Presbyterin und Kirchmeisterin Silke Hoppe. Kastens, die 2017 ins Hönnetal kam, sei ein Glücksfall für die Gemeinde. Und dennoch beschäftigt alle die Zukunftsfrage der kleinen Gemeinde mit ihren gut 2100 Mitgliedern. Abnehmende Kirchenbindung mit entsprechend weniger Steuereinnahmen (obwohl es in Balve zuletzt ja sogar mehr Eintritte gab; WP berichtete), eine Inflation die auch vor den Gemeindesäckel nicht Halt macht und nicht zuletzt auch fehlender Nachwuchs an Pfarrerinnen und Pfarrern machen überall Sorgen.

Ruhestand zum 1. November

Die Evangelische Kirche von Westfalen reagiert darauf, dass mittelfristig als neuer Maßstab für eine 100-prozentige Pfarrstelle 4000 Gemeindemitglieder gerechnet werden. Davon ist Balve weit entfernt.

Junge Gemeindemitglieder wie Zoe, Ellen, Mika und Linus aus dem Katechumenenkurs haben ein buntes Plakat gebastelt. Darauf steht „Wir sind Kirche“. Die Katchumenen treffen sich mit Pfarrerin Antje Kastens jeden Donnerstag für eine Stunde zum Unterricht, diskutieren über Gott und Welt, Leben und Tod. Sie machen bei der Projekten und Gottesdiensten mit und werden mit ihren Kurs-Freunden am 1. Oktober 2023 konfirmiert.
Junge Gemeindemitglieder wie Zoe, Ellen, Mika und Linus aus dem Katechumenenkurs haben ein buntes Plakat gebastelt. Darauf steht „Wir sind Kirche“. Die Katchumenen treffen sich mit Pfarrerin Antje Kastens jeden Donnerstag für eine Stunde zum Unterricht, diskutieren über Gott und Welt, Leben und Tod. Sie machen bei der Projekten und Gottesdiensten mit und werden mit ihren Kurs-Freunden am 1. Oktober 2023 konfirmiert. © Evangelische Gemeinde Balve | Pfarrerin Antje Kastens

Mehrere Entscheidungen sind gefallen: Antje Kastens, demnächst 65, geht offiziell zum 1. November in den Ruhestand. Die Konfirmation am 1. Oktober wird ihre letzte Amtshandlung in Balve werden. Ihre offizielle Verabschiedung wird wegen des vollen Terminkalenders von Superintendentin Martina Espelöer schon eine Woche früher, am 24. September stattfinden.

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Wie geht es in Balve weiter? Kastens und Hoppe erläutern die verschiedenen Szenarien die für die heimische Gemeindeleitung im Bereich des Möglichen waren. Mit der aktuellen Zahl an Gemeindemitgliedern hätte die Landeskirche nur noch eine 60-prozentige Pfarrstelle finanziert. „Auf die hätte sich niemand beworben“, ist Silke Hoppe überzeugt: 60 Prozent Bezahlung, aber am Ende 100 Prozent Arbeit.

Auch eine Aufstockung des Umfangs durch überörtliche Aufgaben, etwa in der digitalen Seelsorge, schied schnell aus.

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Eine andere Möglichkeit wäre die Fusion mit anderen Kirchengemeinden gewesen, Hemer, Ihmert und Deilinghofen standen im Raum als neuer großer Verbund. In dem wäre Balve aber nur ein Teilgebiet gewesen, seelsorglich versorgt von außerhalb, betonen die Balver Verantwortlichen. „Balve soll nicht Verteilmasse anderer Gemeinde werden“, betont Antje Kastens. Das wichtigste Ziel sei es, einen festen Ansprechpartner vor Ort zu haben.

Randlage im Kirchenkreis

Geflüchtete aus der Ukraine in Balve. Die Evangelische Gemeinde öffnet ihr Gemeindehaus. Presbyterin Jutta Wilmes und ihr Team kümmern sich.
Geflüchtete aus der Ukraine in Balve. Die Evangelische Gemeinde öffnet ihr Gemeindehaus. Presbyterin Jutta Wilmes und ihr Team kümmern sich. © WP | jürgen overkott

Auch wegen der in mehrfacher Hinsicht besonderen Lage: geografisch am Rand im Kirchenkreis Iserlohn, getrennt durch Berge, die Wege sind weit. Und die Situation der Diaspora, einer kleinen evangelischen Gemeinschaft im katholisch geprägten Balve, ist auch einzigartig in diesem Verbund – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Arbeit, wie Pfarrerin Antje Kastens berichtet. Deshalb habe sich dann auch das Presbyterium gegen den Zusammenschluss mit mehreren anderen Gemeinden entschieden, die Schäfchen in Balve wären damit wohl zu kurz gekommen.

Die Möglichkeit, weiter einen Seelsorger oder eine Seelsorgerin in Balve vor Ort zu haben mit 100-prozentigem Umfang, ergibt sich durch ein in der Evangelischen Kirche noch neues Modell namens Interprofessionelles Pastoralteam. Das heißt konkret, dass in Balve künftig nicht mehr ein Pfarrerin oder Pfarrerin arbeiten werden, sondern ein Gemeindepädagoge/-pädagogin oder Diakon/-in. Dessen theologische Ausbildung ist ebenfalls umfangreich. „Der oder die darf und wird auch alles machen, was ich mache: Gottesdienste feiern, predigen, taufen, beerdigen, Seelsorge betreiben et cetera.“

Weder Kirchensiegel noch -buch

Nur eines nicht, was eher im administrativen Bereich liegt: das Führen des Kirchensiegels und des Kirchenbuches. Diese Zuständigkeit wandert demnächst in eine benachbarte Gemeinde, die Kastens „Mutterkirche und demnächst dann Schwesterkirche von Balve“ nennt.

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Jubelkonfirmation in Balve: Drei Jubiläen wurden von der Evangelischen Gemeinde gewürdigt.
Jubelkonfirmation in Balve: Drei Jubiläen wurden von der Evangelischen Gemeinde gewürdigt. © Evangelische Gemeinde Balve | Evangelische Gemeinde Balve

Bis 1933 wurden die evangelischen Christen in Balve von Deilinghofen aus betreut. Nun geht man mit der dortigen Gemeinde eine sogenannte Pfarramtliche Vereinbarung ein. Deilinghofen kann deshalb eine 100-prozentige Pfarrstelle ausschreiben, Balve eine oben genannte ebenfalls in vollem Umfang. Balve behalte auch seine Eigenständigkeit und Hoheit über die Finanzen, erklärt Silke Hoppe, auch den Namen oder das Gemeindebüro und alles andere vertraut.

Die beiden Seelsorger in Balve und Deilinghofen werden dann als Team auf Augenhöhe arbeiten, sich auch mal gegenseitig vertreten bei Urlaub und Krankheit, wie es immer schon praktiziert wurde. Die Idee dieses neuen Modells hat man vor Ort in Balve ausgearbeitet, natürlich auch mit Deilinghofen besprochen. Die Zustimmung der westfälischen Landeskirche gilt als Formsache.