Balve. Manche Forstbesitzer wähnten im vorigen Winter ein Ende der Borkenkäferkatastrophe. Sie sollten sich irren. Die Lage ist so schlimm wie nie zuvor.

Förster Richard Nikodem vom Landesbetrieb Wald und Holz kommt sofort zur Sache. Dürre hin, Borkenkäfer her: „Die Lage ist bescheiden.“ Für sein Grummeln hat der Wald-Experte gute Gründe.

Trockenjahre bescheren Bäumen einen geringen Holzzuwachs.  
Trockenjahre bescheren Bäumen einen geringen Holzzuwachs.   © WP | Jürgen Overkott

Ein alter Bekannter beschert der Branche ein neues Problem: „Die Borkenkäfer haben in nie vorher gekannten Zahlen den Winter überlebt und sind bereits zwei Wochen früher als nach Lehrbuch mit der ersten Generation ins Jahr gestartet“, stellt Nikodem genervt fest.

Die von der Waldschutzabteilung an Probestandorten in ganz Nordrhein-Westfalen ermittelten Zahlen seien „gigantisch“, klagt Nikodem. Zwischen 350.000 bis über zehn Millionen Käfer je Hektar haben demnach den Winter überlebt. Nikodem weiß, dass trockene Daten ein Problem, sein Problem kaum fassbar machen. Deshalb bringt der Baum¬-Experte ein Beispiel: „Um eine gesunde, ausgewachsene Fichte umzubringen, benötig es 80 bis 200 Borkenkäfer.“ Nikodem setzt Bäume und Boden ins Verhältnis: „Circa 400 bis 500 Fichten stehen pro Hektar. Der reinste Overkill!“ Nikodem zieht aus dem statistischen Material Schlussfolgerungen für die Situation im heimischen Tann: „Wir werden in Balve dieses Jahr also eine weitere Zuspitzung der Befallssituation bei der Fichte erleben, die in großen Teilen in einem Totalverlust der älteren Fichte führen wird.“ Doch wohin mit dem Totholz?

Der Landesbetrieb Wald und Holz lud bereits im Herbst 2018 zu einer Waldbegehung, um die Borkenkäfer-Problematik zu zeigen und zu erklären.
Der Landesbetrieb Wald und Holz lud bereits im Herbst 2018 zu einer Waldbegehung, um die Borkenkäfer-Problematik zu zeigen und zu erklären. © WP | Marcus Bottin

Schon jetzt wissen Waldbauern und Vermarkter nicht mehr, wohin mit dem ganzen Holz. Und damit öffnet sich die Schere zwischen Angebot und Nachfrage weiter: Die Holzstapel wachsen, die Preise indes sinken ins Bodenlose. Noch einmal Nikodem: „Die Waldbesitzer können Ihr Kapital, das Holz, das eigentlich einen hohen Wert (Sparkassenfunktion, Rente) darstellte, komplett abschreiben.“

Nur mit Landeszuschuss sei die Fläche „überhaupt noch kostendeckend zu räumen“. Die Mitarbeiter des Landesbetriebes Wald und Holz ersticken jedoch derzeit in Arbeit. Was tun?

„Meine Kollegen und ich entwickeln also derzeit Wiederbewaldungsmodelle, die auf das Abräumen von nicht mehr forstschutzrelevanten Bäumen (die Rinde ist runter, der Käfer schon lange wieder weitergezogen) verzichten“, skizziert Nikodem die neue Strategie des Landesbetriebes. Tatsächlich spricht einiges für Wiederbewaldungen. Sie funktionierenden unter den stehengebliebenen „Baumruinen“ (Nikodem) besser als auf Freiflächen. Selbst abgestorbene Bäume bietet Schatten und Frostschutz, den es auf Lichtungen nicht gibt. Branche und Bürger werden sich – so sieht es Nikodem – „an die stehenden Baumruinen gewöhnen müssen“. Dabei sieht der Fachmann durchaus Gefahren.

Waldschäden hoch über Balve: Dürre lichtet die Baumkronen, auch von Buchen.
Waldschäden hoch über Balve: Dürre lichtet die Baumkronen, auch von Buchen. © landesbetrieb wald und holz | Richard Nikodem

Aus Gründen der Verkehrssicherung sei das System „nicht überall“ umsetzbar. „Auch ist die Arbeitssicherheit der Waldarbeiter bei Pflanzung und Pflegemaßnahmen ein Problem“, fügt Nikodem hinzu. Er findet mit seinem Plan längst nicht überall Unterstützung. Nikodem: „Die Waldbesitzer wollen oft trotzdem abräumen und blockieren damit Arbeitskapazitäten, die auf anderen Flächen dringend gebraucht werden.“

Fakt ist: Es mehren sich Beschwerden von Anwohnern. Sie fürchten, dass Fichten in ihren Garten stürzen könnten. „Leider können wir aus Arbeitskapazitätsgründen nicht immer schnell dort sein“, sagt Nikodem. Stehen die Zeichen für Wald-Anrainer auf Alarmstufe rot?

Nikodem winkt ab: „Glücklicherweise Fallen auch abgestorbene Fichten nicht sofort um. Normalerweise fallen Äste herab, oder Kronenteile brechen heraus und bis dahin braucht es auch schon Monate bis Jahre.“ Das gilt für Nadelhölzer. Wie aber sieht es mit Laubbäumen aus?

Für Laien ist das Dürre-Problem im Blätter-Wald nur schwer erkennbar. Laubholz sei Instabilität durch Trocknisschäden „nicht so leicht“ anzusehen: „Oft ist die Krone, von unten gesehen, noch grün. Dabei sind im oberen Kronenbereich schon kahle, abgestorbene Zweige uns Äste, die herabstürzen können, besonders wenn es weht.“ Nikodem prophezeit: „Auch beim Laubholz werden mehr Bäume absterben in diesem Sommer.“ Was heißt das für Menschen im Wald?

Förster Richard Nikodem an einer Borkenkäfer-Falle in Beckum: Die Käfer-Invasion war so mächtig, dass Gegenmaßnahmen zu Symbolhandlungen zusammenschnurrten.
Förster Richard Nikodem an einer Borkenkäfer-Falle in Beckum: Die Käfer-Invasion war so mächtig, dass Gegenmaßnahmen zu Symbolhandlungen zusammenschnurrten. © WP | Jürgen Overkott

„Augen auf und Kopf einschalten bei Wind und Sturm“, rät Nikodem. Er betont: Auch bei schönem Wetter könne etwas passieren. Das Betreten des Waldes erfolge auf eigene Gefahr. Das klingt nach Binse. Und dennoch weiß der Fachmann, dass die Warnung immer wieder aufs Neue ausgesprochen werden muss.

INFO

Förster Richard Nikodem vom Landesbetrieb Wald und Holz kann sich vorstellen, dass das Hönnetal das dritten Trockenjahr in Folge erlebt.„Leider ist das Wetter nicht auf Entspannung ausgerichtet. Im ersten Halbjahr 2020 hatten wir wieder nur die Hälfte des normalen Niederschlages“, bilanziert Nikodem.

Deshalb seien die ersten Wiederaufforstungen „auf besonders trockenen Standorten nicht gut angewachsen“. Von einer Katastrophe mag Nikodem vorerst nicht sprechen: Mag der Boden in der Tiefe trocken sein, der Oberboden hat noch Wasser.