Balve. Das wild romantische Hönnetal: Balver sind stolz darauf. Dabei wären die Felsen beinahe gesprengt worden. Vor 100 Jahren wurden sie gerettet.
Die Stadt Balve hat 2020 zum Heimatjahr ausgerufen – mit einer Fülle von Veranstaltungen. Kein Wunder, in diesem Jahr feiern gleich drei Vereine ihr 100-jähriges Bestehen. In Beckum wurden 1920 die Schützenbruderschaft St. Hubertus gegründet, und der Spiel- und Sportverein, SuS. Im Nachbardorf Mellen, einen Hügel weiter, tat sich im selben Jahr auch etwas. Der Sportverein Rot-Weiß entstand. Im Jahr 1920 gab es aber noch ein weiteres Ereignis: Das Hönnetal wurde gerettet. Was passierte damals? Und warum war das so wichtig?
Bei der Spurensuche hilft ein Blick auf die Hönnetalbahn. Die Strecke – kein Scherz – wurde am 1. April 1912 eröffnet. Die 22 Kilometer lange Gleisverbindung diente, wenig überraschend, industriellen Zwecken. Per Waggon wurde Kalk transportiert. Doch mit der Industrie kamen die Ausflügler, im Vor-Auto-Zeitalter mit der Bahn.
Literarisches Loblied
Industrie und Tagestourismus standen in Konkurrenz. Seit 1887 betrieben die Rheinisch-Westfälischen Kalkwerke im Hönnetal Steinbrüche. Zugleich hatte Dichterin Annette Droste-Hülshoff bereits im frühen 19. Jahrhundert die Kalkformationen an der Hönne literarisch geadelt: „Die Bergschlucht unter der Schlossruine und der bekannten Tropfsteinhöhle Klusenstein dürfte unzweifelhaft einen ehrenvollen Platz im Gebiete des Wildromantischen ansprechen, sonderlich das Letzte, und eben diese starr gegen einander rückenden Felswände, an denen sich der kaum fußbreite Ziegenpfad windet – oben das alte Gemäuer, in der Mitte der schwarze Höllenschlund, unten im Kessel das Getöse und Geschäum der Mühle, zu der man nur vermittels Planken und Stege gelangt, und wo es immer dämmert.“ Kein Wunder, dass dieses literarische Loblied Ausflügler von weither lockte. All das sollte, so schien es, schnöden Interessen der Kalk-Industrie zum Raub fallen?
„Die ,Schutzaktion zur Erhaltung der Schönheit des Hönnetals’ begann bereits im Jahr 1912/13, als erste Pläne für die Errichtung eines Kalkwerks unterhalb der Burg Klusenstein bekannt wurden“, weiß Adalbert Allhoff-Cramer vom Naturhistorischen Verein Hönnetal. „Dabei sollten die Felsformationen der Sieben Jungfrauen und andere komplett zerstört werden. Das Hönnetal wäre zu einem Steinbruch geworden, vergleichbar mit dem Neandertal bei Düsseldorf, einige Jahrzehnte früher.“
Die Pläne sorgten vielerorts für Empörung. Noch einmal Adalbert Allhoff-Cramer: „Um dies zu verhindern, wurde vor allem von Mendener Bürgern eine für die damalige Zeit intensive Öffentlichkeitsarbeit betrieben, mit Zeitungsappellen in ganz Deutschland. Selbst aus Österreich gab es Resonanz. Schließlich galt das ,romantische Hönnetal’ schon damals als das schönste Tal Westfalens.“
Die Schutzaktion hatte schließlich Erfolg, und das war alles andere als selbstverständlich. Immerhin hatte Deutschland den Ersten Weltkrieg verloren. Doch Not machte Bürger im Hönnetal erfinderisch. Adalbert Allhoff-Cramer: „Im Jahr 1919 wurde eine Lotterie veranstaltet und trotz der allgemeinen Not nach der Niederlage des Ersten Weltkriegs erfolgreich Geld gesammelt, um die Felsen des Hönnetals von den Rheinisch-Westfälischen Kalkwerken aufzukaufen. Der Staat hatte schließlich ein Einsehen, stellte Mittel bereit und unterstützte die Schutzaktion. 1920 wurde schließlich eine ,kulissenartige Felspartie’ von der Regierung in Arnsberg erworben und damit für alle Zeit gesichert. So fand eine der bedeutendsten frühen Naturschutzaktionen in Deutschland ein positives Ende.“
Zur Erinnerung daran wurde in den Felsen bei Klusenstein eine Gedenktafel an die Schutzaktion angebracht. Die schöne Bronzetafel hat der Naturhistorische Verein Hönnetal voriges Jahr restaurieren lassen, mit Mitteln aus dem Heimatprogramm des Landes.