Solingen. Eine Woche nach dem Brandanschlag in Solingen läuft die Fahndung nach den Verantwortlichen. An einem Trauermarsch nahmen hunderte Menschen teil.
Eine Woche nach dem verheerenden Brand mit vier Toten in einem Solinger Wohnhaus sucht die Polizei weiter nach den Verantwortlichen. Laut einem vorläufigen Gutachten vermuten Sachverständige vorsätzliche Brandstiftung mit einem Brandbeschleuniger im Treppenhaus. „Die Ermittlungen laufen in alle Richtungen“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft am Ostermontag. Alle nach einem Zeugenaufruf eingegangenen Hinweise würden sorgfältig überprüft.
Brand in Solingen: Drei Schwerverletzte außer Lebensgefahr
Das hölzerne Treppenhaus des Altbaus hatte bei dem Feuer am frühen Montagmorgen, 25. März, binnen Minuten in Flammen gestanden. Eine aus Bulgarien stammende Familie aus dem Dachgeschoss des Hauses konnte sich nicht mehr rechtzeitig retten. Die 28 und 29 Jahre alten Eltern und zwei Mädchen im Alter von drei Jahren sowie wenigen Monaten kamen ums Leben.
Drei Schwerverletzte seien inzwischen außer Lebensgefahr, wie die Nachrichtenagentur dpa am Dienstagmittag berichtete. Ihr Zustand sei mittlerweile stabil, sie sollen nun nach und nach von der Intensivstation auf Normalstationen verlegt werden, sagte ein Sprecher der Wuppertaler Staatsanwaltschaft. Für eine Vernehmung sei es aber noch zu früh. Dabei soll es sich nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft ebenfalls um eine aus Bulgarien kommende Familie mit einem Kind handeln.
Mehrere Hundert Menschen nehmen an Trauermarsch teil
Am Samstag hatten mehrere Hundert Menschen bei einem Trauermarsch ihre Anteilnahme bekundet. Die Teilnehmer zogen von der Innenstadt zu dem ausgebrannten Haus und riefen nach Angaben einer dpa-Reporterin „Aufklärung“ sowie auf Türkisch „Gerechtigkeit für alle“. Zu dem als still deklarierten Trauermarsch hatten die Stadt und die Familien der Verstorbenen eingeladen.
Einen konkreten Tatverdacht gab es laut Staatsanwaltschaft bis Montagmittag nicht. Ein vorläufig festgenommener Mann war am Freitag wieder auf freien Fuß gekommen, nachdem sein Alibi überprüft und bestätigt worden war. „Wir gehen etlichen Ermittlungsansätzen nach“, hatte Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt am Samstag gesagt. Hinweise auf einen rassistischen Hintergrund liegen laut Staatsanwaltschaft bisher nicht vor.
Brand weckt bei Ditib-Vorsitzendem düstere Erinnerungen
Nach Polizeiangaben beteiligten sich rund 600 Menschen an dem Trauerzug, weitere rund 120 hielten eine Mahnwache an dem ausgebrannten Haus. Mitveranstalter schätzten die Gesamtteilnehmerzahl auf mehr als 1000. Einige Teilnehmer schwenkten bulgarische Fahnen und hielten Bilder der Opfer hoch. Ein Imam rezitierte Koran-Suren.
Oberbürgermeister Tim Kurzbach hatte auf Wunsch der Angehörigen darum gebeten, auf politische Botschaften zu verzichten. „Wir stehen hier wie Sie zutiefst erschüttert“, sagte Kurzbach in einer Ansprache. „In diesen Momenten der Dunkelheit können wir nur in Tränen zusammenkommen, um den Verstorbenen Respekt zu zeigen.“
Der Vorstandsvorsitzende im Islamverband Ditib, Muharrem Kuzey, sagte, er fühle sich an den Brandanschlag in Solingen 1993 erinnert. „Hausbrände lösen eine tief verwurzelte Angst in uns aus, sie sind ein tiefes Trauma in uns geworden.“ Im Mai 1993 waren bei einem nächtlichen Brandanschlag mit rechtsextremem Hintergrund fünf türkischstämmige Frauen und Mädchen ermordet worden. Der Anschlag markierte damals den Tiefpunkt einer Serie rassistischer Anschläge auf Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland.
Landesintegrationsrat: Rückschlag für friedliches Miteinander
Migrantenvertreter hatten vermutet, dass es sich auch diesmal um einen rassistisch motivierten Anschlag handelt. „Leider müssen wir davon ausgehen, dass hinter dem feigen Anschlag rassistische Hintergründe stecken“, sagte der Vorsitzende des Landesintegrationsrats NRW, Tayfun Keltek, am Mittwochabend in Düsseldorf. „Die aktuell gesellschaftlich aufgeheizte Lage lässt mich zu diesem Ergebnis kommen.“
Keltek nannte die Tat einen „weiteren Rückschlag für unser friedliches Miteinander und eine Fortsetzung der Greueltat von vor 30 Jahren“ in Solingen. „Das Treffen der Rassisten und Antidemokraten in Potsdam zeigt einmal mehr, dass es nicht gelungen ist, den Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland zu bekämpfen“, erklärte der Vorsitzende des Landesintegrationsrats. Er rief dazu auf, „klare Kante“ zu zeigen und Position zu beziehen.
Islamverband kritisiert: Polizei verfolge rassistisches Tatmotiv nicht konsequent
Kritik äußerte die Ditib an Staatsanwaltschaft und Polizei, weil diese bisher nicht von einem rassistischen Motiv ausgehen. „Wieder Solingen, wieder ein tödlicher Hausbrand, wieder spätnachts, wieder Brandbeschleuniger“, erklärte der Islamverband. An Pfingsten 1993 hatten vier junge Männer aus der Neonazi-Szene in Solingen das Haus der türkischstämmigen Familie Genç in Brand gesetzt. Zwei Frauen und drei Mädchen im Alter von 4 bis 27 Jahren starben, weitere Familienmitglieder wurden teils lebensgefährlich verletzt. Die Tat war einer der folgenschwersten ausländerfeindlichen Anschläge der deutschen Nachkriegsgeschichte.
„Insbesondere in Solingen, besonders nach den unsäglichen Skandalen nach der NSU, sind solche Aussagen, die suggerieren, dass bestimmte Tatmotive nicht konsequent verfolgt werden, gefährlich und lösen bei Menschen mit Migrationshintergrund Entsetzen und Misstrauen aus.“ Es lasse aufhorchen, dass in dem Haus mehrheitlich Menschen mit Migrationshintergrund gelebt hätten.
Vorläufiges Gutachten: Vorsätzliche Brandstiftung in Solingen
Nach einem vorläufigen Gutachten ist das Feuer auf vorsätzliche Brandstiftung zurückzuführen, wie die Staatsanwaltschaft Wuppertal am Mittwoch mitteilte. Es gebe keine Anhaltspunkte für ein „fremdenfeindliches Motiv“. Das teilte der Wuppertaler Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt am Mittwoch mit und bestätigte dies noch einmal am Donnerstag. Außerdem bestätigte der Ermittler, dass es in dem Haus bereits einmal gebrannt hatte. Ein Feuer aus dem Jahr 2022 sei Teil der Bewertungen, erklärte der Staatsanwalt.
Ausgangspunkt des Brandes war den Angaben zufolge das Treppenhaus des Altbaus. Das Feuer hatte sich durch einen sogenannten Kamineffekt binnen fünf Minuten bis zum Dach ausgebreitet. Im hölzernen Treppenhaus seien „deutlich Reste eines Brandbeschleunigers“ nachgewiesen worden. Aufgrund dieser Erkenntnis müsse von einer „vorsätzlichen Brandstiftung“ ausgegangen werden.
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„Meine Gedanken sind bei denen, die im Feuer ihr Leben gelassen haben und bei deren Angehörige. Den Verletzten wünsche ich, dass sie schnell genesen“, erklärte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sprach sein Beileid aus: „Die Nachrichten aus Solingen machen mich tief betroffen – eine fürchterliche Tragödie“, erklärte er über X (früher Twitter).
Brand in Solingen: 40 Menschen wählen zeitgleich Notdienst
Der Brand war der Feuerwehr um 2.47 Uhr gemeldet worden. Etwa 40 Menschen hätten sich fast gleichzeitig bei der Notrufzentrale gemeldet, sagte ein Sprecher. Innerhalb von sechs Minuten seien die ersten Feuerwehrleute am Brandort gewesen. Die Feuerwehr setzte bis zu 120 Einsatzkräfte ein. (dpa/afp/epd/mein)