Solingen. Eine Familie mit Kleinkind und Säugling ist bei einem Brand in Solingen zu Tode gekommen. Hauptrettungsweg war eine Holztreppe, die abbrannte.

Es war die Hölle, was die Bewohner eines Mehrfamilienhauses in Solingen Höhscheid am frühen Morgen des 25. März durchgemacht haben: Ein Feuer schreckte sie aus dem Schlaf. Innerhalb von fünf Minuten stand das komplette Treppenhaus des gut 100 Jahren alten mehrstöckigen Gebäudes in Flammen. In ihrer Not sprangen einige aus den Fenstern und verletzten sich schwer. Für eine Familie im Dachgeschoss kam jede Hilfe zu spät.

Die Polizei ermittelt wegen Mordes, denn die zwei Erwachsenen, das Kleinkind und der Säugling kamen zu Tode, weil das Feuer vorsätzlich gelegt worden war. Im Treppenhaus hätten sich „deutliche Spuren eines Brandbeschleunigers gefunden“, teilte die Staatsanwaltschaft zwei Tage später mit.

Brandgefahr Holztreppenhaus: Altbauten genießen Bestandsschutz

21 Bewohner überlebten den Großbrand. Das Haus ist bis auf Weiteres unbewohnbar. Die Treppe ist so gut wie nicht mehr vorhanden, berichtete die Feuerwehr. Dass der zentrale Fluchtweg des Wohnhauses aus Holz war und dementsprechend leicht zu entzünden, ist indes erlaubt. So streng die baulichen Brandschutzvorschriften für Neubauten sind: Altbauten, wie das Haus in Solingen, genießen Bestandsschutz.

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Die Landesbauordnung NRW erlaubt auch bei Neubauten den Einbau von Holztreppen, allerdings nur bei Gebäuden mit höchstens zwei Obergeschossen bis zu einer Höhe von sieben Metern, also Ein- und Zweifamilienhäusern, erklärt ein Sprecher des NRW-Bauministeriums auf Anfrage. „In der Gebäudeklasse 3, unter die Gebäude mit bis zu drei oberirdischen Geschossen fallen, dürfen notwendige Treppen wahlweise auch feuerhemmend sein“, erklärt der Sprecher. „Das heißt, dass eine notwendige Treppe aus einem brennbaren Baustoff wie Holz nachweislich 30 Minuten Feuerwiderstandsdauer haben müsste.“

Größere Mehrfamilienhäuser müssten - würden sie den aktuellen Bauvorschriften nach heute neu gebaut werden - ein Treppenhaus haben, dessen Materialien als „nicht brennbar“ klassifiziert sind, erklärt Udo Kirchner, Vorstand der Ingenieurkammer-Bau NRW. Heute sei deshalb vor allem Stahlbeton oder Stahl mit Steinstufen das Baumaterial der Wahl, sagt Kirchner. Rechtlich vorgeschrieben ist das in NRW seit Januar 2019.

Über 445.000 Wohngebäude in NRW sind vor 1919 gebaut worden

Laut Wohngebäude-Statistik sind in NRW 11,5 Prozent der Wohngebäude vor 1919 errichtet worden. Die Wohngebäude wurden nach den vor 100 und mehr Jahren geltenden Brandvorschriften errichtet, sagt Udo Kirchner: Auch Zwischendecken seien meist auf Holzbalken gelegt, weil Beton damals nicht in der Form verwendet wurde wie heute. Änderungen der Brandschutzanforderungen seien nur dann nötig, wenn es bei einem solchen Altbau zu einer „Nutzungsänderung“ komme oder wenn etwa das Dachgeschoss nachträglich zur Wohnung ausgebaut würde, sagt Kirchner.

Dass das Brandrisiko bei Holztreppen vergleichsweise hoch sei, ist bekannt, sagt Kirchner. Es handele sich mit Blick auf das geltende Baurecht um ein „toleriertes Restrisiko“, sagt er. Dass Bauvorschriften für derartige Gebäude nachträglich durch Vorgaben aus der Politik verschärft würden, sei angesichts der im Raum stehenden Kosten für Immobilieneigentümer kaum zu erwarten, meint Kirchner. Den bisher jüngsten Zahlen nach, die aus dem Jahr 2011 stammen, wären alleine in NRW über 445.000 Wohngebäude betroffen. Auch interessant: Brandschutz: 200 Duisburger müssen ihre Häuser verlassen

Brandschutzexperte: „Treppenhaus ist Rettungsraum, kein Lagerraum!“

Im NRW-Ministerium verweist man auf die Landes-Bauordnung. Demnach müssen „für Nutzungseinheiten wie Wohnungen in jedem Geschoss mit Aufenthaltsräumen mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege ins Freie vorhanden sein.“ Im Wohnungsbau sind das laut Ministerium „eine notwendige Treppe“ und „eine Stelle“, die mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbar ist, meist „Fenster, Balkon oder ähnliches.“ Für Fenster gibt es bestimmte Größenvorgaben, die das Haus in Solingen wohl auch erfüllte.

Angesichts der Brandkatastrophe in Solingen verweist der Brandschutz-Experte Kirchner darauf, wie wichtig es ist, „dass keine Brandlast in einem Treppenhaus ist“; abgestelltes Mobiliar zum Beispiel. Auch Kinderwagen seien vom Brandschutz her betrachtet umstritten, sagt Kirchner: „Ein Treppenhaus ist Rettungsraum, nicht Lagerraum!“

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(dae)