Menden/Balve. Zwei Hebammen, die in der Region Hausgeburten anbieten, räumen mit Vorurteilen auf und erklären, wie eine Hausgeburt wirklich abläuft.
Theo Hubertus Kalina ist nicht nur ein entzückender kleiner Junge: Er ist auch das einzige Baby, das im 2022 in Menden das Licht der Welt erblickt hat. Seine Mama Michelle Kalina hatte sich hochschwanger für eine Hausgeburt entschieden – und würde es wieder so machen. „Die Hebammen waren super nett und lieb. Sie waren zurückhaltend, aber immer da, wenn ich sie brauchte. Das war eine ganz andere Atmosphäre als im Krankenhaus.“ Die Hebammen, das sind Mareike Henn-Milinski (34) aus Langenholthausen und Nathalie Seltmann (42) aus Sümmern. Im Gespräch mit der Westfalenpost erzählen sie, wieso es so wenige Hausgeburten gibt, wie eine solche Geburt abläuft und räumen mit Vorurteilen auf.
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Glücklich und zufrieden liegt ein Neugeborenes auf der Brust der Mama. Beide genießen den Moment und kuscheln miteinander. Wenn Mareike Henn-Milinski an diese besonderen Momente denkt, strahlt sie. Hebamme zu sein, das kann anstrengend und stressig sein. Doch für diese wertvollen Momente macht die Balverin den Job. „Für mich ist es der schönste Beruf, den ich mir vorstellen kann“, sagt die 34-Jährige, die sich erst im späteren Berufsleben für das Hebammen-Studium entschied und nun voll in ihrem Job aufgeht. Sie ist eine von sehr wenigen Hebammen im Umkreis, die Hausgeburten durchführt. Dabei immer an ihrer Seite: Kollegin Nathalie Seltmann.
Rufbereitschaft rund um die Uhr: Anstrengender aber wundervoller Job
Die beiden Frauen arbeiten jeweils freiberuflich als Hebammen und sind auch im Schwerter Krankenhaus als Beleghebammen im Einsatz. Jede für sich. Doch wenn es um Hausgeburten geht, tun sie sich zusammen. „Um schnell reagieren zu können, sind wir immer zu zweit“, so Henn-Milinski. Das gebe eine zusätzliche Sicherheit. „Es gibt nicht so viele Hebammen, die das anbieten“, sagt Nathalie Seltmann. Denn es ist viel Arbeit – rund um die Uhr. Denn zu der normalen Geburtsvorbereitung und Nachbereitung kommt dann eine 24/7-Rufbereitschaft rund um den Geburtstermin hinzu. Babys kommen gerne in der Nacht, sagt Mareike Henn-Milinski. „Man muss sich das auch trauen und sich bewusst sein, dass auch immer etwas schiefgehen kann“, ergänzt Nathalie Seltmann. Und die beiden Power-Frauen, selbst Mütter von mehreren Kindern, trauen sich. Pro Jahr führen sie durchschnittlich 20 Hausgeburten durch. „Wir könnten aber mehr.“
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„Es ist in den Köpfen der Menschen drin, dass Kinder im Krankenhaus geboren werden. Früher war eine Hausgeburt ganz normal“, sagt Seltmann. Doch obwohl es nur wenig Aufklärung und viel Unwissenheit bei dem Thema gibt, steigt die Nachfrage nach Hausgeburten. Natürlich habe auch die Corona-Pandemie zeitweise eine Rolle bei der Wahl der Geburtsstätte gespielt. Einige Mütter hätten sich aus Angst, im Krankenhaus allein sein zu müssen, für eine Hausgeburt entschieden.
Aber: „Es gibt einen Trend hin zu mehr Hausgeburten“, sagt Nathalie Seltmann. Die Menschen würden sich insgesamt mehr aufs Natürliche besinnen, es werde wieder mehr gestillt und Babys öfter getragen. Eine schöne Entwicklung. Und es gebe viele Gründe für eine Geburt in den eigenen vier Wänden. „Die Frauen folgen zuhause mehr ihren Instinkten“, beschreibt Nathalie Seltmann. Die Familien seien ungehemmter, fühlen sich meist sicherer und selbstbestimmter. Und auch die Babys seien deutlich entspannter.
Es gibt Komplikationen: So reagieren die Hebammen im Ernstfall zuhause
Doch was ist, wenn doch etwas nicht nach Plan läuft oder es sich die werdende Mama plötzlich doch anders überlegt? Das Wohl der Mutter steht an erster Stelle. Sie entscheidet, wo sie das Kind bekommt. „Wir sind auf keinen Fall böse, wenn sich die Frau umentscheidet“, sagt die Balverin. Mütter hätten ein gutes Bauchgefühl, das die Hebammen respektieren.
„Wir reagieren immer frühzeitig und können zügig abbrechen. Dann fahren wir in Ruhe in eine Klinik“, sagt Henn-Milinski. Wenn sich die Frau für das Schwerter Krankenhaus entscheidet, dürfen die Beleghebammen auch dort die Geburt weiter begleiten. In anderen Geburtskliniken übergeben sie die Schwangere in die Hände der diensthabenden Hebammen. Notfallmedikamente haben die Fachfrauen ohnehin immer dabei. Aber auch wenn es noch nie vorgekommen ist: Im Zweifel kann der Weg bis in die nächste Klinik zum Problem werden, beispielsweise bei einer plötzlichen starken Blutung. Darüber klären die Hebammen ausführlich vorher auf. Das Risiko muss jeder Frau bewusst sein.
Keine Schmerzmittel oder PDA bei Hausgeburt: Das ist der Grund
Um das Risiko für Komplikationen so gering wie möglich zu halten, arbeiten die Hebammen ohne Wehentropf, machen keine PDA und leiten auch keine Geburt ein. „Wenn das nötig ist, würden wir vorher verlegen“, sagt Seltmann. Ob eine Hausgeburt überhaupt infrage kommt, dass entscheidet sich im Verlauf der Schwangerschaft. Wie ist der Zustand von Mutter und Kind? Gibt es Erkrankungen? Wie liegt das Kind im Mutterleib? Sind es Zwillinge? Ist es das erste Kind? Wie liefen möglicherweise vorherige Geburten? Gibt es Narbengewebe? Es gilt vorab viele Fragen zu klären: Alles wird genau und individuell betrachtet.
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Steht der Hausgeburt nichts mehr im Weg und ist es schließlich soweit, dass sich das Baby auf den Weg macht, wird es recht unspektakulär. Die Familien haben zuhause alles vorbereitet, eine Hebamme checkt die Lage und ruft nach einer Weile die Kollegin hinzu. Wer und wie viele Personen sonst noch dabei sind, entscheidet die Frau.
Wie läuft die eigentliche Geburt denn ab?
Beide Hebammen lachen. „Die meiste Zeit sitzen wir dann auf dem Boden“, sagt Mareike Henn-Milinski und grinst. „Wir lassen die Frauen einfach machen. Das tut ihnen gut.“ Die Hebammen behalten alles im Auge, aber sie drängen sich nicht auf. Die Frau bekommt das Kind dort, wo sie möchte. Meist gehockt oder im Vierfüßlerstand. Das bedeutet für die Hebammen mitunter vollen Körpereinsatz. „Wechselklamotten sind wichtig“, sagt Seltmann und grinst. Gegebenenfalls nähen sie die Frau im Nachgang und natürlich untersuchen sie auch das Baby. Aber das Vorurteil, dass nach einer Hausgeburt renoviert werden muss, sei absoluter Quatsch. „Wir putzen auch. Wenn wir gehen, bleiben meist nur ein Müllsack und ein Korb mit Wäsche.“ Und natürlich eine glückliche Familie...
Weitere Informationen zum Thema und Kontaktdaten
Wer sich für eine Hausgeburt interessiert, sollte sich möglichst . Kontakte: Mareike Henn-Milinski: 0176/72732513 und Nathalie Seltmann 0179/4546741.
Wer möchte, kann sich bei Natalie Seltmann einen ausleihen. Er hat einen Durchmesser von rund zwei Metern. „Die Männer haben dann eine Aufgabe.“ Generell seien die Männer meist froh, handwerklich aktiv werden zu können. Auch sie, so zeige die Erfahrung, seien Zuhause .
Hausgeburten werden von der gezahlt. Nur bei der Pauschale für die Rufbereitschaft gibt es Unterschiede. Nicht alle Krankenkassen zahlen diese, manche nur teilweise. Das ärgert die beiden Hebammen sehr. „Das ist nicht schön“, sagen sie und wünschen sich mehr aus der Politik für ihren Beruf. Für die 24/7-Rufbereitschaft der beiden Hebammen über insgesamt vier Wochen werden 500 Euro fällig.