Arnsberg. Marina, Narek und Ivandro leben in Arnsberg - sie alle haben einen Migrationshintergrund. Sie haben das „Sylt-Video“ gesehen. Ihre Reaktion.

Pfingstwochenende. Junge Menschen, augenscheinlich gutbetucht, feiern auf Sylt eine Sause. Plötzlich zeigt ein junger Mann den Hitlergruß und alle grölen: „Deutschland den Deutschen. Ausländer raus!“. Das Skandalvideo geht viral - und mit ihm die Aufregung. Arbeitgebende reagieren, Hochschulen positionieren sich. Doch was geht in genau den Menschen vor, gegen die sich diese Parolen richten? Wie gehen Migranten mit diesen öffentlichen Nazi-Parolen um?

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„Ehrlich gesagt? Das tut einfach weh!“, sagt Marina (Name geändert). Sie lebt seit fast 50 Jahren in Arnsberg, besitzt seit über 40 Jahren die Deutsche Staatangehörigkeit. „Und wenn es mir als lebenserfahrene Frau schon so geht, wie müssen sich dann erst diejenigen fühlen, die erst seit kurzer Zeit in Deutschland leben?“

Angst vor der Salonfähigkeit rechter Parolen

Sie liebe die Demokratie, sagt sie, und genau diese werde durch solche rechten Parolen geschädigt. „Ich habe schon als Kind die Freiheit der Demokratie in Deutschland genossen - sie ist absolut schützenswert. Doch nun geht sie mehr und mehr verloren.“

Besonders erschreckend: Die Salonfähigkeit rechter Parolen. Die Normalität, mit der die jungen Menschen in dem „Sylt-Video“ die Nazi-Parolen herausgegrölt hätten. „Das sind junge Menschen aus der Mittel- oder sogar Oberschicht, die in der Demokratie aufwuchsen, vielleicht sogar schon viel von der Welt gesehen haben - und nun stellen sie sich dahin und singen ‚Ausländer raus‘. Erschreckend.“

Genau diese Salonfähigkeit sei auch der Grund dafür, dass sie sich schon nicht mehr traue, in einer ungeschützten Umgebung für ihre demokratischen Werte und ausländischen Wurzeln einzustehen. Unter Freunden oder auf einer Kundgebung wie „Arnsberg ist bunt“ sei das kein Problem - aber im Internet oder bei Fremden halte sie sich lieber aus solchen Diskussionen heraus. Und genau das mache ihr Angst.

„Betrunkene Aktionen sind nüchterne Gedanken“

Sie blickt über den Tellerrand: „Es kommen auch viele Menschen aus dem Ausland hierher, um Urlaub zu machen“, sagt sie, „die werden sich das bei solchen Parolen sicherlich auch anders überlegen.“ Auch Deutschland lebe schließlich vom Tourismus.

Über das Doxxing kann man streiten. Ansonsten sagt man ja nicht umsonst: Betrunkene Aktionen sind nüchterne Gedanken.
Ivandro (Name geändert) - Auszubildender, seit 2017 in Arnsberg

Die Freunde Narek und Ivandro (Namen geändert) leben seit 2016/2017 in Arnsberg, machten ihren Schulabschluss und befinden sich nun in der beruflichen Ausbildung. Das erste, was Narek eingefallen sei: „Warum!?“, sagt Narek (21), der als Kind mit seiner Familie aus Armenien floh. „Gerade für die Leute, die schon etwas länger da sind und sich integriert haben - die müssen dann sowas sehen. Das passt einfach nicht.“ Die Menschen würden sich Mühe geben, die deutsche Sprache zu lernen, einen Beruf zu erlernen und ein Teil der Gesellschaft zu werden.

„Über das Doxxing kann man streiten. Ansonsten sagt man ja nicht umsonst: Betrunkene Aktionen sind nüchterne Gedanken. Das ist nichts, was erst jetzt passiert ist“, sagt Ivandro (18), der ebenfalls als Kind mit seiner Familie aus Angola nach Deutschland kam. „Ich kann mir vorstellen, dass sie untereinander schon öfter solche Dinge machen - diesmal wurde es halt nur gefilmt.“ Er hoffe, dass sich diese Menschen änderten - ansonsten sei das, was nun auf sie zukäme, berechtigt.

Mit reflektierten Argumenten gegenhalten

Jemand, der täglich mit Menschen zu tun hat, die diskriminiert und rassistisch beschimpft werden, ist Daniel Büenfeld. Er kann sich redlich vorstellen, wie sich Migranten in Arnsberg nun fühlen müssen. „Es ist erschreckend, wie ungeniert viele Menschen sich heutzutage auf offener Straße äußern“, sagt er, „es ist auch bedenklich, wie viele sich in Neheim einfach so um den AfD-Stand stellen - vor zehn Jahren hätte es das so nicht gegeben.“

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Er sehe die Entwicklung der AfD und das Aufstreben dergleichen als einen der Gründe, dass ebensolche rechte Parolen und Äußerungen heute „zum guten Ton“ gehörten. „Ich nehme auch wahr, dass sich diese Stimmen durch alle gesellschaftlichen Schichten ziehen - auch durch die gehobene Mittelschicht, wo viel Geld liegt. Auch aus deren Perspektive werden solche Parolen unreflektiert und ungeniert salonfähig.“ Das sei brandgefährlich und könne, auf das Geld bezogen, viel anrichten.

Sein Tipp: Immer stark bleiben - und mit reflektierten Argumenten gegenhalten. „Wir stehen für eine vielfältige, offene und diskriminierungsfreie Gesellschaft. Dafür steht die AfD nicht.“ Ohne die Sorgen und Nöte aller aus dem Blick zu verlieren.