Sundern. Zustellerin Jutta Lübke konnte aufgrund eines Hundebisses drei Wocen keine Briefe zustellen. Beim Postbotentraining lernt sie, worauf es ankommt
„Ich habe schon drei Vorfälle mit Hunden erlebt“, sagt Jutta Lübke, „zwei davon waren harmlos, der dritte endete mit einem dreiwöchigen Ausfall.“ Die 55-jährige Botin ahnt nichts Böses, als sie zur Haustür geht, um - wie jeden Tag - die Post zuzustellen. Doch als die Haustür sich öffnet, schießt plötzlich ein Schäferhund-Mischling auf sie zu und verbeißt sich in ihrem Oberschenkel. „Ich habe die Schmerzen anfangs gar nicht gespürt - der Schock saß zu tief.“
Auch interessant
- Höchstwert bei Gewaltstraftaten: Wie sicher ist der HSK?
- Klaus-Peter Wolf: „Habe gleichen Gang wie meine Hauptfigur“
- Brücken-Check: So ist der Zustand der Ohlbrücke Neheim
Rund 1800 Hundebisse werden jährlich registriert. Hundebisse, von denen sich die Postzustellerinnen und Postzusteller in über 1000 Fällen nur schwer erholen. Denn auch wenn die Bisswunden der meisten Attacken innerhalb weniger Tage ausheilen - was bleibt ist ein unbehagliches Gefühl, die Erinnerung im Kopf und, im schlimmsten Fall, eine Angst, die sich nur schwer beheben lässt.
Daher sind der Hundetrainer Michael Pfaff und sein Kollege Uwe Graute das gesamte Jahr über bundesweit unterwegs, um eine Hundeschulung für Postboten durchzuführen - und den Frauen und Männer in Gelb praktische Ratschläge an die Hand zu geben, wie sie bei Hundebegegnungen reagieren sollten. Diesmal in Sundern - direkt am Zustellstützpunkt der Deutschen Post. Pfaff hat 30 Jahre Berufserfahrung, in denen er Sprengstoffhunde, Rauschgifthunde und Schutzhunde ausgebildet hat.
„Sie müssen lernen, Nein zu sagen!“
15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hören gespannt zu, als Michael Pfaff den Theorieteil seiner Schulung beginnt. Er spricht von „Unfallbrennpunkten“, erklärt die Verhaltensweisen der Vierbeiner, sensibilisiert für ihre Körpersprache - und auch für die der Boten. Und dann sagt er plötzlich: „Sie müssen lernen, Nein zu sagen! Im schlimmsten Fall stellen Sie die Post eben nicht zu.“
Und was, wenn es dafür schon zu spät ist? Eine weitere Teilnehmerin erzählt, wie sie ein Paket zum vereinbarten Ablageort unten auf die Kellertreppe legte und plötzlich - beim Umdrehen - der große Labrador vor ihr gestanden habe. Fürs Nein-Sagen war es zu spät. Sie bauscht sich auf, spricht streng zu ihm - und schafft es so, dass er sie ziehen lässt. „Körpersprache“, kommentiert Michael Pfaff. „Hunde wissen alles über die menschliche Körpersprache und merken sofort, wenn es jemand ernst meint.“
Ein Hund lasse sich auch nicht ins Bockshorn jagen. „Er merkt, wenn Sie bluffen.“ Schon mit dreieinhalb Wochen öffne ein Welpe seine Augen und lerne direkt die menschliche Körpersprache kennen.
An der Person vorbeigehen, nicht direkt am Hund
Doch bei der reinen Theorie soll es in dieser Postbotenschulung nicht bleiben - schon kurze Zeit später holt Uwe Graute den 9-jährigen Belgischen Schäferhund Clip aus dem Auto. Der Praxisteil der Hundeschulung für Postboten beginnt mit einer harmlosen Aufgabe.
Freiwillige sollen „wie im Alltag“ an ihm und seinem Hund vorbeigehen. Sie halten sich an das Erlernte: Kein Augenkontakt, keine hastigen Bewegungen, „normal“ die Straße entlang gehen. Und dennoch machen sie einen gravierenden Fehler: Sie gehen allle direkt an Clip vorbei. In diesem Fall kein Problem, denn der Schäferhund gehorcht aufs Wort und ist trainiert - doch im Alltag hätte sich das Gebiss des Hundes in Augenhöhe zur Hand des Vorbeischreitenden schnell in ihr verbeißen können.
Jetzt kommen die Requisiten zum Einsatz: Rollwagen und Postkisten stellen einen Gartenzaun dar. Auf der einen Seite Uwe Graute und Clip - auf der anderen Seite Michael Pfaff, der nun eine Paketzustellung nachamen möchte. Natürlich so, wie er es nicht empfiehlt.
Er geht schnurstracks auf den Schäferhund zu - und dieser setzt zum Sprung an und schnappt sich das Paket. „Vertrauen Sie niemals auf die Aussagen des Hundehalters“, sagt Michael Pfaff, „Sie müssen selbst die Körperhaltung und das Verhalten des Hundes deuten - und im Zweifel die Zustellung abbrechen.“
Jutta Lübke würde so gerne auch im Praxisteil der Schulung mitmachen, traut sich jedoch nicht. „Meine Angst ist zu groß“, sagt sie entschuldigend. Doch hier wird niemand gezwungen, denn Pfaff und sein Kollege wissen ganz genau, wie tief eine Angst vor Hunden sitzen kann.
Hunde sind nicht böse - sie verteidigen nur ihr Territorium
Bei all den Warnungen, Hinweisen und Tipps geht es Michael Pfaff aber auch darum, den Männern und Frauen der Deutschen Post klarzumachen, dass es nur im seltensten Fall die Hunde selbst sind, die bösartig sind oder etwas „Falsches tun“. Selbst wenn sie bissen, könnten sie nichts dazu. Es liege im Verantwortungsbereich der Besitzerinnen und Besitzer, sich um ihr Tier zu kümmern.
Selbst die kleinsten Welpen sollten daher weder gefüttert, noch gestreichelt oder „umsorgt“ werden. Denn „diese Hunde sind irgendwann auch mal groß und verteidigen dann ihr Territorium“. Also keine „Beziehung“ zu den Tieren aufbauen? Nein. Am besten komplett ignorieren. Denn wenn Hunde ignoriert würden, verlören sie das Interesse an der Person.