Arnsberg. Ein Fund von Teer im Bereich des Hochtraktes erhöht die Altlasten-Problematik bei der laufenden Rathaussanierung in Arnsberg.

Es geht voran bei der Rathaussanierung Arnsberg. Zumindest am Flachtrakt wächst das neu gebaute Gebäude und zeigt bereits seine Konturen. „Ein gutes Projekt wird aber verhagelt durch die Altlasten-Problematik“, sagt Bürgermeister Ralf Paul Bittner. Am skelettierten und entkernten Hochtrakt ging es zuletzt nicht weiter, weil dort unerwartete giftige Böden eine komplett neue Baustelle aufmachten. „Die Altlastensanierung für sich ist schon ein riesengroßes Projekt“, so Bittner. Er bat das Land NRW um Hilfe. „Mit einer Altlast dieser Größenordnung darf man eine Kommune nicht alleine lassen“, sagt er. Die Schadstoffe sorgen für Verunsicherung: Angst vor einer weiteren Kostenexplosion, Sorge aufgrund der möglichen Gesundheits- und Umweltgefährdungen und ein sensibler Zeitplan.

Welche Gifte sind im Boden?

Südlich des Hochtraktes wurde kurz vor Weihnachtem dickflüssiger Teer gefunden. Hier stand einst eine Fabrik zur Herstellung von Holzessig. Zudem wurde dort Verkohlung von Holz betrieben. Die Abfälle - Teer, Phenole, BTEX, polyzyklische aromatische Kohenwasserstoffe (PAK) und Essigsäuren - haben im Laufe der vergangenen 130 Jahre die Flussschotterablagerungen der Ruhr kontaminiert und drangen über einen mit Teer verfüllten Schacht in die Klüfte des Felsgefüges ein. Im Bereich des Flachtraktes waren vor allem baustoffbedingte Kontaminationen des Grundstückes vorhanden: Bauschutt, Schlacken und Farbreste einer ehemaligen Lackfabrik. Beim Rückbau des Hoch- und Flachtraktes mussten ebenfalls Schadstoffe entsorgt werden.

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Waren Altlasten nicht vorhersehbar?

„Es war klar, dass Altlasten im Boden sind“, sagt Reinhard Schmidt. Der Geschäftsführer von Terra Consulting ist für die Altlastensanierung zuständig. Mit dieser Menge hatte aber auch er nicht gerechnet. Im Vorfeld der Sanierung hatte es diverse Sondierbohrungen in den Jahren 1993, 2020 und 2021 gegeben, weil bekannt war, dass das Areal zwischen 1870 und den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts (bis kurz vor Rathausbau 1965) Industrieareal war. „Ein Problem in diesem Maße haben wir nicht erwartet“, sagt Michael Bartnik, Projektleiter der Rathaussanierung bei der Stadt. Bei den Sondierungen waren kleinräumige Verunreinigungen wie gemauerte Becken mit Farbresten oder Teerfelder nicht zu lokalisieren. Um den im Verlauf der Sanierung erreichten Kenntnisstand zu erhalten, hätten großflächige Baggerschürfungen vorgenommen werden müssen. „Es war in den Stadtarchivakten nicht dokumentiert, dass verlassene Schächte mit Teer verfüllt worden waren“, so die Stadt. Vielmehr war auch am Hochtrakt mit Bauschutt und Schlacken gerechnet worden. Großflächige Baggerschürfungen auf Verdacht hätten im Vorfeld nicht stattfinden können, ohne bereits das komplette Rathaus zu räumen.

Das skelettierte Rathaus: Im Vordergrund abgedeckter Bodenaushub.
Das skelettierte Rathaus: Im Vordergrund abgedeckter Bodenaushub. © WP | Martin Haselhorst

Warum müssen Schadstoffe abgetragen werden?

Die Bodenentsorgung ist alternativlos. „Sobald der kontaminierte Boden auf der Baggerschaufel liegt, ist es Sondermüll“, erklärt Schmidt. Geregelt ist das über das Bundesbodenschutzgesetz, das einen Bodenaustausch fordert, sobald das Gefährdungspotenzial für Mensch und Umwelt in einem Verhältnis zu Risiken und Erfolgschancen der Sanierung stehen. Das war in Arnsberg gegeben. Tatsächlich wäre die Altlastensanierung auch auf Arnsberg zugekommen, wenn irgendwo anders ein komplett neues Rathaus gebaut worden wäre, weil es beim Abriss zu den selben Funden gekommen wäre.

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Welche Risiken gibt es für Menschen und Umwelt?

Vor allem die Teerprodukte sorgen für eine erhebliche Geruchsbelastung. Die Baugrube am Hochtrakt war daher als Schwarzbereich markiert, der nur mit Atemschutz betreten werden darf. Das ist nun aufgehoben worden, weil der komplette Bereich ausgehoben und auch überschottert wurde. Voraussetzung für gesundheitliche Auswirkungen (krebserregend, Schädigung Schleimhäute, Nervensysteme, Organe) sind der direkte Kontakt über die Haut, Aufnahme von gelösten Stoffen und Stäuben durch Einatmen oder Schlucken.

Die Teerabfälle liegen in Klüften des Felsgefüges unterhalb des Ruhrwasserspiegels. Eine Schadstoffmessung im Grundwasser im Rathausbereich hat bei Proben eine Bealstung ergeben. „Wir haben aber auch das Ruhrwasser überwacht“, so Bartnik, „hier ist aber nichts festgestellt worden.“

Wie groß ist die Menge der Altlasten?

Bislang sind im Rahmen aller Maßnahmen rund um die Rathaussanierung 26.000 Tonnen kontaminiertes Bodenmaterial zusammengekommen - das entspricht mehr als 1240 Lkw-Ladungen. Geringer belastetes Material wurde aufbereitet und kann weiterverwendet werden, höhere Schadstoffbelastung führte zur Deponierung in Frielinghausen und Herten und nicht deponierbare Stoffe werden verbrannt. Das betrifft vor allem die Teerabfälle. Hier kommen 500 Tonnen Teer und 5000 Tonnen kontaminierter Bereich am Hochtrakt (darunter 3500 Tonnen kontaminierter Flussschotter) zuzsammen.

Welche Lösungen wurden gefunden?

Der Boden unter dem Flachtrakt war vor Beginn des Neubaus bis auf den Fels ausgekoffert und wieder mit Schotter aufgefüllt worden. Rund um den Hochtrakt wurde die Baugrube erweitert und ausgehoben. Das kontaminierte Wasser wird durch eine Aktiv-Kohle-Filter-Anlage gereinigt, um das Ruhrwasser zu schützen. Über eine Drainage gelangt es in das Filtersystem. Das muss sein. „Unsere Enkel würden es nicht mehr erleben, bis das Erdreich natürlich von Schadstoffen ausgepült wäre“, erklärt Schmidt, „durch die Filteranlage werden in Zukunft deutlich weniger Schadstoffe in die Ruhr und ins Grundwasser gelangen.“

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Aktuell ist die erweiterte Baugrube abgedeckt und zugeschottert worden. Reinhard Schmidt von Terra Consulting hat eine Variantenberechnung vorgenommen. Dabei favorisieren Terra Consulting und auch die Bauleitung das Abdecken der Klüfte, die Drainagierung und Filterung des Wassers. „Alles andere als das Zumachen der Baugrube würde unseren Zeitplan komplett zerlegen“, weiß Bartnik. Und den ohnehin erweiterten Kostenrahmen wohl auch. Über die Varianten entscheiden müssen nun die unteren Bodenschutz- und Wasserschutzbehörden beim Kreis. Wichtig ist allen Beteiligten, dass die Teergrube nun erst einmal wieder abgedeckt ist. „Sonst wäre der Geruch im Frühjahr und Sommer unerträglich geworden“, so Michael Bartnik.

Der Neubau des Flachtraktes des Arnsberger Rathauses ist weit vorangeschritten.
Der Neubau des Flachtraktes des Arnsberger Rathauses ist weit vorangeschritten. © WP | Martin Haselhorst

Was macht das mit den Kosten der Rathaussanierung?

Ohne die Teeer-Entsorgung wurden bislang Kosten für die Altlastensanierung in Höhe von 5,2 Millionen Euro angesetzt, die teilweise schon bezahlt worden sind. Im Jahr 2022 hatte es bereits eine Förderung von 1,4 Millionen Euro für die Altlastensanierung aus Mitteln der Städtebauförderung gegeben. Aufgrund der weiteren Funde wurde im Oktober 2023 ein erneuter Förderantrag in Höhe von zwei Millionen Euro gestellt, über den aber noch nicht entschieden worden ist. Rund 2,6 Millionen Euro fallen durch die nötige Baugrubenerweiterung an. Weitere Kosten, die für die Stadt anfallen können, ergeben sich aus der Maßnahme zum Umgang mit dem Teer in den Felsklüften. Die Filteranlage zum Schutz des Ruhrwassers verursacht jährliche Betriebskosten von 100.000 Euro. Die Kosten der eigentlichen Rathaussanierung sind aktuell auf 67,5 Millionen Euro berechnet.

Wie wirkt sich die Altlastensanierung auf den Zeitplan aus?

„Wir haben nicht so viele Zeitverzögerungen wie zu befürchten war“, sagt Bürgermeister Bittner, „das Projektteam hat Nervenstärke bewiesen.“. Das Richtfest für den Flachtrakt soll nach dem Willen der Stadtverwaltung am 4. Mai am Tag der Städtebauförderung stattfinden. Die Übergabe des gesamten Rathauses zu seiner Bestimmung, so Ralf Bittner, sei nun „Ende 2025, Aanfang 2026“ avisiert. In den kommenden Tagen soll das Gerüst am Hochtrakt für den Fassadenaufbau stehen. Ab Mitte April werden dann mit Hilfe eines Teleskopsteigers 16 Wochen lang 1000 Fassadenelemente angebracht, ehe der Innenausbau beginnen kann. Im November sollen die Dachdecker kommen.