Neheim. Hospizhelfer Claus Peter Jagoda begleitet den todkranken Christian Drost und steht ihm in den schwersten Stunden bei.

„Schön, dass du da bist“, schallt es Claus Peter Jagoda schon im Treppenflur entgegen. Im ersten Stock des Wohnhauses in der Neheimer Innenstadt wartet Christian Drost (32) im Rollstuhl auf seinen Hospizhelfer und begrüßt ihn mit einer herzlichen Umarmung. Beinahe wöchentlich kommen die beiden Männer zur „Hospizbegleitung“ zusammen, wie die Treffen zwischen ehrenamtlichen Sterbebegleitern und Menschen in palliativen Lebenssituationen offiziell heißen.

Blind und an MS erkrankt

Christian Drost ist blind und sitzt aufgrund einer MS-Erkrankung im Rollstuhl. Das Sauerland lernte der gebürtige Auricher während eines Reha-Aufenthalts in der MS-Fachklinik in Hachen kennen. 2018 entschloss er sich zu einem privaten Neuanfang, zog nach Neheim und stellte einen Antrag auf persönliche Assistenz. Seitdem führt der 32-Jährige mit Unterstützung mehrerer Alltagshelferinnen ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung. „Dennoch fehlte etwas“, resümiert Christian Drost: „Ich bin ein aufgeschlossener, offener Typ, der gern aktiv ist und sich mit anderen Menschen austauscht. Ich wünschte mir mehr Kontakt nach außen und einen größeren Bekanntenkreis.“

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Drost wandte sich mit der Anfrage nach einer Begleitperson an den ambulanten Hospizdienst Sternenweg - und fand in Claus Peter Jagoda einen passenden Weggefährten. „Peter ist mir zum echten Freund geworden. Wir können über alles reden. Über unseren Alltag, über Persönliches, über das Weltgeschehen, aber auch über den Tod und das Sterben. Das lief vom ersten Moment an rund“, freut sich Christian Drost über den guten Draht, den beide zueinander haben.

Mir ist wichtig, dass ich mit meinen Begleitungen reden und mich mit ihnen austauschen kann. Chris ist super interessiert an allem. Ich weiß eine ganze Menge von Chris, umgekehrt erzähle ich ihm auch viel von mir.
Claus Peter Jagoda

Auch für Hospizhelfer Claus Peter Jagoda ist die Konstellation stimmig: „Mir ist wichtig, dass ich mit meinen Begleitungen reden und mich mit ihnen austauschen kann. Chris ist super interessiert an allem. Ich weiß eine ganze Menge von Chris, aber umgekehrt erzähle ich ihm auch viel von mir. Durch diese gegenseitige Offenheit begegnen wir uns auf Augenhöhe – und das halte ich für unerlässlich“, beschreibt der 73-Jährige sein Verständnis von Hospizarbeit. „Dass uns obendrein derselbe, schräge Humor verbindet, macht die Sache natürlich noch einfacher“, ergänzt Christian Drost verschmitzt.

Bei jedem Treffen führt der erste Weg die beiden Männer auf den schmalen Balkon von Drosts Wohnung. Hier bringen sich die Freunde erstmal gegenseitig auf Stand. Hat die Krankenkasse endlich den Bescheid geschickt? Wie war das Wochenende? Hast du mit deiner Schwester telefoniert?

„Medizinisches Cannabis ist mein Rettungsanker.
„Medizinisches Cannabis ist mein Rettungsanker. © Martina Schneider | Martina Schneider

Während dieses Begrüßungsrituals zünden sich beide eine Zigarette an. Die des Hospizhelfers ist mit herkömmlichem Tabak gefüllt, die von Christian Drost mit medizinischem Cannabis. Für dieses Heilmittel hat Chris, wie er von seinem Umfeld genannt wird, lange gekämpft. „Es gab Phasen in meinem Leben, in denen ich stark selbstmordgefährdet und depressiv war“, reflektiert er über seine Zeit als junger Erwachsener. „Mit gerade mal 22 Jahren bekam ich die Diagnose „Retinitis pigmentosa“ – eine Augenkrankheit, die mein Sehvermögen so stark beeinträchtigte, dass ich offiziell als blind gelte. Dann erkrankte ich auch noch an Multipler Sklerose“, berichtet der gelernte Elektroniker für Betriebstechnik, der seit 2016 im Rollstuhl sitzt. Die Folgen der Autoimmunerkrankung zeigen sich unter anderem in Lähmungserscheinungen, Sprachstörungen, Muskelkrämpfen und Taubheitsgefühlen; hinzu kommen bei Christian Drost massive Rückenschmerzen.

„Gras“ als Rettungsanker

Die Suche nach einer geeigneten Therapie war zermürbend. „Herkömmliche Behandlungen mit Tabletten, Cortison oder auch Fentanyl-Pflastern brachten keine dauerhafte Linderung. Es war zum Verzweifeln. Doch dann habe ich es mit „Gras“ probiert – und das war mein Rettungsanker. Cannabis ist das einzige Mittel, das mir hilft, meine Spastiken und Schmerzen einzudämmen, ohne mich mental zu beeinträchtigen. Von vielen anderen Medikamenten bekam ich Halluzinationen oder Alpträume“, erzählt Drost. Nach mehrjährigem Kampf mit dem Medizinischen Dienst und der Krankenkasse ist Christian Drost seit 2019 anerkannter Schmerzpatient und erhält monatlich eine definierte Menge an medizinischem Cannabis aus der Apotheke.

Auch wenn Drosts Erkrankung bereits weit fortgeschritten ist und es keine Chance auf Heilung gibt, steckt der 32-Jährige voller Lebensmut und Unternehmungsgeist: „Ich will den Menschen in meiner Umgebung Mut machen und sie darin bestärken, nie aufzugeben. Früher, als ich noch gesund war, dachte ich oft, dass ich nichts wert bin. Ich fühlte mich wie ein Niemand. Aber heute - mit meiner persönlichen Lebensgeschichte - kann ich zeigen, dass es sich immer lohnt, zu kämpfen und weiterzumachen.“

Diesen Optimismus erlebt auch Hospizhelfer Jagoda bei seinen Besuchen: „Für Chris ist jeder Tag eine Herausforderung. Doch trotz der massiven Einschränkungen und der bedrückenden Perspektive ist er ein fröhlicher und positiver Mensch. Das beeindruckt mir sehr und verändert auch meine eigene Lebenseinstellung.“

Nach langjähriger Erfahrung als ambulanter Hospizhelfer weiß der Allendorfer, dass die Begleitungen von lebensverkürzend erkrankten Menschen nicht immer einfach sind, sondern mitunter auch problembehaftet und fordernd verlaufen können. Missen möchte Jagoda sein hospizliches Engagement dennoch in keinem Fall: „Eines haben mich meine unterschiedlichen Begleitungen beim Sternenweg gelehrt: Dieses Ehrenamt gibt einem immer mehr, als es kostet.“