Hüsten. Geburtsplan geändert: dreifache Mutter Gudrun Fabry und der Weg zum Kaiserschnitt. Einblicke vom Chefarzt.
„Ich war froh zu hören, dass wir einen Kaiserschnitt machen mussten“, sagt Gudrun Fabry. Denn zu diesem Zeitpunkt liegt sie bereits über 24 Stunden in den Wehen. „Das Köpfchen hatte sich verkeilt, der Muttermund öffnete sich nicht und mein Becken war auch zu schmal.“ Narkose. Kaiserschnitt. Kind gesund, Mutter gesund. Auch das zweite und dritte Kind wird per Kaiserschnitt geholt. „Beim zweiten hatte ich aber eine Spinalanästhesie – und konnte mein Kind direkt in die Arme nehmen. Das war viel schöner.“
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Heute, mehr als 30 Jahre später, bereut sie es nicht, dass alle drei Kinder per Kaiserschnitt zur Welt kamen. „Ich konnte es ja eh nicht ändern.“ Dass es heute werdende Mütter gibt, die sich freiwillig auf den OP-Tisch legen, um ihr Kind per Kaiserschnitt zu bekommen, kann sie jedoch nicht nachvollziehen.
Medizinische Notwendigkeit des Kaiserschnitts
Ebenso wie Chefarzt Dr. Norbert Peters (62) des Klinikums Hochsauerland. Als Spezialist für die operative Gynäkologie und Geburtshilfe haben er und sein medizinisches Team schon Tausende Kinder zur Welt geholt (2023 waren es rund 1600) – und auch schon die unglaublichsten Gründe für einen Wunschkaiserschnitt gehört. Eine Anwältin habe, so sagt er, ihm mal einen zeitlichen Rahmen für den geplanten Kaiserschnitt vorgegeben, „weil sie in den darauffolgenden Wochen wieder arbeiten wollte“.
Dies sei aber in seiner Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Hüsten eher die Ausnahme. „Kaiserschnitte sind die häufigsten Operationen auf der ganzen Welt“, sagt Peters, „und nur zehn bis zwölf Prozent sind medizinisch notwendig.“
Medizinisch notwendig seien Kaiserschnitte, wenn beispielsweise der Kopf zu groß und das Becken der werdenden Mutter zu schmal ist (man spricht von Kopf-Becken-Missverhältnis), wenn Mehrlingsgeburten anstünden oder aber auch, wenn die Plazenta (Mutterkuchen) sich vorzeitig löse. „Das ist innerhalb weniger Minuten lebensbedrohlich“, so Dr. Norbert Peters, „dann müssen wir einen Kaiserschnitt machen.“
Vor- und Nachteile des Kaiserschnitts
Der Beckenboden wird weniger in Mitleidenschaft gezogen, das Risiko von Inkontinenz ist geringer.
Der Intimbereich bleibt unversehrt.
Vorteile eines Kaiserschnitts:
- Planbarkeit.
- Keine Wehenschmerzen.
Nachteile eines Kaiserschnitts:
- Nach einem Kaiserschnitt kann es in Folgeschwangerschaften zu Plazentationsstörungen oder einem Gebärmutterriss kommen.
- Beim Kaiserschnitt sind allgemeine Risiken einer Operation wie beispielsweise Thrombosen, starker Blutverlust, Entzündungen, Verwachsungen und Wundheilstörungen leicht erhöht.
- Nach einem Kaiserschnitt ist die Mutter länger eingeschränkt, hat Schmerzen wegen der Operationswunde und muss länger im Spital bleiben.
- Nach einem Kaiserschnitt sollte man mindestens ein Jahr nicht schwanger werden.
Ein häufiger Grund für Kaiserschnitte sei die Tatsache, dass die Kinder immer größer würden. „Waren es früher durchschnittlich 3300 Gramm, sind es heute oft über 4000“, so Peters, „das liegt auch an der westlichen Ernährungsweise, an der Energiedichte der Fertignahrungsmittel und der wenigen Bewegung.“
Sanfter Kaiserschnitt: Weniger Naht, weniger Risiko
Vor 30 Jahren sei aber der medizinische Fortschritt noch nicht so groß gewesen. Habe man früher nach dem herkömmlichen Kaiserschnitt noch zehn Tage im Krankenhaus verbracht, seien es heute durchschnittlich drei.
„Der sogenannte sanfte Kaiserschnitt ist einer der Meilensteine in der Geburtsmedizin“, sagt Dr. Norbert Peters, „weniger Nahtmaterial und vor allem auch mit spinaler Anästhesie durchführbar.“ Dies bedeute, dass die werdende Mutter nicht unter Narkose steht, sondern die Geburt ihres Kindes bei vollem Bewusstsein erlebe. „Der werdende Vater kann dabei sein – das Kind wird der Mutter direkt gezeigt, bevor es dann in den warmen Nebenraum gebracht wird.“ Denn direkt auf den warmen Bauch der Mutter gelegt werden kann es nicht.
Wunschkaiserschnitt: „Wäre nicht meine Wahl gewesen“
Auch psychisch gehe das nicht spurlos an einer Mutter vorbei. „Das ist ein sehr emotionales Thema“, sagt Peters. „Eine natürliche Geburt gibt der Mutter ein Gefühl des Stolzes, wenn sie ihr Kind in den Armen hält.“ Denn schließlich sei für viele Frauen der Tag der Geburt des ersten Kindes der schönste ihres Lebens. „Und genau dieses Gefühl wird ihnen mit dem Kaiserschnitt genommen“, so der erfahrene Spezialist.
Vor- und Nachteile einer natürlichen Geburt
Vorteile einer natürlichen Geburt:
- Weitere Schwangerschaften verlaufen unkomplizierter.
- Die Frau ist schneller wieder fit und darf rascher ins Rückbildungsturnen als nach einem Kaiserschnitt.
- Das Gefühl, eine Herausforderung gemeistert zu haben, kann die Persönlichkeit stärken.
- Das Glücksgefühl nach einer natürlichen Geburt ist möglicherweise eindrücklicher als nach einer Schnittentbindung.
- Keine Operationsrisiken.
- Keine Narbe am Bauch.
Nachteile einer natürlichen Geburt:
- Eine vaginale Geburt kann Verletzungen oder Veränderungen im Intimbereich hinterlassen und zieht den Beckenboden stärker in Mitleidenschaft als ein Kaiserschnitt, was auch längerfristig zu Harn-Inkontinenz führen kann.
- Eine vaginale Geburt kann das Schamgefühl der Frau unter Umständen stärker verletzen als ein Kaiserschnitt.
- Eine vaginale Geburt kann bei Mutter und Vater zu einem psychischen Trauma führen, weil es ein Extremerlebnis ist.
Ein Aspekt, den Frauen oftmals zu vergessen scheinen. Denn die Hälfte derjenigen, die zunächst einen Wunschkaiserschnitt anstrebten, ließen sich innerhalb der zwei vorweggehenden Chefarztgespräche umstimmen. „Wir propagieren die natürliche Geburt – auch in unseren Beratungsgesprächen. Viele Frauen entscheiden sich dann auch dafür, keinen Kaiserschnitt vornehmen zu lassen.“
Kaiserschnitt-Rate im Klinikum vergleichsweise niedrig
Gerade einmal 21,5 Prozent der Geburten im Klinikum Hochsauerland seien Kaiserschnitte. Davon rund ein Prozent Wunschkaiserschnitte. „Deutschlandweit liegt die Kaiserschnitt-Rate bei über 30 Prozent“, so der Experte. Oftmals seien es kleinere Krankenhäuser, die „gern“ Wunschkaiserschnitte durchführten – einmal wegen der Planbarkeit (wichtig aufgrund des Personalmangels), weil ein Kaiserschnitt nur rund 20 bis 25 Minuten dauere und terminiert werden könne. Zum anderen aber auch, weil Kaiserschnitte dem Krankenhaus mehr Geld einbrächten als natürliche Geburten. Im Klinikum Hochsauerland stehe jedoch lieber eine gute Geburtsbegleitung im Vordergrund – was personell in einer solch großen Abteilung auch möglich sei.
Auch Gudrun Fabry hätte sich drei natürliche Geburten gewünscht – landete jedoch dreimal auf dem OP-Tisch zum Kaiserschnitt. „Das hat man aber nicht immer in der Hand“, sagt sie, „auch wenn ich es nicht bereue – ein Wunschkaiserschnitt wäre nicht meine Wahl gewesen.“