Sundern. Warum sich ein Tiernotdienst des Nachts nicht rechnet? Das verrät das Interview mit Frau Dr. med. vet. Klemt aus der Kleintierpraxis Sundern.

Die Anforderungen an Tierarztpraxen wachsen stetig – beginnend bei medizinischen Modernisierungen rund um die tierärztliche Versorgung, hinweg über die gewünschte Rundumbereitschaft 24/7 bis hin zur psychischen Belastung, mit der immer mehr Tierärztinnen und Tierärzte konfrontiert werden. Dr. med. vet. Christiane Klemt (61), Vorsitzende der Kreisstelle des HSK der Tierärztekammer Westfalen-Lippe, spricht über starre Arbeitszeitkorsette, Personalmangel und geänderte Work-Life-Balance-Erwartungen.

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NRW ist das einzige Bundesland in Deutschland, in dem es keine gesetzliche tierärztliche Notdienstpflicht gibt. Daher setzt sich die Tierärztekammer Westfalen-Lippe für eine Gesetzesänderung des Heilberufsgesetzes NRW ein. Was würde dies Ihrer Meinung nach ändern?

Das Problem in den Bundesländern, in denen die Notdienstpflicht festgeschrieben ist, ist kein anderes als hier in NRW. Letztendlich müssen Tierarztpraxen das Gesetz auch umsetzen können. Auch unsere Branche ist vom Fachkräftemangel betroffen. Deshalb glaube ich auch nicht, dass die Gesetzesänderung jetzt die Lösung ist. Denn es gibt einfach zu wenig Tierärzte, die schauen müssen, wie sie auch noch ihren Tagesdienst verrichten können. Ebenso ergeht es auch den Tierkliniken im Kammerbezirk Westfalen-Lippe. Noch 2018 hatten wir zwölf Tierkliniken – jetzt sind es zwei.

Wo liegen die Probleme, einen freiwilligen oder auch gesetzlich vorgeschriebenen nächtlichen Notdienst umzusetzen?

Das beginnt schon mit der korrekten Einhaltung des Arbeitsschutzes. Für mich als selbstständige Tierärztin gilt das nicht, aber für meine Tiermedizinischen Fachangestellten schon. Da geht es insbesondere um die Einhaltung der Ruhezeit von elf Stunden zwischen zwei Diensten. Ich kann jetzt schon die ganze Nacht Notdienst schieben, aber das ist praktisch eben nicht allein möglich. Wenn ein verunfalltes Tier kommt, sind die Besitzer emotional nicht in der Lage, das Tier festzuhalten. Man braucht aber jemanden, der beispielsweise das Tier beim Blutabnehmen hält. Es muss also mindestens eine Tiermedizinische Fachangestellte dabei sein. Und diese Kraft würde ja dann am nächsten Tag gesetzeskonform fehlen. Hier im ländlichen Raum sind es vor allem auch kleine Praxisstrukturen, so dass das nicht unmittelbar durch andere Kräfte ausgeglichen werden kann. Und auch bei den Tiermedizinischen Fachangestellten gibt es einen Fachkräftemangel.

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Das heißt, eine Tierarztpraxis müsste weitere Kräfte einstellen?

In der Theorie, in der Praxis findet man diese nicht. Auch rechnet sich der Notdienst in den Abend- bzw. Nachtstunden finanziell nicht – heißt, die Ausgaben übersteigen die Einnahmen. Aktuell funktioniert unser Notdienstring gut – durch die Verteilung auf verschiedene Schultern und eben der zeitlichen Begrenzung. Wir haben damals, als wir unseren Notdienstring mit dem Märkischen Kreis und Fröndenberg (schon zu Unna gehörend) gegründet haben, zunächst einmal gefragt, wer zu einem Notdienst bereit ist und wie lange. Nach Diskussionen haben wir uns damals auf 24 Uhr geeinigt – was aber auch heißt, dass man locker bis 1 oder auch 2 Uhr nachts wartet bzw. arbeitet, wenn jemand beispielsweise aus Iserlohn hierher fahren muss. Je nachdem, wie aufgewühlt man selbst dann durch den Einsatz ist, schläft man dann erst um 3 Uhr. Andersherum hat die Erfahrung gezeigt, dass dies nur selten vorkam.

Aktuell ist der Notdienst aber nur bis 22 Uhr erreichbar, richtig? Wie kam es zu diesem Zeitwechsel?

Ja. Wir haben dann alle Statistiken geführt – und festgestellt, dass unser Notdienstring in der Zeit von 22 bis 24 Uhr nur durch zwei Prozent aller Notfälle genutzt wurde. Letztendlich haben wir uns entschieden, den Notdienst dann bis 22 Uhr einzurichten – wobei niemand von uns um 22 Uhr nach Hause geht. Ich weiß noch, wie ich nach Feierabend noch gequatscht habe und plötzlich jemand anrief, dessen Katze angefahren wurde – da war es gut, dass ich noch da war. Ich fand das auch entsetzlich, das Tier dann so zu sehen. Ich habe diesen Beruf damals gewählt, weil ich Tieren helfen wollte.

Haben Sie sich Ihren Beruf vor 30 Jahren so vorgestellt? Was hat sich ggf. geändert?

Ich liebe diesen Beruf nach wie vor und bereue nicht, dass ich mich damals dafür entschieden habe. Aber die Ansprüche, die an einen gestellt werden, sind stetig gewachsen. Es gibt immer wieder medizinische Neuerungen, man bildet sich stetig fort. Die Rahmenbedingungen jedoch stehen oft still – wie beispielsweise die GOT (Anm. der Redaktion: Gebührenordnung für Tierärztinnen und Tierärzte), die erst kürzlich angepasst wurde. Was auch wichtig gewesen ist. Diese Dinge belasten einen seit eh und je. Die psychische Belastung ist auch groß. Wenn ich tagelang ein Tier versorgt habe und es dann trotzdem einschläfern muss, belastet mich das sehr. Nicht nur die Besitzerinnen und Besitzer, für die das Haustier oft ein Wegbegleiter ist, ein festes Mitglied der Familie. Da bleibt es nicht aus, dass die Emotionalität steigt und der ein oder andere auch mal ausfällig wird.

Ausfällig inwiefern?

Also wir haben einen Kollegen im Märkischen Kreis, der nur noch mit der Bodycam arbeitet. Und auch ich wurde schon einmal mit den Armen an die Wand gedrückt, weil ein Tier eingeschläfert werden musste. Ich habe zwar jetzt keine Angst, denn das sind letztendlich Einzelfälle. Aber auch unter diesem Aspekt ist es gut, wenn eine zweite Person anwesend ist. Eine Tiermedizinische Fachangestellte.

Sie erwähnten eben die GOT, deren Anpassung wichtig gewesen sei. Warum?

Ich bin jetzt seit 30 Jahren selbstständig und vorher war ich in einer Klinik tätig – habe auch in einer Gemischtpraxis gearbeitet. Also seit 1988. Und da hat sich schon sehr viel gewandelt. Die Ansprüche der Menschen an die Tiermedizin – und auch die Tiermedizin selbst, die sich gewandelt hat. Um diesem ganzen Fortschritt gerecht zu werden, ist die neue GOT wichtig gewesen. Denn viele Punkte gab es in der alten GOT gar nicht.

Wie ist die Resonanz Ihrer Kundinnen und Kunden auf die erhöhten Tierarztkosten?

Die Aufklärung ist schon gut und ich glaube, die Aufregung um die Preiserhöhungen ist nicht so groß. Im Alltäglichen interessiert das niemanden. Bisher hat sich kaum jemand beschwert. Ich hatte damals auch extra Flyer drucken lassen – insbesondere auch bezüglich der Notfall-Praxisgebühr in Höhe von 50 Euro, die jede Tierarztpraxis im Notfall nehmen muss. Diese Flyer verstauben jetzt (lacht). Ich glaube, die Aufklärung in der Allgemeinheit ist schon gut – ebenso wie die Einsicht.

Trotz der GOT-Erhöhung rechnet sich ein abendlicher bzw. nächtlicher Notdienst nicht?

Genau. Es hat vor November 2022 nur zwei Erhöhungen des GOT (aus 1999) gegeben – einmal 2008 und ein weiteres Mal 2018. Das sind zwei Stufen á 12 Prozent. Die Inflationsrate hat sich jedoch im Zeitraum 1999 bis 2017 um 29,44 Prozent erhöht, die Tariferhöhungen für TFA (Anm. der Redaktion: Tiermedizinische Fachangestellte) bis 2019 im ersten und zweiten Berufsjahr um 46,7 Prozent. Und letztendlich ist das immer noch zu wenig. Denn eine TFA streichelt nicht nur Katzen oder Hunde, sondern eignet sich in der dreijährigen Ausbildung viel Wissen rund um Pathologie, Physiologie und Anatomie an. Auch Praxisorganisation, IT-Kenntnisse und kaufmännisches Wissen gehören zum Berufsfeld. Alles in allem: Auch wenn der Grundgedanke die Tierliebe ist, sind wir ein Wirtschaftsunternehmen.

Hat sich aufgrund dieser Rahmenbedingungen an Ihrer Einstellung zum Beruf etwas geändert?

Nein, von der Einstellung her nicht. Aber wenn mir jemand früher gesagt hat, dass das ein anstrengender Beruf ist, dann habe ich immer gedacht: Nein, das sind Lorbeeren, die du nicht verdienst. Aber heute finde ich es doch sehr anstrengend. Wir stehen den ganzen Tag oder knien auf dem Boden, müssen auf die Abwehr des Tieres reagieren. Auch das ist nicht immer stressfrei und ungefährlich, körperlich schon sehr anstrengend. Aber auch emotional, denn wir nehmen die Schicksale immer mit ins Bett.