Arnsberg/Sundern. B. Castagnaro ist traurig - und sauer: Weil es nachts keinen Tierarzt-Notdienst in Arnsberg gab, quälte sich Kater über Stunden. Sie appelliert.
Ihre Stimme zittert, wenn sie von der „Horrornacht“, wie sie diese selber nennt, erzählt. Bianca Castagnaro verlor ihren Kater - und das auf tragische Art und Weise.
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Es ist etwa 1.30 Uhr nachts. Bianca Castagnaro hört ein Schreien auf der Terrasse und sieht nach - ihr Kater, Balou, liegt blutüberströmt auf dem Boden. Anfangs traut sie sich nicht, ihn anzufassen. „Sein Schädel war völlig deformiert, sein Kiefer hing schräg“, sagt sie, „und (sie stockt) sein Auge war nicht mehr dort, wo es hingehört.“ Völlig geschockt will sie hineinlaufen und ihren Mann anrufen. „Er war noch unterwegs und half an diesem Tag meiner Tochter beim Umzug.“ Da Balou ihr jedoch hinterherzukriechen versucht und sie ihn nicht leiden sehen kann, überwindet sie sich und trägt ihn hinein. „Ich habe ihn dann ganz vorsichtig in einen Wäschekorb mit einer Decke gelegt. Er schrie vor Schmerzen.“
Drei Anrufe - drei Nieten
Schnell greift sie zum Handy. Will den tierärztlichen Notdienst anrufen. Doch um diese Uhrzeit erreicht sie lediglich die Mailbox. „Ich habe drei Tierärzte in Neheim-Hüsten angerufen“, erzählt sie, „einer empfahl die Tierklinik in Duisburg, einer Bielefeld und einer Recklinghausen.“ 97,3 Kilometer, 98,2 Kilometer und 75,3 Kilometer weit weg. Eine Tortur, die sie ihrem Kater nicht antun kann und will. „Er schrie ja schon, als ich ihn in den Wäschekorb legte“, sagt sie, „außerdem stand ich unter Schock - sollte ich so mit einem schreienden Kater an die 100 Kilometer fahren?“
Inzwischen ist auch ihr Mann zuhause eingetroffen und steht fassungslos vor dem sich quälenden Tier. „Er ließ mich ab da nicht mehr in die Küche“, sagt Bianca Castagnaro, „denn Balous Kopf schwoll immer weiter an - deformierte sich immer mehr.“ Den Anblick wollte er seiner Frau ersparen - er bliebt beim Kater und versuchte ihn zu beruhigen.
„Auch ein Tier hat Gefühle“
Erst um acht Uhr am Morgen erreicht das aufgelöste Paar eine Tierarztpraxis in Iserlohn, die sie sofort herbeordert. „Der Tierarzt schaute sich Balou an. Er hatte seinen Kiefer gebrochen, ein Schädelhirntrauma und das kaputte Auge“, so die Tierliebhaberin, „er erlöste ihn dann von seinen Qualen und schläferte ihn ein.“ Die ganze Nacht habe Balou um sein Leben gekämpft und auch, als er die tödliche Spritze bekommen habe, habe es noch eine Weile gedauert, bis er eingeschlafen sei. „Er wollte leben“, sagt Bianca Castagnaro, „auch ein Tier hat Gefühle.“
Genau diese Gefühle seien ihr nicht aus dem Kopf gegangen. Und der tagelangen Trauer folgte Wut. Wut auf den Autofahrer, der den Kater offensichtlich angefahren und dann im Stich gelassen hatte - und Wut auf die tiernotärztliche Versorgung in Arnsberg und Sundern. „Wie hätten wir in der Verfassung nach Duisburg, Bielefeld oder Recklinghausen fahren sollen?“, fragt sie. „Warum gibt es nachts keine tiernotärztliche Versorgung hier?“ Für absolute Notfälle. Nicht für einen Wurmbefall - aber eben für Fälle wie diese, in denen ein Tier über Stunden hinweg leiden müsse. „Hätten wir ihn selbst erlösen sollen? Glauben Sie mir, selbst den Gedanken hatten wir - konnten es aber nicht!“ Letztendlich wisse sie um die Umstände, die dazu führten, dass hier vor Ort kein nächtlicher Notdienst aktiv sei - sie wisse aber auch (und dies habe sie leider erst im Nachhinein erfahren bzw. recherchiert), dass umliegende Orte, wie Soest beispielsweise, dies hinkriegten. Daher appelliere sie an die Tierärzte und Tierärztinnen in Arnsberg und Sundern, wenigstens einen telefonischen Rufnotdienst des Nachts einzurichten - um dann ggf. in absoluten Notfällen handeln zu können.
Tiernotdienste in Arnsberg und Sundern sind freiwillig
Denn es gibt keine Notdienstverpflichtung. „Die Tierärztekammer Westfalen-Lippe hat derzeit keine Möglichkeit, Tierärztinnen/Tierärzte zu einem Notdienst zu verpflichten, da das Heilberufsgesetz NRW– anders als die entsprechenden Gesetze in allen anderen Bundesländern – keine Notdienstverpflichtung beinhaltet“, teilt Oliver Bergers, Rechtstab der Tierärztekammer Westfalen-Lippe auf Anfrage mit, „Entsprechend heißt es in § 19 Abs. 1 der Berufsordnung der Tierärztekammer Westfalen-Lippe lediglich: „Niedergelassene Tierärztinnen/Tierärzte sollen zur gegenseitigen Vertretung und zur Errichtung von Wochenend- und Feiertagsdiensten bereit sein.“
Notdienste würden in Westfalen-Lippe unterschiedlich geregelt. So gebe es beispielsweise Tierärztliche Kliniken, die eine ständige, sprich „rund-um-die-Uhr“-Dienstbereitschaft vorweisen müssten. „Die Zahl der Tierärztlichen Kliniken für Kleintiere ist allerdings in der Vergangenheit deutlich zurück gegangen“, so Oliver Bergers. Derzeit bestünden in Westfalen-Lippe noch zwei dieser Kliniken. Daneben gebe es die sogenannten Notdienstringe, die entweder von benachbarten Praxen oder über den Vorsitz einer Kreisstelle – einer räumlichen Untergliederung des Kammergebiets - organisiert würden.
Des Weiteren gebe es auch Tierarztpraxen, die aufgrund ihrer Größe eine eigene Notdienstversorgung anböten. „Dabei empfiehlt es sich gleichwohl für Patientenbesitzer, sich frühzeitig zu informieren, an wen man sich im Notfall wenden kann und wie ggf. auch gewisse räumliche Entfernungen zur nächsten notdiensthabenden Praxis/Klinik bewältigt werden können.“ In absoluten Notfällen könnten Personen aus Arnsberg aber auch andere Notdienste nutzen.
Fachkräftemangel NRW bekämpfen
Die Tierärztekammer Westfalen-Lippe setzt sich sehr intensiv für eine Änderung des Heilberufsgesetzes NRW dahingehend ein, dass darin eine Notdienstverpflichtung auch für Tierärztinnen und Tierärzte aufgenommen wird. „Die Einführung einer Notdienstverpflichtung allein droht allerdings ins Leere zu laufen, wenn es nicht genügend Tierärztinnen und Tierärzte gibt, die diese Notdienste auch ableisten können“, so Oliver Bergers. „In der Veterinärmedizin besteht ein deutlicher Fachkräftemangel.“
Die Tierärztekammer Westfalen-Lippe setze sich daher intensiv für die Schaffung einer zusätzlichen veterinärmedizinischen Fakultät in NRW ein. Bisher gebe es in Deutschland lediglich fünf Universitäten, an denen Veterinärmedizin studiert werden kann. Davon befände sich keine in NRW.
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Bianca Castagnaro wird ihren Balou niemals vergessen. Den kleinen Racker, den sie mit 131 Gramm aufnahm und mühevoll aufpäppelte - vor gerade einmal vier Jahren.