Hochsauerland. Mehr Scharlach-Erkrankungen im Hochsauerlandkreis - aber weniger Antibiotika-Kindersäfte. Das sagen eine Ärztin und ein Apotheker aus Hüsten.
„Wir haben einen Scharlach-Fall“ – wenn diese Nachricht an Kita- oder Schultüren zu lesen ist, stockt der Atem vieler Eltern. Denn diese Krankheit ist hoch ansteckend. Durch Husten, Niesen oder auch Sprechen können die Erreger über feinste Speichel-Tröpfchen schnell übertragen werden. Gerade aktuell, wo das Immunsystem eines jeden offensichtlich versucht, die durch Masken geschützten letzten Jahre „aufzuholen“ und sich durch entsprechende Konfrontationen wieder zu stärken.
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„Scharlach ist das Vollbild einer Infektion mit Streptokokken der Gruppe A und war zuletzt auch in der Region vermehrt zu verzeichnen. Aber auch von den anderen Manifestationen (Streptokokken-Tonsillitis und -Angina) waren zuletzt mehr Kinder (und auch Erwachsene) betroffen. Scharlach ist jedoch in der Regel ambulant behandelbar und nur wenige Kinder erkranken so schwer, dass sie stationär versorgt werden müssen. Wir verzeichnen in der Klinik für Kinder und Jugendmedizin des Klinikums Hochsauerland aktuell einen dezenten Rückgang an Streptokokken-Infektionen“, informiert Dr. med. Jila Schauerte, Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Klinikum Hochsauerland.
412 Scharlach-Erkrankungen in knapp über vier Monaten
Das Gesundheitsamt des Hochsauerlandkreises vermeldet durch den Pressesprecher Martin Reuther 412 Scharlach-Fälle allein in diesem Jahr (Stichtag 8. Mai). 94 Scharlach-Erkrankungen seien demnach im Jahr 2022 gemeldet worden. Die Zahlen haben sich also allein in diesen vier Monaten des Jahres mehr als vervierfacht.
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Für die Jahre 2020 und 2021 lägen keine Zahlen vor, da eine Meldepflicht für Scharlach nach den Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes nur für Gemeinschaftseinrichtungen bestünde und diese zu einem großen Zeitanteil in den Pandemiejahren nicht oder nur eingeschränkt in Betrieb gewesen seien.
Klinikum Hochsauerland zum allgemeinen Antibiotika-Mangel
Scharlach wird normalerweise mit Antibiotika behandelt. Das verkürzt die Ansteckungszeit und mindert Komplikationen. Doch genau da liegt das Problem – denn deutschlandweit herrscht ein Mangel an Antibiotika-Kindersäften. Auch in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums Hochsauerland ist dies zu spüren.
„In der stationären Versorgung greifen wir aber in der Regel auf Medikamente zurück, die intravenös verabreicht werden. Daher können wir den Engpass noch kompensieren“, sagt Dr. med. Jila Schauerte und ergänzt: „Ist nach der stationären Behandlung eine Antibiotika-Therapie nötig, müssen wir vor der geplanten Entlassung des Kindes jedoch nicht selten mehrere Apotheken abtelefonieren und die Versorgungsmöglichkeiten abfragen, bevor wir eine Empfehlung zur weiteren häuslichen Antibiotika-Therapie planen und aussprechen können. Dank dieses erheblichen Mehraufwands haben wir für betroffene Eltern und Kinder bisher immer eine Lösung gefunden“.
Apotheken auch in Arnsberg und Sundern auf Antibiotika-Jagd
Einen erheblichen Mehraufwand verzeichnet auch die Hirsch-Apotheke in Hüsten. „Ich könnte rein theoretisch eine Mitarbeiterin komplett auf diese Thematik ansetzen“, sagt Christoph Tillmann, Inhaber, „beim Einkauf muss man wirklich schnell sein – nach zwei oder drei Minuten kann das Medikament weg sein.“ Eine Belieferung sei eher sporadisch. Denn wenn ein Großhändler beispielsweise 60 Fläschchen liefern könnte, könne er diese ja nicht alle an eine Apotheke schicken. „Das geschieht dann eher nach dem Gießkannensystem.“
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Hört sich an wie eine „Ebay“-Auktion für Medikamente. Aber gerade bei Antibiotika-Säften für Kinder sei tatsächlich Ebbe. Auch die Hirschapotheke telefoniere manchmal hin und her, um Kolleginnen und Kollegen zu finden, die das Medikament vor Ort haben. „Manchmal haben auch die Eltern sich vorher schon schlau gemacht.“
Stärkung der Apotheken vor Ort
Insgesamt gingen Eltern noch sehr verständnisvoll mit der Situation um. Es ginge hier auch nicht um ein Pfund Zucker. Das dürfe man auch nicht vergessen. „Hinzu kommt, dass es immer weniger Apotheken gibt“, so Christoph Tillmann weiter, „schwierig ist dann auch der Notdienst.“
Gemeint ist, dass der jeweilige Apotheken-Notdienst dann auch schnell 20- bis 30-mal ein und dasselbe Medikament herausgeben müsse – und wenn dieses dann nicht vorläge, müssten Eltern und Patienten bzw. Patientinnen beispielsweise auch mal in einen anderen Ort fahren, um das Medikament eventuell zu bekommen.
Christoph Tillmann wünscht sich eine gewisse Stärkung durch die Gesundheitspolitik, um auch zukünftig alle Patientinnen und Patienten adäquat versorgen zu können. Das Problem mit den antibiotischen Kindersäften sieht er jedoch nicht in den nächsten drei Monaten gelöst.