Hüsten. Reportage in Arnsberg: Flavia Lucia Rogge, Polizeikommissarin, und ihr Kollege Daniel Gieseke, Polizeioberkommissar, auf Streife im Stadtgebiet.
Im Auto hört sich das Horn viel leiser an als draußen. Das Blaulicht ist kaum zu sehen. Vielleicht liegt das aber auch an der Geschwindigkeit. Denn es geht rasant voran. Daniel Gieseke gibt Gas. Einen kurzen Moment lang fühlt es sich an, als drücke einen jemand mit beiden Händen fest in den Sitz. Niemand spricht auch nur ein Wort. Mit dem Funkgerät in der Hand wartet Flavia Lucia Rogge auf Infos von der Leitstelle. Die Augen starr auf die Straße gerichtet. Es scheint, als bereiteten sich die beiden gedanklich auf das vor, was kommen kann.
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Eigentlich wurden sie zu einem schlichten Verkehrsunfall gerufen. Doch auf einmal ist die Rede von einer Fahrerflucht. Der Fahrer soll zudem betrunken sein. Vier rote Ampeln, enge Nischen durch Fahrzeuge, die auf die Schnelle nicht ausweichen können. Ungewohnt. Eine gefährliche Fahrt mit Augenmaß. „Aber das macht irgendwie auch Spaß“, sagt Daniel Gieseke und lacht. So ist es.
Polizeiwache in Hüsten: Mit halbem Hallo geht’s los
Die Unfallflucht entpuppt sich als zweiter Fall. Ein etwa gleichzeitiger Unfall. Streife vor Ort. Daniel und Flavia bleiben beim Ersten. Der Geschädigten scheint es gar nicht gut zu gehen. Keine sichtbaren Verletzungen. Aber ein Schock, der sitzt. Die gesamte Seite ihres Autos ist zerkratzt und verbeult. Weinend sitzt sie hinter ihrem Lenker.
Daniel geht in die Beuge, kniet fast vor ihr und spricht mit ruhiger Stimme. Nun liegt es an ihr, ob ein Rettungswagen hinzugezogen wird oder nicht. Offenbar nicht nötig. Dem Unfallverursacher geht es gut. So gut, dass er sich die Frage stellt, ob die junge Frau überhaupt schon volljährig ist und einen Führerschein hat. „Das spielt für Sie ja keine Rolle“, sagt Flavia. Ruhig, aber direkt. Er schweigt. Eine typische Alltagssituation für die Polizei.
Eine Spätschicht lang begleite ich Flavia Lucia Rogge, Polizeikommissarin, und ihren Kollegen Daniel Gieseke, Polizeioberkommissar, auf ihrer Streife durchs Stadtgebiet.
Flavia ist 30 Jahre alt und seit sieben Jahren Polizistin. Daniel ist genauso alt, aber zwei Jahre länger dabei. Über Momente, in denen man sich kaum traut, etwas zu fragen und Uniformen, in denen Menschen zum Freund und Helfer werden - aber auch mal zu jemandem, der Tacheles spricht.
Schichtbeginn. Eigentlich gäbe es nun einen kurzen Austausch. Doch nicht heute - diesmal geht’s mit einem halben Hallo direkt ins Einsatzfahrzeug. Angeschnallt. Los geht’s.
Die Fahrt führt ohne Blaulicht und Horn nach Neheim. Junge Menschen sollen hier kurz vor einer Schlägerei stehen. Ein Messer (mutmaßlich aus Plastik) soll dabei im Spiel sein. Per Funk tauschen sich die Polizistinnen und Polizisten über aktuelle Standorte und neue Gegebenheiten aus. Stets miteinander verbunden. Daniel und Flavia fahren zu den Meldern. Es sind Kinder. Gesehen haben sie nichts. Sie haben ihre Infos vom Hörensagen. Auch von den jungen Menschen ist weit und breit nichts zu sehen.
Flavia hakt nach. Lässt sich die wichtigen Details erzählen. Und lobt. „Das habt ihr gut gemacht, dass ihr die 110 gewählt habt“, sagt sie. Auch wenn sich das Ganze letztendlich als Fehlalarm zu entpuppen scheint. „Macht das ruhig immer wieder, wenn etwas ist.“
Top 3 der kuriosesten Polizeieinsätze
1) Geburt vor der Wache
Direkt an der Ampel vor der Wache kommt in einem Auto ein Baby zur Welt. Als „der Freund und Helfer“ eintrifft, hält die Dame ihr Baby bereits im Arm.
2) Katzenbaby in der Haube
Als die Polizei ein Katzenbaby auf der Kreuzung B7/A46 retten möchte, versteckt es sich unter der Haube. Zwei weitere Einsatzwagen eilen zur Hilfe - einer vorne, einer hinten. Der Wagen mit dem Kätzchen unter der Haube „rollt“ langsam zur Wache - hier wird es rausgelockt. Es lebt nun beim Polizeibeamten.
3) In der Tonne
Ein Flüchtiger auf dem Dach ist plötzlich weg. Nach langer Suche taucht er in einer blauen Tonne vor Ort auf. Festnahme folgt trotz Lacher auf allen Seiten.
Man merkt: Flavia und Daniel machen ihren Job gern - in ihrer schweren Uniform. Allein die Weste mit all den notwendigen Utensilien wiegt viel. Der Grund, warum Polizistinnen und Polizisten oft einen gewissen unnahbaren Eindruck vermitteln? Eher beängstigend, statt freundschaftlich rüberkommen? „Die Uniform macht etwas mit einem, das stimmt“, sagt Flavia, „sobald wir sie tragen, sind wir keine Privatpersonen mehr.“ Sie seien nun öffentliche Personen.
Sie meint auch die Art des Handelns. Denn im Dienste der Polizei spielt die eigene Meinung nur eine untergeordnete Rolle - Fakten, Vorschriften und das Gesetz stehen dann im Fokus. Und dennoch müssen sie die Situation richtig einzuschätzen wissen.
„Staatsdiener“ darf sich Daniel dann auch schon mal spöttisch nennen lassen. Von Bekannten, wenn sie erführen, dass er Polizist ist. „Ich kann darüber nur lachen”, sagt er. Auch Flavia darf sich das ein oder andere Mal „dumme Sprüche” anhören. „Aber nicht von Freunden oder der Familie - eher von Bekannten oder Fremden.” Beide stört es nicht.
Sie haben ein dickes Fell - und haben sich vor einiger Zeit ja auch für den Job entschieden. „Schon als Kind wollte ich Polizistin werden, seit 2016 bin ich nun dabei”, sagt Flavia. Es sei immer spannend. „Man weiß in der ersten Stunde nicht, was in der zweiten passiert.” „Bei mir war es ein bisschen anders”, sagt Daniel, „ich wollte immer Pilot oder Polizist werden - naja, Pilot hat nicht geklappt. Also bin ich Polizist geworden.”
Beiden gefällt die Abwechslung - die Vielfalt der Bereiche. „Von Allem etwas”, sagt Daniel. „Besonders interessant finde ich Drogendelikte - aber auch die Spurensuche.” Er erinnert sich an die erste Recherche nach seiner Ausbildung. „Das war schon spannend.”
Neben einem leichten Hang zum Adrenalinkick benötigen Polizistinnen und Polizisten also flinke Augen und ein gewisses Gespür für Verbrechen. Ebenso aber auch Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl, wie sich kurz danach herausstellt. Ein mutmaßliches Sexualdelikt. Die betroffene Person: ein Kind. Seine Eltern haben die 110 gewählt. Genau jetzt sind diese beiden Eigenschaften gefragt. Daniel spricht mit dem Kind. Allein. Unter vier Augen, während Flavia sich um die aufgebrachte Mutter kümmert. Ganz gleich, was im Hinterkopf herum schwirrt - jetzt müssen das Kind und seine Eltern merken, dass sie ernstgenommen werden. Aufklären lässt sich der Fall aber akut nicht - eine Anzeige wird aufgenommen.
Für jetzt ist die Aufgabe der beiden erledigt. Was sie persönlich darüber denken, lassen sich die beiden nicht aus der Nase ziehen - denn letztendlich entscheiden sie nicht über Recht oder Schuld. „Das müssen nun die weiteren Ermittlungen zeigen“, sagt Daniel. Eine Rundfahrt durch Moosfelde folgt. Entlang eines kleinen Schleichweges, vorbei an einem ziemlich abgehalfterten Häuschen. „Hier wird gerne mal unter dem Vordach gezündelt“, sagt Daniel.
Sie scheinen „ihre Pappenheimer“ zu kennen - und auch die Orte, an denen sich die ein oder anderen gerne mal negativ auslassen. Es ist keine Sightseeing-Tour. Daniel und Flavia haben ihre Augen überall. Jedes noch so kleine Detail in der Umgebung nehmen sie wahr. Jede noch so kleine Ungereimtheit.
Wieder in Neheim führt der Weg plötzlich nicht mehr über übliche Straßen, sondern mitten durch den Bremers Park. Die Augen insbesondere auf die Bänke und kleine Ecken gerichtet.
Quer durch die Fußgängerzone geht’s weiter. Vorbei an der WP-Redaktion, in der mittlerweile kein Licht mehr brennt. Es ist dunkel geworden. Und damit offensichtlich jugendlich-belebt auf der „Domplatte“ in Neheim. Einige Jugendliche kauern auf einer Bank unter den Arkaden. Daniel und Flavia checken sie.
Freundlich sprechen sie die jungen Menschen an. Was machen sie dort? Chillen. Und sowieso wollen einige von ihnen gerade gehen. Daniel lässt sich die Ausweise zeigen - überprüft diese im Auto, während Flavia sich weiter mit den Jugendlichen unterhält. Und auch wenn bei einem etwas im Polizeicomputer zu finden ist, so besteht akut kein Handlungsbedarf. Trotzdem nimmt er ihn kurz zur Seite - weg von den anderen. Ein kurzes, ernstes Wörtchen. „Es besteht kein Tatverdacht“, sagt Daniel zurück im Auto. Er riecht nicht nach Marijuhana. Auch sonst zeigt sich nichts Auffälliges. „Ohne Anfangsverdacht durchsuche ich niemanden.“
Humor ist immer dabei
Ein solcher Anfangsverdacht kann aber auch zur Luftblase werden. Wie jetzt - Daniel und Flavia halten einen Kleinwagen an. Allgemeine Verkehrskontrolle. Es steigt eine ältere Dame aus.
„Wissen Sie, junger Mann, ich bin in meinem gesamten Leben nur zweimal angehalten worden”, sagt sie, „und beide Male war ich auf dem Weg zum Schwimmen.” Daniel grinst. Nach einem kurzen Blick auf den Führerschein und die Fahrzeugpapiere darf sie weiterfahren. Sein anfänglicher Verdacht hat sich nicht bestätigt. Alles gut.
Es folgen weitere kleine Kontrollen. Insgesamt ein eher ruhiger Tag. „Liegt wahrscheinlich am Wetter”, sagt Flavia, „wenn es schön ist, sind mehr Leute draußen.” Im Sommer sei es generell stressiger - Schützenfeste, Partys, Alkohol in Mengen. „Da muss man sich auch manchmal der Tonalität des Gegenübers anpassen”, sagt Daniel. „Trotzdem muss man auf seinen Ton achten und professionell bleiben.” Wenn viel Alkohol flösse, könne man mit den Menschen allerdings auch nicht mehr normal reden.
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Daniel und Flavia finden, dass der Ton in der Gesellschaft generell rauer geworden ist - insbesondere im Social Web. „Man stumpft da schon ein bisschen ab”, sagen sie. Auch, was die Delikte und Verbrechen angeht. „Am Anfang hat man die ein oder andere Geschichte schon mit nach Hause genommen”, sagt Flavia. Doch mittlerweile nicht mehr.
„Ich würde sagen, dass der Job die Nerven stärkt”. Daniel bringt Humor ins Spiel. „Als Mann würde ich sagen, dass die Multitaskingfähigkeit steigt”, sagt er und lacht. Humor spielt generell eine große Rolle. „Wir nutzen Humor auch, um gewisse Vorfälle zu verarbeiten”, sagt Flavia. „Das ist irgendwie unsere Art, mit schlechten Dingen, die passieren, umzugehen.”
Diesmal ist alles gut gelaufen. Daniel und Flavia können ihre Schicht gelassen beenden.