Neheim. Am Sonntag in der Früh werden die Uhren von zwei auf drei Uhr gestellt - eine Stunde weniger Schlaf. Über gesundheitliche Folgen und Sinn.
Innerhalb einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2020 gaben von rund 1000 befragten Personen 29 Prozent an, dass sie nach der Zeitumstellung unter gesundheitlichen Problemen leiden – eine Art „Mini-Jetlag“, wie das Gesundheitsmagazin der AOK es nennt. Müdigkeit, Schlappheit, Einschlafprobleme, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Gereiztheit und depressive Verstimmungen sollen die Folge sein.
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Gleichzeitig entfacht jedes Jahr aufs Neue -einmal im Frühling und einmal im Herbst- die Debatte zum Für und Wider der Zeitumstellung. Diese Zeitung fragte den fachlich kompetenten Mediziner Dr. Rüdiger Holzbach, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik.
Können Sie die Ergebnisse der Forsa-Umfrage und die angegebenen gesundheitlichen Folgen bestätigen?
Zunächst muss man festhalten, dass die Studienlage zur Zeitumstellung widersprüchlich ist. Wenn Probleme gefunden werden, dann im Frühjahr, wenn die Nacht um eine Stunde verkürzt wird. Es ist auch nicht weiter verwunderlich, dass man, wenn man eine Stunde weniger als sonst geschlafen hat, die genannten Symptome hat. Entscheidend ist die Frage, ob es einen Effekt über die erste Nacht hinaus gibt. Ich sehe hier kein besonderes Problem, da jeder mal kürzer schläft, es am nächsten Tag bereut. Wenn dann am Abend etwas früher geschlafen wird, ist wieder alles ok.
Kann es nicht auch sein, dass „unser Kopf sagt“, dass uns eine Stunde in der Nacht geklaut wird und wir uns diese Symptome einbilden?
Das sehe ich in der Tat so. Das ist so ähnlich wie das Thema Vollmond und Schlaf. Hier ist die Studienlage recht eindeutig – der Mond hat keinen Einfluss auf den Schlaf. Trotzdem hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass es so ist. Die Erwartung von schlechtem Schlaf kann dann den Schlaf stören. Da wir – insbesondere jenseits der 50 Jahre öfters nachts wach werden und schlechter schlafen als in jüngeren Jahren, wird am nächsten Morgen, wenn Vollmond ist, dies als Bestätigung gesehen - aber schlechter Schlaf außerhalb von Vollmondnächten nicht als Gegenbeweis gewertet.
Eine Studie der Universität von Colorado zeigt: Die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle steigt nach der Zeitumstellung um sechs Prozent an. Glauben Sie dies oder ist es sogar medizinisch erklärbar?
Es gibt auch hier Studien, die keine höhere Unfallrate gefunden haben. Hier stellt sich für mich die Frage, wie sehr schwankt die Unfallquote überhaupt über das Jahr gesehen? Wie werden in solchen Studien zum Beispiel der Einfluss des Wetters berücksichtigt – ich will sagen, die Interpretation solcher Studien ist ohne Zusatzinformationen nicht einfach und es kann schnell zu falschen Schlüssen führen.
Das „Department of Public Health Sciences” in Stockholm habe sogar herausgefunden, dass das Herzinfarktrisiko in den ersten sieben Tagen nach der Zeitumstellung erhöht sein könnte – bei vorbelasteten Herzen. Wegen einer Stunde Schlaf?
Hier gilt im Wesentlichen das Gleiche wie bei Ihrer vorherigen Frage.
Welche Tipps könnten Sie den Menschen geben, wenn Sie gefragt werden, wie man die Zeitumstellung besser „managen“ könnte? Kann man sich auf diese vorbereiten?
Zunächst – „Bleiben sie entspannt“. Bei den meisten Menschen ist es ja so, dass sie nicht jede Nacht gleich lang schlafen, die Nächte mal kürzer und mal länger sind. Wer für sich festgestellt hat, dass er auf solche Schwankungen sehr empfindlich reagiert, sollte bereits einige Tage vorher anfangen, jeden Tag ein paar Minuten oder zu mindestens eine Viertelstunde früher aufzustehen, sodass sich der Körper über mehrere Tage an die frühere Aufstehzeit gewöhnt.
Darüber hinaus gelten alle anderen Empfehlungen, die man auch sonst bei Schlafstörung gibt. Am wichtigsten ist, dass man nicht versucht, den Schlaf zu kontrollieren. Der Blick auf die Uhr bedeutet für Menschen mit Schlafstörung Stress, Stress bedeutet Ausschüttung von Adrenalin, das unseren Körper wach macht. Wenn man also nachts wach wird, was zwischen zehn und 20 mal in der Nacht passiert, woran wir uns in der Regel aber nicht erinnern, weil wir schnell wieder einschlafen, ist das Risiko, da auf die Uhr zu schauen und sich dadurch selber richtig wach zu machen.
Das Einschlafen danach fällt schwer und dauert so lange, bis das Adrenalin wieder abgebaut ist. Deshalb nachts nicht auf die Uhr schauen, den Wecker, das Handy umdrehen, dafür sich zwei Wecker stellen, damit man keine Angst haben muss zu verschlafen und dann doch auf die Uhr schaut. Weitere Tipps finden sich in der Flyerserie „Fragen an dem Psycho-Doc“, die auf der Homepage unserer Klinik eingestellt ist.
Merken Sie selbst Auswirkungen der Zeitumstellung?
Wie sonst auch, wenn ich eine Stunde weniger geschlafen habe.
Ich persönlich schlafe nach der Zeitumstellung einfach ein paar Abende später ein als sonst – was mich jedoch nicht wirklich „aus dem Konzept“ bringt. Warum ist das Ihrer Meinung so?
Zunächst ist es gut, dass sie schon mal meine Empfehlung beherzigen: „Bleiben sie entspannt“. Der Zeitpunkt des Einschlafens ist sehr abhängig davon, was wir tagsüber gemacht haben. Haben wir uns geistig sehr angestrengt oder körperlich viel bewegt, dann werden wir früher müde. Deshalb ist auch eine häufige Empfehlung rund um die Zeitumstellung, sich viel an der frischen Luft zu bewegen, um dann abends besser schlafen zu können.
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Was halten Sie von der Zeitumstellung? Ist die Debatte um die Abschaffung derselben gerechtfertigt? Ist sie sinnvoll?
Es ist ein prima Party-Thema, weil jeder etwas dazu zu sagen und zu berichten hat. Aus medizinischer Sicht ist es kein wirkliches Problem. Auf den Alltag bezogen ist es aber nervig, weil es viele Uhren gibt, die sich nicht automatisch umstellen. Spannend wird es dann auch, wenn die Zeitumstellung abgeschafft werden sollte, weil es dann genug Uhren gibt, die sich trotzdem automatisch umstellen werden (lacht).
Behandeln Sie Patienten, die aufgrund der Zeitumstellung Schlafprobleme haben?
Nein, deshalb habe ich noch nie jemanden in Behandlung gehabt.
Vielen Dank!