Arnsberg. Larissa Braun vom Frauenhaus Arnsberg vermutet eine hohe Dunkelziffer von Gewalttaten gegen Frauen. Häusliche Gewalt habe viele Facetten.

Jede dritte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens Gewalt durch den Partner. Im Frauenhaus HSK in Arnsberg finden sie Hilfe. Hier sorgen sich derzeit fünf Mitarbeiterinnen um sechs Frauen und fünf Kinder. Doch die Corona-Pandemie hat die Situation vor Ort erschwert. Um einem Infektionsfall vorzubeugen, hält das Frauenhaus ein separates Zimmer für eine mögliche Isolierung frei. Larissa Braun, Mitarbeiterin des Frauenhauses, spricht im Interview über die aktuellen Herausforderungen, die Facetten von Gewalt und Präventionsmaßnahmen.

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Vor welchen Herausforderungen steht das Frauenhaus HSK in der Corona-Pandemie?

Larissa Braun:Wir müssen derzeit vermeiden, dass sich weder eine Bewohnerin, noch eine Mitarbeiterin mit dem Virus ansteckt und wir unter Quarantäne gestellt werden. In einer Quarantäne wären wir nicht mehr arbeitsfähig und neue Frauen könnten keinen Schutz mehr bei uns finden. Deswegen sind wir sehr glücklich darüber, dass wir bei den Impfungen nun in der Kategorie 2 berücksichtigt werden.

Wie können im Frauenhaus die Hygienevorschriften eingehalten werden?

Auf dem engen Raum, der uns zur Verfügung steht, müssen wir so gut es geht die Kontakte beschränken. Das ist aber nur schwer möglich, weil wir die Frauen auch beraten müssen. Sie durchleben aktuell eine Krise. Eine Maske versteckt viel Mimik und vor allem bei Sprachbarrieren ist es für mich umso wichtiger, dem Menschen ins Gesicht zu blicken. Dann bekomme ich eine Idee davon, wie es der Person gerade geht.

Wie hat sich die Betreuungssituation durch die Corona-Pandemie verändert?

Der Winter gestaltete sich noch schwieriger als der Sommer. Bei gutem Wetter sind wir mit den Frauen spazieren gegangen. Bewegung tut gut und dabei kann man auch besser über Probleme sprechen. Die Sozial- und psychosoziale-Beratung findet weiter in den Büroräumen statt. Was jedoch wegfällt sind vor allem die Freizeitangebote, die für die Frauen und Kinder wichtig sind, weil sie in einer instabilen Situation zu uns kommen und deswegen positive Momente in der Gemeinschaft brauchen. Wir versuchen das soziale Netzwerk der Frauen und Kinder so weit aufzubauen, dass sie irgendwann ausziehen können. Das ist jetzt auch schwieriger, weil in diesem Bereich vieles wegfällt: Familienzentren oder ähnliche Organisationen arbeiten eingeschränkt, wodurch es schwieriger geworden ist, ein soziales Netz zu schaffen.

Larissa Braun, Mitarbeiterin des Frauenhauses HSK, geht von einer hohen Dunkelziffer bei der häuslichen Gewalt aus.
Larissa Braun, Mitarbeiterin des Frauenhauses HSK, geht von einer hohen Dunkelziffer bei der häuslichen Gewalt aus. © Privat | Privat

Wie lange bleiben Frauen in der Regel bei Ihnen? Hat sich das durch die Corona-Pandemie verändert?

Ganz unterschiedlich. Manchmal bleiben die Frauen nur ein paar Tage. Dann ziehen sie wieder zurück. Wir haben aber auch Frauen, die ganz lange bei uns bleiben, teilweise auch bis zu einem Jahr. Die Gründe sind unterschiedlich. Häufig ist es eine prekäre Lebenssituation oder die Wohnungssuche, die jetzt noch schwieriger geworden ist. Dadurch, dass Frauen in der Corona-Pandemie häufig doppelt belastet sind, dauert die Stabilisierung länger. Momentan ist es so eng im Frauenhaus, dass wir viele gemeinsame Aktion nicht machen können. Wir müssen jeden Tag gucken, was möglich ist und das situativ anpassen.

Mit welchen Anliegen melden sich die Frauen bei Ihnen? Ist es vor allem häusliche Gewalt?

Häusliche Gewalt hat ganz viele Facetten: psychische Gewalt, körperliche Gewalt, sexuelle Gewalt. Die Facette ist dementsprechend groß. Wenn die Frau sich schon entschieden hat, dass sie von zu Hause weg möchte, ruft sie im Frauenhaus an. Wir stehen aber auch mit den Kolleginnen der Frauenberatungsstelle im engen Kontakt, die uns teilweise auch Frauen vermitteln. Von ihnen weiß ich, dass dort auch vermehrt Beratungsanfragen eingehen. Es ist ein längerer Weg, sich für die Flucht von zu Hause zu entscheiden. Man ist unsicher, fragt sich, was das Beste für das Kind ist und man muss ja auch erstmal begreifen, was zu Hause überhaupt passiert. Gewaltsituationen sind häufig unterschwellig. Man nimmt sie erst gar nicht wahr. Das fängt bei kleinen Sachen an: Mein Partner kontrolliert mich, guckt in mein Handy, will immer wissen, wo ich bin oder verbietet mir Kontakt zu Freunden. Auch das ist Gewalt.

Ist häusliche Gewalt Ihrer Meinung nach noch ein Tabu-Thema und wie kann es in die Öffentlichkeit getragen werden?

Im beruflichen und privaten Kontext erlebe ich das tatsächlich manchmal noch. In Gesprächen an Infoständen bemerke ich gewisse Hemmschwellen. Jede dritte Frau ist von häuslicher Gewalt betroffen. Auch wenn man selbst hoffentlich nicht betroffen ist, geht es aber auch darum, aufgeklärt zu sein und selbst weiter aufzuklären. Das Thema wird seit mehreren Jahren immer wieder diskutiert, aber es hört nicht auf. Es braucht noch mehr Öffentlichkeitsarbeit. Gerade Nachbarn und Freunden können Zeichen von häuslicher Gewalt am ehesten erkennen. Deswegen muss jeder achtsam und sensibilisiert sein.

Hat sich häusliche Gewalt durch die Herausforderungen in der Corona-Pandemie für Paare und Familien verstärkt?

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Im ersten Lockdown hatten wir erst ein „stummes“ Telefon. Das hat uns wirklich erschrocken und gewundert, aber wir wussten, dass das eigentlich nur die Ruhe vor dem Sturm sein kann. Mit Anfang der Lockerungen haben dann jedoch nonstop Frauen angerufen. Ich denke schon, dass die Zahlen aktuell höher sind, als wir sie derzeit erfassen. Die Dunkelziffer ist ziemlich hoch. Nicht alle Gewalttaten werden gemeldet, weil sich eben viel im häuslichen Umfeld bewegt. Verletzungen könne durch den Lockdown und die Kontaktbeschränkungen seltener durch das nähere Umfeld wahrgenommen werden.

Sie möchten die Menschen für das Thema häusliche Gewalt sensibilisieren. Welche Präventionsmaßnahmen gibt es zusätzlich, damit es erst gar nicht zu häuslicher Gewalt gegen Frauen kommt?

Es gibt zum Beispiel das Grundschulprojekt „Mein Körper gehört mir“. Die Präventionsarbeit fängt ganz früh an, auch Kinder dafür zu sensibilisieren. Sie müssen merken, wo die Grenzen sind. Sie müssen merken, dass es kein Tabu-Thema ist, über die eigenen Gefühle zu sprechen. Das gilt nicht nur für Mädchen, sondern auch für Jungs. Kinder müssen frühzeitig lernen, wie sie Konflikte erkenne und gewaltfrei kommunizieren. Wenn Kinder zum Beispiel selbst Gewalt erleben, dann suchen sie in der Regel die Schuld bei sich und sprechen nicht drüber. Da müssen früh Beratungsmöglichkeiten geschaffen werden.

Die Finanzierung des Frauenhauses wird derzeit durch freiwillige Zuschüsse der Stadt Arnsberg und des Hochsauerlandkreises sowie durch Personalkostenzuschüsse des Landes NRW getragen. Wie kann das Frauenhaus auch langfristig gesichert werden?

Um alles abzudecken, reichen die Gelder aktuell bei weitem nicht aus. Die derzeitige Situation zeigt besonders, dass der Platz nicht ausreicht. Mehr Frauen benötigen Hilfe. Unser Wunsch ist es zum Beispiel, einen Platz für eine Frau mit einer körperlichen Behinderung anbieten zu können. Wir möchten die Räumlichkeiten gerne erweitern, aber das ist von politischen Entscheidungsträgern abhängig, weil es mehr Geld kostet. Mit größeren Räumlichkeiten können wir bedarfsorientiert auf die Bedürfnisse der Kinder in den unterschiedlichen Altersgruppen eingehen, es würden aber auch mehr Möglichkeiten für die psychosoziale Unterstützung der Frauen geschaffen.