Arnsberg. Das Kinderheim Marienfrieden in Arnsberg-Hüsten wird von der Vergangenheit eingeholt. Mutmaßliche Missbrauch-Opfer wollen vor Gericht.

  • Opfer fordern Entschädigung
  • Gericht muss zunächst über Prozesskostenhilfe befinden
  • Heimträger bietet Zusammenarbeit an

Die Interessengemeinschaft „Missbrauchte Heimkinder“ strebt vor dem Landgericht Arnsberg eine Musterklage gegen den „Sozialdienst katholischer Frauen“ (SkF) als Träger des Kinderheims Marienfrieden in Hüsten an.

Dort sollen bis in die 90er Jahre hinein Kinder Opfer von Gewalt und Missbrauch geworden sein. Doch der Träger lehne Schadensersatzforderungen in allen der IG bekannten Fällen ab. Dies wolle man nicht mehr hinnehmen.

IG: Ehemaliger Vorstand trägt Mitschuld

Zwar sei der jetzige ehrenamtlich tätige Vorstand des SKF im Zeitraum der Vorfälle noch nicht im Amt gewesen, doch dieser sei als Rechtsnachfolger für die Zahlung von Entschädigungen verantwortlich.

Schließlich, sagt ein Vertreter der IG (Name der Redaktion bekannt), trage nach Ansicht der Opfer der damalige Vorstand eine erhebliche Mitschuld, „weil er trotz der ihm bekannten Vorwürfe gegen Mitarbeiter nicht reagiert“ habe.

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Gründlich auf Klage vorbereitet

Die IG „Missbrauchte Heimkinder“ habe sich gründlich auf die Musterklage vorbereitet. „Wir haben alles sehr gut dokumentiert und sehr viele richtig gute Zeugen,“ zeigt sich der IG-Vertreter optimistisch, in Sachen Entschädigungen einen Durchbruch zu erzielen.

„Das Heim Marienfrieden hat in den früheren Jahren eine 50-jährige Tradition im Kinderquälen geschaffen. Und das können wir lückenlos beweisen.“ Zudem stelle man mit rund 150 Opfern eine geballte Macht dar.

Antrag auf Prozesskostenhilfe liegt bereits vor

In der Vergangenheit habe man stets still mit dem Heimträger verhandelt, doch dieser habe sich nicht gerührt, sondern jegliche Zahlungen verweigert. „Deshalb suchen wir jetzt mit der Musterklage die Öffentlichkeit.“

Dem Landgericht Arnsberg, bestätigte dessen Sprecher Dr. Johannes Kamp, liegt nun der Antrag eines 50-jährigen auf Prozesskostenhilfe vor, der als Kind Opfer des damaligen Heimleiters gewesen sein soll.

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Komplizierte Rechtslage

Dies ist für die IG der erste Schritt, weil angesichts der Schadenshöhe ein solches Verfahren sehr teuer werde und daher Prozesskostenhilfe notwendig sei. Zugleich sollen mit diesem Antrag die Erfolgsaussichten einer Klage ausgelotet werden.

Denn die Rechtslage zeigt sich kompliziert. Zwar wurde durch eine Gesetzesnovelle die Verjährungsfrist für Taten im Zusammenhang mit Missbrauch auf 30 Jahre nach Erreichen des 21. Lebensjahres bzw. nach Auszug aus einem Heim verlängert, doch die Fälle in „Marienfrieden“ liegen weiter zurück.

IG beruft sich auf „gehemmte Verjährung“

„Wir haben mit der Novelle nun endlich eine klare Gesetzeslage, aber sie ist für die Vergangenheit keine Lösung,“ so der IG-Vertreter.

Deshalb beruft sich die IG in dem angestrebten Musterprozess auf sogenannte „gehemmte Verjährung“. In anderen Worten:

Die missbrauchten Kinder seien durch die erlittenen Torturen bis weit in das Erwachsenenalter hinein oft schwer traumatisiert und daher nicht in der Lage gewesen, ihre Rechte früher geltend zu machen.

Viele Opfer „sind im Leben untergegangen“

Doch alle diese Opfer hätten ein Recht auf Entschädigung. Weil viele von ihnen aufgrund der durch den Missbrauch entstandenen psychischen Problemen und damit oft verbundenem Schulversagen „im Leben untergegangen sind. Daher sehen wir als IG ganz klar die organisatorisch für das Kinderheim Verantwortlichen in der Pflicht, Entschädigungen zu zahlen. Und nicht Anerkennungen anzubieten, die das Wort nicht wert sind.“

Enge Zusammenarbeit mit Familien und Jugendamt

Heute ist das Kinderheim Marienfrieden ein gut geführtes Haus mit vielen Möglichkeiten.

Dort wird zum Beispiel Kindern und Jugendlichen ein zweites Zuhause geboten, wenn es in der eigenen Familie nicht weitergeht.

Dabei wird eng mit Familien und Jugendamt zusammengearbeitet.

Was der SKF anders sieht. „Auch wir wollen, dass die Opfer entschädigt werden,“ sagt SKF-Geschäftsführer Ludger Kottmann. „Aber dafür braucht es einen klaren Schuldspruch.“

SKF: Vorwürfe möglich

Und verweist auf eine entsprechende Klage in 2011, die eingestellt worden sei. So würde nun erneut eine Person belastet, „die nicht verurteilt wurde“.

Hinzu komme, dass der alte Vorstand nicht mehr greifbar sei, so dass sich die Vorwürfe nicht verifizieren lassen würden, „auch wenn wir diese durchaus für möglich halten“.

„Wir bieten jede mögliche Unterstützung an“

Grundsätzlich aber sei der SKF an intensiver Aufklärung interessiert und jederzeit zur Zusammenarbeit mit der IG „Missbrauchte Heimkinder“ bereit. „Wir können zwar im Nachhinein leider keine Gerechtigkeit mehr herstellen, doch wir bieten jede mögliche Unterstützung an.“

Und letztlich sei der SKF auch nicht in der Lage, Ersatzleistungen zu zahlen. Es bestehe aber die Möglichkeit für Betroffene, sich an den „Bischofsfond“ in Paderborn zu wenden, um von dort eine Entschädigungs- bzw. Anerkennungszahlung zu erhalten. „Was aber keine Anerkennung von Schuld bedeutet.“