Hüsten. Die Schatten der Vergangenheit holen das Hüstener Kinderheim „Haus Marienfrieden” jetzt ein. Von 1945 bis etwa Mitte der 1960er Jahre sind dort Kinder durch schlimme Prügelstrafen (teilweise mit Klopppeitsche) körperlich schwer misshandelt worden.
Das ehemalige Hüstener Heimkind, die heute 66-jährige Marlis Weinhold, fordert Entschädigung. Das WESTFALENBLATT hat in dieser Woche einen Bericht über die heute in Bad Driburg lebende Marlis Weinhold veröffentlicht. Darin schildert die 66-Jährige, dass sie als uneheliches Kind in Bochum geboren und dann sofort „wegegeben” worden sei.
Nach einem ersten Heimaufenthalt in Bottrop sei sie nach dem Zweiten Weltkrieg ins Haus Marienfrieden in Hüsten gekommen, wo sie vom 3. bis 22. Lebensjahr (also bis Mitte der 1960er Jahre) gelebt habe. Die Hüstener Heimleiterin Gertrud L., die auch ihr Vormund gewesen sei, habe sie aus geringsten Anlässen mit ihrer „Klopppeitsche”, einen Stock mit daran geknoteten Lederhänden, geschlagen. Gertrud L. habe Heimkindern zur Strafe auch das Essen verweigert.
Marlis Weinhold berichtet weiter, dass es auch sehr schlimm gewesen sei, dass ihre Mutter sie im Heim habe nie besuchen dürfen, obwohl sie an Besuchstagen gern gekommen wäre. „Meine Mutter ist dann gestorben, ohne dass ich sie jemals gesehen habe.”
1969 brachte ein Leidensgenosse von Weinhold die damals schon supendierte Heimleiterin vor Gericht. Im Prozess wegen Körperverletzung und seelischer Grausamkeit in mindestens 19 Fällen sei Gertrud L. freigesprochen worden. Das Gericht sei dem Plädoyer des Rechtsanwalts von Gertrud L. gefolgt, wonach sie überfordert gewesen sei, so das WESTFALENBLATT.
Anlässlich dieses Artikels bat nun die WESTFALENPOST die heutige Leitung des Hauses Marienfrieden um eine Stellungnahme. Die heutige Leitung war damals noch nicht im Amt und kennt diese schlimmen Vorfälle nur aus Erzählungen anderer Personen. Die Leitung des heutigen „Familienhilfezentrums Marienfrieden” in Trägerschaft des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) - im Gespräch mit unserer Zeitung vertreten durch den Geschäftsführer Bernhard Padberg, Heimleiter Ludger Kottmann und SkF-Vorsitzende Ursula Beckmann - will nichts aus der Vergangenheit vertuschen und sucht das Gespräch mit dem damaligen Opfer.
So hat Berndhard Padberg schon kurz nach Erscheinen des WESTFALENBLATT-Artikels Marlis Weinhold einen Brief geschrieben. Hierin heißt es u. a.: „Das Unrecht aus der damaligen Zeit können wir sicherlich nicht wiedergutmachen, doch wir nehmen Ihre im Presseartikel zum Ausdruck gebrachte Verbitterung und Ihren Schmerz sehr ernst.”
Bernhard Padberg bietet Marlis Weinhold im Brief an, ihre persönliche Akte, die sich im Marienfrieden-Archiv befindet, einzusehen. Auch äußert Padberg im Namen des Hauses Marienfrieden den Wunsch: „Wir würden gern persönlich mit Ihnen Kontakt aufnehmen und laden Sie zu einem Besuch in Marienfrieden ein.” Die Fahrtkosten würden dabei von Marienfrieden übernommen. Wenn Marlis Weinhold aus persönlichen Gründen nicht nach Hüsten kommen könne, sei die Marienfrieden-Leitung gern bereit, nach Bad Driburg zu reisen - und falls gewünscht - eine Kopie der Akte mitzubringen. Auf den am Donnerstagnachmittag abgeschickten Brief hat Marlis Weinhold noch nicht geantwortet.
SkF-Vorsitzende Ursula Beckmann ist wie Bernhard Padberg und Luger Kottmann von den damaligen körperlichen Misshandlungen im Haus Marienfrieden tief erschüttert. Auch im Namen von Bernhard Padberg und Ludger Kottmann sagt sie: „Wir bitten in aller Form um Entschuldigung.”
Zur Frage von Entschädigungszahlungen verweist Beckmann auf den Runden Tisch in Berlin zum Thema „Kindesmisshandlungen”. „Hier müssen wir abwarten, welche Ergebnisse und gesetzgeberischen Konsequenzen bundesweit nach den Kindesmisshandlungen gezogen werden.”
Zur Frage, ob es nach der Suspendierung der Heimleiterin Gertrud L. - also von etwa Mitte/Ende der 1960er Jahre bis heute - weitere Fälle von Misshandlungen im Hüstener Kinderheim gegeben hat, erklärt Padberg: „Nach unseren Kenntnissen gibt es in dieser Zeit keine Fälle von Misshandlungen. Sollte dies doch vorgekommen sein, bitten wir ausdrücklich um Hinweise zu solchen Fällen. Wir wollen nichts vertuschen, sondern offen und transparent mit unserer Vergangenheit umgehen.”