Hochsauerlandkreis. Ein kaum beachtetes Gerichtsurteil könnte die Bereitschaftsdienste im HSK auf den Kopf stellen. Die Kassenärztliche Vereinigung ist alarmiert.

Größtenteils unbemerkt von der Öffentlichkeit hat das Bundessozialgericht im vergangenen Oktober eine möglicherweise wegweisende Entscheidung getroffen: Nicht weniger als die derzeitige Notarztversorgung steht auf dem Spiel. Die Kassenärztlichen Vereinigungen, auch vor Ort, sind in Aufruhr.

Poolärzte nicht mehr automatisch selbstständig

Aber worum genau geht es in dem Urteil? Das Bundessozialgericht (BSG) hat festgestellt, dass Poolärzte, die im Notdienst arbeiten, nicht automatisch als selbstständig gelten. Entscheidend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls. Dies geht aus einem Urteil des BSG vom 24. Oktober 2023 hervor (Aktenzeichen B 12 R 9/21 R). In dem konkreten Fall ging es um einen Zahnarzt, der seine Praxis verkauft hatte und nicht mehr zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen war. Er übernahm in den folgenden Jahren vor allem am Wochenende Notdienste, die von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung organisiert wurden. Die Vereinigung stellte dem Zahnarzt Personal und Material zur Verfügung und zahlte ihm ein festes Stundenhonorar. Die Deutsche Rentenversicherung Bund und die beiden Vorinstanzen hatten den Zahnarzt als selbstständig eingestuft. Das BSG hat diese Entscheidung nun aufgehoben. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Zahnarzt aufgrund seiner Einbindung in die von der Vereinigung organisierten Abläufe als angestellt anzusehen ist. Er hatte keinen maßgeblichen Einfluss auf die Organisation des Notdienstes und war in eine von Dritten organisierte Struktur eingebunden.

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Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) ist besorgt: „Die Kassenärztlichen Vereinigungen stehen vor großen Herausforderungen. Unsere vorrangige Aufgabe ist es jetzt, die negativen Auswirkungen dieses Urteils auf unsere Ärzte, die KVWL und die Versorgung der Bevölkerung zu minimieren“, so ein Sprecher der Vereinigung. Auch im Zuständigkeitsbereich der KVWL sind zahlreiche Poolärzte im Einsatz. Nach Einschätzungen von Beteiligten machen sie einen erheblichen Anteil der diensthabenden Notärzte aus. Sollte ihre Tätigkeit durch das Urteil des BSG eingeschränkt werden, wäre dieser Verlust vorerst nicht zu kompensieren. Die Notarztversorgung müsste in der Folge reduziert werden und könnte nur noch von niedergelassenen Ärzten übernommen werden, die bisher durch den Einsatz der Poolärzte stark entlastet wurden.

Reaktionen der Kassenärztlichen Vereinigungen: Herausforderungen und vorläufige Maßnahmen

Erste Vereinigungen ziehen bereits Konsequenzen. Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) hat vorläufig die Genehmigung für Ärzte, die als Nichtvertragsärzte am Bereitschaftsdienst teilnehmen, ausgesetzt. Dies gab die KVN am Dienstag, den 19. Dezember 2023, bekannt. Die Entscheidung sei eine direkte Folge des Urteils des Bundessozialgerichts, das die Poolärzte als angestellt und nicht als selbstständig eingestuft habe, sie die Vereinigung. Die KVN hebt die Genehmigung für eigenständige Dienstübernahmen und -einteilungen mit sofortiger Wirkung auf, bis die rechtliche Situation geklärt ist. Dies betreffe alle Ärzte, die in der Vergangenheit eine solche Genehmigung erhalten haben. Bereits übernommene Dienste dürften von diesen Ärzten nicht mehr durchgeführt werden. Die KVN wird die entsprechenden Dienste aus dem Dienstplan streichen und an Vertragsärzte neu vergeben. Dies gelte bereits für die heutigen Dienste. Die KVN warnt, dass diese Maßnahme Auswirkungen auf die Patientenversorgung haben wird. Die Poolärzte spielten eine wichtige Rolle in den Bereitschaftsdienstpraxen und bei dringenden Hausbesuchen. Es könne daher zu Einschränkungen im kassenärztlichen Bereitschaftsdienst kommen, so die Prognose.

Die KVWL hingegen bleibt vorerst gelassen: „Bei dem Urteil handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, die noch auf ihre Übertragbarkeit auf alle Poolärzte geprüft werden muss. Dabei müssen auch Fragen zu einer möglicherweise notwendigen neuen Vertragsgestaltung oder einer möglichen Pauschalbesteuerung geklärt werden“, so der Sprecher der KVWL.