Hochsauerlandkreis. Der frühere Leiter des Gesundheitsamts im Hochsauerlandkreis spricht über die Corona-Zeit. Seine Bilanz: Was richtig war und was nicht.
Die Corona-Pandemie und deren Folgen sind nur teilweise aufgearbeitet worden. Mit den Auswirkungen vor Ort im Hochsauerland war der frühere Leiter des Gesundheitsamtes beim Hochsauerlandkreis konfrontiert. Dr. Peter Kleeschulte sagt im Rückblick, was aus seiner Sicht richtig war - und was zweifelhaft war. Seit 2022 ist er im Ruhestand. Er hat dennoch Wünsche an die Politik.
Gab es einen Moment, ab dem Ihnen das damals neue Corona-Virus durchaus Angst gemacht hat?
Angst nicht, aber ich hatte anfangs verständlicherweise Sorgen, seit ich die ersten Meldungen aus Wuhan verfolgt hatte. Noch bevor die WHO im März 2020 die Pandemie-Lage ausrief, waren wir im Hochsauerlandkreis schon betroffen. Reiserückkehrer aus den Skigebieten hatten sich infiziert. Kurz danach war Karneval, der auch hier, aber vor allem im Rheinland kräftig gefeiert wird. Das war eine Situation, in der ich mir viele Gedanken gemacht habe, denn keiner wusste genau, wohin die Reise mit dem Virus geht. Ich selbst war als einer der ersten aus dem Hochsauerland in Quarantäne nach Kontakt mit einem nachgewiesenen Infektionsfall.
Wie war Ihre Einschätzung?
Es war nicht von Beginn an klar, wie groß diese Pandemie wird und wie gefährlich die Infektionen verlaufen werden. Es hätten sich auch schlimme Sachen entwickeln können, zunächst war wenig über das Virus bekannt. Es gab zunehmend Berichte über auch schwere Krankheitsverläufe, dann den Ausbruch in Bergamo. Allerdings hatte sich doch recht schnell herauskristallisiert, dass es sich um Coronaviren handelt. Die gibt es seit Jahrtausenden und sie einige von ihnen verursachen auch nur Erkältungssymptome.
Es war nicht Ihre erste Pandemie, welche haben Sie noch erlebt?
Ich war 13 Jahre in Köln und 19 Jahre im Hochsauerlandkreis im öffentlichen Gesundheitsdienst, da habe ich vier erlebt: Sars im Jahr 2002/2003, übrigens ebenfalls ein Coronavirus, die Vogelgrippe 2006, die Schweinegrippe 2009/2010, und dann Corona. Aber es waren nicht nur die Pandemien, die mich und mein Team sehr beschäftigt haben: Da war Legionellose im benachbarten Warstein im Jahr 2013, und was im Rückblick das Aufreibendste war: der PFT-Umweltskandal 2006 in mit dem Schwerpunkt der aufgebrachten Düngemittel im Raum Brilon und Auswirkungen über die Möhne bis nach Arnsberg. Dort mussten wir den Leuten klar machen, dass ihr Trinkwasser vergiftet worden ist und an Schwangere wurde Mineralwasser verteilt.
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Zurück zum Coronavirus: Waren Sie immer zuversichtlich, dass die „neue Normalität“ nicht doch für immer bleibt, sondern war ihnen klar, dass wir in die alte Normalität zurückkehren?
Ja, ich wusste, dass wir wieder Hände schütteln und uns normal begegnen werden. Mir war nur nicht klar, dass es drei lange Jahre dauern würde, bis die Pandemie offiziell vorbei war. Und wenn ich mich im Alltag umschaue, sehe ich noch jetzt die ein oder andere Verhaltensauffälligkeit, die weiterhin damit in Zusammenhang steht.
Es gab sogenannte Maßnahmen, von denen nicht alle unumstritten waren. Was halten Sie im Rückblick beispielsweise von einer Maskenpflicht im Freien?
Das kann sich jeder Laie selbst beantworten: Das machte wenig Sinn, wie auch Studien nahelegen. Die Maskenpflicht war und ist eine gute Sache, wenn wir über medizinische Bereiche oder Pflegeheime reden, wenn gerade die Grippe-Welle herrscht oder andere durch Aerosole übertragbare Infektionskrankheiten verstärkt unterwegs sind.
Gab es während dieser Zeit weitere Anordnungen, die Sie aus Ihrer fachlichen Sicht nicht nachvollziehen können?
Ich denke da an den Winter 2021 zu Weihnachten: Es gab Kontaktbeschränkungen, nur Angehörige des eigenen und eines weiteren Hausstandes durften sich treffen, alles andere wäre illegal gewesen. Das ist schwierig nachzuvollziehen. Oder die Inzidenzzahlen: Bei dem einen galten 50, bei anderen 25, und so wurden Menschen zum Beispiel zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg auf dem Fahrrad angehalten und kontrolliert. Es ist richtig, dass es einen Grenzwert geben musste. Aber damals sind zum Teil wenig nachvollziehbare Anordnungen getroffen worden. Dazu zähle ich auch die Ausgangssperre: Ich wüsste nicht, warum das Virus ab 22 Uhr wesentlich aggressiver ist als um 21 Uhr. Ich verstehe, dass damit größere Treffen verhindert werden sollten, aber ich bezweifele, dass dadurch Inzidenzzahlen minimiert worden sind.
Was hätten Sie sich von Politikern damals gewünscht?
Insbesondere in der ersten Phase einer Pandemie, die aus epidemiologischer Sicht sehr wichtig ist, ein sehr schnelles und konsequentes Vorgehen und internationale Abstimmung. Warum gab es noch Flugverkehr aus China oder Asien? Warum keine engmaschigen Kontrollen an Flughäfen? Später hätte ich mir von dem ein oder anderen Politiker gewünscht, dass er auf dem Teppich bleibt, um zu vermeiden, dass Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung noch größer werden. Die Botschaft lautete: Wir haben ein ernst zu nehmendes Problem, aber es besteht kein Anlass zur Panik. Außerdem möchte ich betonen, dass es die Rolle des Robert-Koch-Instituts war, fachliche Vorschläge zu machen – die Entscheidungen wurden durch die Politik getroffen. Wenn ich allein auf die Corona-Schutz-Verordnungen in NRW schaue, die damals manchmal in sehr kurzen Abständen aktualisiert, erweitert und jeweils juristisch festgezurrt wurden, da war schon vieles schwer zu verstehen.
Bundesweit war während der Pandemie die Ausstattung der Gesundheitsämter kritisiert worden: War dort wirklich alles veraltet und unmodern? Wurde wirklich noch so viel gefaxt?
Was den Hochsauerlandkreis betrifft, so ist das eine Mär gewesen. Wir haben von Anfang an alles digital gelöst. Stellenweise ist uns das nicht geglaubt worden, es entspricht aber den Tatsachen. Aber es geht nicht nur um Digitalisierung. Ohne die herausragende Arbeit meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit unzähligen Überstunden über diesen langen Zeitraum hätten wir die Pandemie im HSK nicht derart bewältigen können. Hierfür auch an dieser Stelle nochmal große Anerkennung und Dank.
Was passiert bei einer nächsten Pandemie. Gibt es Lerneffekte nach Corona oder nicht?
Solche großen Ereignisse sollten streng zentral geregelt werden, etwa durch das RKI oder ein vergleichbares Amt, es muss die Wissenschaft im Vordergrund stehen. Auch in Nordrhein-Westfalen benötigen wir eine zentrale Behörde, die den öffentlichen Gesundheitsdienst in diesen Situationen unterstützt. Das hatten die Gesundheitsämter schon lange gefordert – und jetzt kommt es auch so.
Sie sind seit Dezember 2021 im Ruhestand, verraten Sie noch einen Tipp: Wie bleibt man fit und gesund und hat lange etwas von dieser Zeit?
Für mich ist es wichtig eine positive Grundeinstellung zu haben, um mental und damit psychisch gut drauf zu sein. Und für das physische Wohlergehen treibe ich Sport. Ich genieße es Zeit für meine Hobbys zu haben. Ehrenamtlich bin ich unter anderem weiter beim Verein DoktorJob tätig und kümmere mich und werbe um den medizinischen Nachwuchs im Hochsauerlandkreis.