Brilon. Der Turm ist abgerissen. Aber im Inneren der Evangelischen Kirche in Brilon passiert einiges. Erste Bilder, wie es in der „Kulturkirche“ aussieht.
Der Name „Kulturkirche“ macht schon im Vorfeld der Eröffnung die Runde. Er nährt bei vielen den Irrglauben, dass das Haus Gottes nur noch Schauplatz für kulturelle Veranstaltungen sein könnte. „Nein, so ist das nicht. Unsere Kirche bleibt Kirche und wird in erster Linie für Gottesdienste, Trauungen oder Taufen genutzt. Hier findet das Gemeindeleben statt. Daher bevorzugen wir den Namen ,Kultur in der Kirche’. Sie öffnet sich künftig noch mehr als ein Ort für kulturelles Leben. Denn der Raum in seiner Größe, mit seinem Ambiente und mit seiner besonderen Akustik ist dafür eine echte Bereicherung. Wir haben enge Kontakte zur Brilon Wirtschaft und Tourismus (BWT) und werden unsere gute Zusammenarbeit speziell zu Brilon Kultour fortsetzen und ausbauen. Wir sehen uns eher als Gastgeber statt als Veranstalter“, sagt Benedikt Meckel. Der gerade einmal 27-Jährige ist Vorsitzender des Presbyteriums, das in den zurückliegenden Monaten einige weitreichende Entscheidungen treffen und tragen musste.
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Im Frühjahr 2018 nimmt das Unglück seinen Lauf. Damals soll die Evangelische Kirche in Brilon nur ein wenig renoviert werden. Was man halt so macht im Laufe der Jahre. Hier ein neuer Anstrich, da eine Reparatur. Von 180.000 Euro ist die Rede. Dann fällt der Blick eines Fachmanns auf den Kirchturm. Und schnell wird klar: Totalschaden. Ein Wort, das die Gemeinde noch nie gehört hatte, ist auf einmal in aller Munde: „Ettringit“. Vereinfacht gesagt hat das Eindringen von Wasser in Steine, Mauermörtel und Fugenzement chemische Reaktionen ausgelöst, die irreparable Schäden angerichtet haben. Aus einem kleinen Projekt wird plötzlich eine Mammutaufgabe für die knapp 3900 Gemeindeglieder. Aktuell liegen die Kosten bei über einer Million Euro; aber die Endabrechnung steht noch aus.
Die Kirche selbst wurde bereits Mitte des 19. Jahrhunderts von dem berühmten Berliner Baumeister Karl-Friedrich Schinkel entworfen. Sie sah allerdings damals keinen Turm vor. Der wurde erst 1922 - rückblickend betrachtet nicht fachgerecht - angebaut und sollte nur 100 Jahre lang halten. Nach ersten Untersuchungen der Bausubstanz empfiehlt der Kirchenkreis Soest-Arnsberg den Brilonern, mit den Soan-Architekten in Bochum Kontakt aufzunehmen. Meckel: „Das renommierte Büro für Sakralbauten hat uns zum Abriss des Turms geraten. Als das klar war, haben wir doch erstmal schlucken und die Nachricht verdauen müssen“, erinnert sich Benedikt Meckel. Pfarrer Rainer Müller habe dann die Idee eingebracht, den Kirchenraum für kulturelle Veranstaltungen zu öffnen.
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So wie sich die Gemeinde an den Gedanken eines Großprojektes gewöhnen musste, muss sich eine ganze Stadt damit vertraut machen, dass die Stadtansicht Brilons ihr Gesicht verändert hat. Wenn auch kleiner als die Türme der katholischen Propstei- und Nikolaikirche so war der Turm doch auch ein markantes Stück Stadtansicht. Mittlerweile ist er abgerissen, seit Ostern 2022 finden die Gottesdienste im Gemeindezentrum statt, seitdem laufen die Umbauarbeit und zum 1. Advent dieses Jahres soll wieder Leben in die Kirche kommen. Mit einem Gemeindefest soll der Wiedereinzug gefeiert werden.
Man fühlt sich eingeladen
Auch wenn der neue dunkle Eichenparkett-Boden jetzt noch mit Schutzfolie ausgelegt ist, die Beleuchtung noch auf die finalen Gläser wartet, die Orgelpfeifen nummeriert und sortiert auf dem Boden liegen – die Orgel musste wegen Pilzbefalls dringend saniert werden - kann man erkennen und erahnen, welches Potenzial dieser gut und gerne 12 Meter hohe Raum hat. Oben mündet er in ein verziertes Holzgebälk. In den Bögen der Fenster und über dem Altar hat man ansatzweise alte Fresken offengelegt. Mitten in dem Eichenparkett liegt eine geschwungene, helle Marmorfläche, die oben in einen Altar und unten in einen Ambo aus demselben Material mündet. Alles ist ebenerdig, es gibt keine Stufen, keine Erhebungen. Im Boden des Marmorfeldes angedeutet ist eine kleine Kuhle, dort wird zu Taufen das alte Taufbecken seinen Platz finden. Alles wirkt in seiner Funktionalität und Schlichtheit dennoch wohlig; man fühlt sich eingeladen und willkommen.
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Keine Kirchenbänke
Kirchenbänke wird es nicht mehr geben. Dafür eine Bestuhlung, die auf beiden Seiten so ausgerichtet ist, dass die Kirchenbesucher auf die Marmorfläche in der Mitte schauen. 64 Sitzplätze sieht die Normalbestuhlung vor. Für Lesungen, Konzerte etc. können weitere 80 Stühle hinzu gestellt werden – natürlich auch in anderer Formation. Die Zusatzbestuhlung konnte durch LEADER-Mittel finanziert werden. Für die Orgelrenovierung spendete ein Gemeindemitglied einen stattlichen Betrag, die restlichen Kosten werden durch den Verkauf von anderem kircheneigenem Besitz und letztlich über einen Kredit beim Kirchenkreis gestemmt. Trotzdem kann die Gemeinde stolz und froh sein, eine solche Lösung für die Nutzung ihrer Kirche gefunden zu haben.
Das Projekt steht für den Blick nach vorn und das zeigt auch die Zusammensetzung des relativ jungen Presbyteriums. Die Stadtkirche ist nun eine Kirche ohne Turm – und zum Leidwesen vieler auch eine Kirche ohne Glocken. „Es gibt Überlegungen, losgelöst von der Kirche eine Art Turmgerüst für die Glocken zu erstellen. Aber das ist erstmal kein Thema“, sagt Meckel. Er hat Kirche als etwas sehr Positives erlebt – nicht nur das Gebäude. Über Konfirmation und Jugendarbeit ist er mit ihr in Kontakt gekommen. Die Jugendarbeit hat ihm dabei geholfen, eigene Fähigkeiten zu erkennen, sich weiterzuentwickeln. Daher hat er auch als junger Mensch im Presbyterium Verantwortung übernommen – für Kirche.