Brilon. Die Kritik an der Kirche ist groß. Der neue Dechant Kamphans und sein Team wollen neue Wege gehen. „Kirche wird sich weiter verändern“, sagt er.

„Uns sind die Menschen wichtig – nicht die Strukturen. Wir müssen auf Augenhöhe und als Teamplayer unterwegs sein.“ Das sind Sätze, die man im ersten Moment nicht einem katholischen Priester zuschreiben würde. Die Kirche, die doch so sehr an Strukturen klammert. Noch einer gefällig? „Wir müssen Kirche vom Bedarf der Menschen denken.“ Matthias Kamphans mag klare Worte. Seine Arbeit und die seines Teams versteht er – um es mit den legendären Blues-Brothers zu sagen – als Mission im Auftrag des Herrn. Das ist sehr ernst gemeint und kommt aus tiefer Überzeugung. „Wir sind für jemanden in einer gläubigen, hoffenden Haltung in den Gemeinden unterwegs. Das ist jemand, dem wir und dem die Menschen nicht egal sind. Und das ist letztlich nicht der Bischof – sondern Gott.“

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Der „Herr Pastor!“

Damit ist Matthias Kamphans kein Revolutionär, sondern eher ein Pragmatiker, der die Wirklichkeit nicht verkennt. Er ist der neue Dechant im Dekanat Hochsauerland-Ost. Nach dem Weggang von Richard Steilmann gab es eine Neuwahl, die der 42-Jährige im zweiten geheimen Wahlgang für sich entschied. Stellvertreter sind Pfarrer Norbert Lipinski (Winterberg) und Pastor Ansgar Drees (Brilon). Wählen durften alle 41 hauptamtlich Beschäftigten im pastoralen Dienst; vorher musste eine Vorschlagsliste in Paderborn eingereicht werden, von dort kommt eine Liste mit drei Namen zurück. Matthias Kamphans ist im Pastoralen Raum Medebach-Hallenberg als Pastor tätig; die Leitungsverantwortung dort hat Pfarrer Dr. Funder. Daher ist es zumindest ungewöhnlich, dass ein relativ junger Pastor in Nicht-Pfarrer-Funktion die Dechanten-Aufgabe übernimmt. Aber im Sauerland ist eh jeder Geistliche der „Herr Pastor“ und der neue Dechant versteht sich eigentlich sowieso nicht als Chef im Sinne von Bestimmer. Betriebswirtschaftler würden vielleicht sagen: Es geht um die Unternehmensphilosophie, um die Ausrichtung, um die DNA von Kirche-Sein vor Ort.

Vermittler und Zuhörer sein

Niemals würde er sich am Telefon mit „Dechant Kamphans“ melden, sagt er. Er will ein Vermittler, ein Zuhörer sein; jemand, der gemeinsam mit den 41 Mitarbeitenden im rund 60 Gemeinden umfassenden Dekanat und mit den vielen Ehrenamtlichen Dinge verändern, Strukturen aufbrechen möchte – da, wo es gewünscht ist. „Wir müssen und wollen uns als Kirche verändern und entwickeln – nicht weil Paderborn das möchte, sondern weil Kirche anders ist als sie heutzutage oftmals medial präsentiert wird. Auch uns lassen die zahlreichen Schlagzeilen nicht kalt. Das alles ist sehr schlimm. Wir stehen in diesem starken Gegenwind, der auch an uns nagt. Daher ist es auch ein Teil meiner Aufgabe, uns in diesem Sturm untereinander zu stützen.“

Zwei starke und routinierte Helfer im Team Dekanat sind Dekanatsreferent Frank Manegold und Bernhard Schrader, Referent für Jugend und Familie. Beide kommen gerade zurück aus Berlin, wo sie mit Haupt- und Ehrenamtlichen auf „Kundschafterfahrt“ diakonische und evangelisierende Projekte einer Großstadt kennengelernt haben. Das war zum Beispiel ein Glaubenskurs für Ungetaufte oder eine Stadtführung durch einen Ex-Obdachlosen. „Die Ausgangssituation dort ist anders als im ländlichen Sauerland. Aber von der Grundidee geht Kirche dort der für uns zukunftsweisenden und auf Dauer existenziellen Frage nach. Wo sind Bedarfe bei den Menschen? Und dort an den Stellen muss Kirche präsent sein, dort muss sie hingehen“, sagt Schrader. Sei es eine Suppenküche oder ein Eisverkäufer, der die Kugeln mit einer frohen Botschaft verteilt und Kirche positiv belegt. „Ich habe Kirche in meiner Jugend immer als befreiend, stärkend und auf Augenhöhe erlebt. Das hat mich geprägt, deshalb arbeite ich als Sozialpädagoge für die Kirche. Unser Pfarrer damals war ein Kumpel. Das Bild, das die moderne Kirche vermitteln und leben will, geht in diese Richtung, eine gute Richtung. Aber es braucht offenbar viel Zeit, um das Schiff auf einen anderen Kurs zu bringen“, sagt Frank Manegold.

Nicht alles nur schlecht reden

Matthias Kamphans wehrt sich dagegen, dass so vieles in der Kirche schlecht geredet wird. „Ja, die Besucherzahlen in den Gottesdiensten gehen zurück. Die Zahl der Austritte nimmt zu. Aber wir machen auch viele Dinge gut. Denke Sie an Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen – da sind die Menschen mit uns verwurzelt, da kommen sie mit Kirche in Kontakt. Und da muss das Angebot stimmen. Darauf müssen wir achten. Wir können nicht sagen: ,Nein, um die Uhrzeit machen wir keine Trauungen mehr.‘ Da müssen wir flexibel sein.“ Dass nicht mehr in jedem Ort, jede Woche ein Gottesdienst gefeiert werden könne, sei schade. „Ich kenne eine alte Dame, die geht an den Wochenende, an denen in ihrer Gemeinde kein Gottesdienst ist, einfach so für sich eine halbe Stunde in die Kirche. Dadurch ist sie doch keine schlechtere Christin.“ Dass sie in ihrer Gemeinde bleibe und das Gotteshaus aufsuche, sei dennoch wichtig. Denn Kirche vor Ort bedeute grundsätzlich auch, ein Grundbedürfnis nach Verortung zu stillen. Daher müsse die Kirche auch im Dorf bleiben. Als Gebäude, aber auch als Gemeinde. Nur vielleicht eben anders.

Kirche muss sich weiter verändern

Alle drei Gesprächspartner sind sich einig: Kirche wird sich weiter verändern. Veränderungen müssen und dürfen aber auch wertgeschätzt und genutzt und nicht verdammt werden. Kirche muss viel, viel mehr in der Lebenswirklichkeit der Menschen ankommen. Schrader: „An der Marienschule nimmt jetzt eine Schulseelsorgerin ihre Arbeit auf. Sie geht in die Schulen und wartet nicht darauf, dass die Schülerinnen oder Schüler zur Kirche kommen.“ Aber auch in den Köpfen der Gemeindemitglieder muss sich etwas ändern. „Die Leute müssen sich bewusst machen und müssen es auch erleben und erfahren, dass sie mitgestalten können und sollen. Manche hierarchische Haltung gegenüber dem Pastor ist von Kindesbeinen anerzogen. Wir müssen weg von der Erlaubnis- zur Ermöglichungspastoral“, sagt Kamphans.

In dem Zusammenhang fällt immer wieder der Begriff „Charismenorientierung“. Gemeint ist: Jede Gemeinde hat Menschen mit besonderen Fähigkeiten, mit Talenten, die es wert sind, gefördert und ins Gemeindeleben eingebracht zu werden. Bernhard Schrader: „Mit Beginn des Priestermangels hat man oft gesagt: Jetzt haben wir nicht mehr genügend Hauptamtliche, jetzt müssen die Ehrenamtlichen ran. Die Reihenfolge war falsch. Es hat schon immer Leute gegeben, die sich engagieren, die man mitnehmen muss. Und wenn es in der Gemeinde jemanden gibt, der gut und gern Musik macht, dann muss man ihn machen lassen – auch wenn es auf der Gitarre und nicht auf der Kirchenorgel ist.“ Frank Manegold ergänzt: „Ich mag das Bild nicht, dass Kirche sich angeblich gesundschrumpft. Aber wir brauchen die Menschen, die aus Überzeugung mitmachen.“

Scharnier zwischen Bistum und Gemeinden

An der Stelle setzt auch die Arbeit des Dekanatsbüros ein, das sich als Vermittler, als Scharnier zwischen Bistum und den fünf pastoralen Räumen versteht. Es geht darum, dass Menschen, die sich haupt- oder ehrenamtlich für Kirche engagieren, Unterstützung, Hilfestellung und Impulse bekommen. Dass sie ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten entfalten können. Das fängt bei Messdienerfahrten an, geht über Fachkonferenzen im Bereich Jugend und Caritas bis zu Schulungen in Sachen Prävention und Jugend-Leiter-Kursen oder Beratung von Pfarrgemeinderäten. Manegold: „Bei all dem passt nicht für jede Gemeinde dasselbe Korsett. Man muss generell mehr projektbezogen denken und individuell handeln.“

Matthias Kamphans bringt die Zielsetzung noch einmal auf den Punkt „Engagement vor Ort darf nicht verhindert werden. Wenn die Messe draußen gefeiert werden soll, warum nicht? Wenn die Gemeinde die Bänke aus dem Kirchenraum entfernen und etwas anderes ausprobieren möchte? Warum nicht, wenn es Sinn macht und von allen getragen wird.“ Und Frank Manegold ergänzt: „Das Erzbistum sagt ganz klar: Wir sollen experimentieren. Und wenn ihr auf die Nase fallt, ist es auch nicht schlimm. Wir sind die, die die kleinen Pflanzen hegen und pflegen, nicht die dicken Eichen, die schon fest verwurzelt sind.“ Lassen wir das einfach einmal so stehen.