Hochsauerlandkreis. Einen schnellen Erfolg hat Militärexperte Patrick Sensburg in der ukrainischen Gegenoffensive nicht erwartet. Er rät zu einem Strategiewechsel.
Deutschland wird nach Worten von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sein weltweites Engagement über Europa hinaus verstärken. Die Europäer dürften „nicht stillsitzen“, wenn es um die Zukunft der internationalen Ordnung gehe, sagte Pistorius in der Eröffnungsrede zur ersten „Westfälischen Friedenskonferenz“ in Münster. „Wir werden und wir dürfen nicht zuschauen, wie hegemoniale Kräfte auf der Welt souveränen Staaten und Völkern ihren Willen aufzwingen“, sagte Pistorius. Er bezog sich dabei unter anderem auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dort scheint es auf weitere und vor allem lange und blutige Kämpfe hinauszulaufen. HSK-Militärexperte Patrick Sensburg wagt einen Ausblick und sagt auch, wann es möglich sein wird, Russland wieder zu vertrauen.
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Die Lage in der Ukraine scheint festgefahren. Viele hatten sich schnellere und größere Erfolge durch die Gegenoffensive erwartet. Wie würden Sie die derzeitige Lage beschreiben?
Ich hatte das nicht erwartet, denn durch die russischen Stellungen durchzubrechen ist eine große Herausforderung für die Ukraine und mit dem Verlust von vielen Soldatinnen und Soldaten verbunden. Die russischen Truppen haben sich robust auf weiter Linie eingegraben und mit großflächigen Minenfeldern abgesichert. Viele Leben werden für nur teilweise geringe Raumgewinne geopfert. Nicht zuletzt die USA haben der Ukraine aber Druck gemacht, dass man militärische Erfolge sehen möchte und zur Gegenoffensive gedrängt. Derjenige, der gegen Stellungen anrennt, opfert aber in der Regel dreimal so viele Soldaten, wie der Verteidiger der Stellung. Ich hatte immer dazu geraten die alte Strategie beizubehalten, das russische Militär vom Nachschub abzuschneiden und durch verdeckte gezielte kleine Angriffe zu demoralisieren und mürbe zu machen. Das dauert im Zweifel dann natürlich viel länger, belässt aber die Nachteile auf Seiten des russischen Aggressors.
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Was tut Deutschland gerade, um die Ukraine zu unterstützen – und ist das Ihrer Meinung nach genug?
Deutschland stellt verschiedene Waffensysteme zum Beispiel zur Flugabwehr zur Verfügung, aber auch Kampf- und Schützenpanzer, Munition sowie Ersatzteile werden von Deutschland geliefert. Außerdem wurde Ende 2022 das Ausbildungsprogramm European Union Military Assistance Mission (EUMAM) mit einer Laufzeit von (vorerst) 24 Monaten mit dem Ziel der Ausbildung von 30.000 Soldatinnen und Soldaten ins Leben gerufen. Die Deutsche Bundeswehr übernimmt hierbei die Verantwortung für die Ausbildung von 5000 ukrainischen Soldatinnen und Soldaten. Zahlreiche Reservisten sind als Ausbilder bei dieser Mission engagiert. Bei der Lieferung der Taurus-Marschflugkörper erleben wir aber wieder eine zähe Diskussion, wie bei allen Waffenlieferungen zuvor. Am Ende wird Deutschland der Ukraine auch mit diesem System helfen, aber die Welt wird unser Zögern abermals nicht verstehen.
Wie bewerten Sie den Flugzeugabsturz, bei dem der General Prigoschin ums Leben gekommen ist?
Prigoschin hat seine Truppen menschenverachtend in den Krieg geschickt und sie schwerste Menschenrechtsverletzungen begehen lassen – und dies nicht erst im Ukrainekrieg, sondern z.B. auch schon in Syrien. Seit dem wohl nicht bis zu Ende gedachten Marsch auf Moskau war sein Leben keinen Rubel mehr wert. Unklar ist, ob und mit wem er seine Aktion damals abgesprochen hatte oder ob es eine unüberlegte Bauchentscheidung war, weil er seine Macht und die der Wagner-Truppen schwinden sah.
Wie ist die derzeitige Lage Putins nach dem Putschversuch? Genießt er noch genügend Rückhalt oder baut er seine Macht weiter aus, um seine Gegner stumm zu schalten?
Putins Macht schwindet und ich hatte damit gerechnet, dass er den Sommer nicht überleben würde. Dass es im Kreml bereits viele gibt, die über die Zeit nach Putin nachdenken, ist kein Geheimnis. Auch Prigoschin hatte sich aus diesem Lager wohl mehr Unterstützung ausgerechnet. Aber unabhängig davon, ob Putin kürzer oder länger im Amt bleibt, wird Russland für die nächsten Jahrzehnte eine Bedrohung für den Westen und die anderen Nachbarstaaten sein.
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Wie weit sind Russland und die Ukraine derzeit von Friedensgesprächen entfernt?
Friedensgespräche kann es erst dann geben, wenn die russischen Truppen aus der Ukraine abziehen und ihren völkerrechtswidrigen Angriff beenden. Einen echten Frieden wird es aus meiner Sicht für Jahrzehnte nicht geben, denn Russland verfolgt das Ziel das „Mutterland“ wiederherzustellen. Gemeint ist das Russland in den Grenzen des Zarenreiches. Das liest man in Russland inzwischen in jedem Schulbuch und der Machtapparat richtet sich auf dieses Ziel aus. Dies ist dann nicht nur eine unmittelbare Bedrohung der Ukraine, sondern auch zahlreicher EU-Staaten und sehr mittelbar auch für uns hier in Deutschland.
Wann, glauben Sie, wird es zu einer wirklichen Wende in diesem Krieg kommen?
Wenn die russischen Truppen aus der Ukraine abgezogen sind und eine neue Führung in Russland diesen Krieg als beendet erklären kann, wie dies z.B. in Afghanistan der Fall war. Erst wenn Russland aber wieder auf Diplomatie, Handel und internationalen Austausch setzt, kann eine langer Prozess einsetzen, der vielleicht in Jahrzehnten wieder Vertrauen entstehen lässt.