Die Tierheime Brilon und Korbach senden einen Hilferuf und schließen sich einem bundesweiten Brandbrief an. Die Probleme sind bedrohlich.
Hochsauerlandkreis/Brilon. „Wir haben gemahnt, appelliert, aufgefangen und jetzt brechen wir unter der Last der in Not geratenen Tiere zusammen“. Unter dem Hashtag #BrandbriefTierschutz senden die deutschen Tierschutzvereine einen verzweifelten Hilferuf an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und die Tierschutzbeauftragte der Bundesregierung Ariane Kari, denn: „Zu viele Schnauzen für zu wenig Hände, die Tierheime sind am Ende.“
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Die Organisation „Bündnis Schattenhund“ hat die Petition ins Leben gerufen, der sich derzeit immer mehr mehr deutsche Tierheime anschließen. Kaum ein Tierheim weiß noch, wie es es seine Kosten decken soll. Frank Weber, Leiter des Franziskustierheims Hamburg und vielen Tierfreunden als der blonde Moderator aus dem VOX-Haustiermagazin „hundkatzemaus“ bekannt, demonstrierte kürzlich vor dem Hamburger Rathaus und forderte einen „Rettungsschirm für den Tierschutz.“
Nur ein Problem für Tierheime: Kündigungen der Mitglied- und Patenschaften
„Ich weiß nicht, wie andere Tierheime finanziert werden. Bei uns ist es so, dass wir eine Pro-Kopf-Pauschale von den sieben Gemeinden bekommen. Von daher haben wir schon einiges an Unterstützung“, sagt Carolin Meerpohl, Leiterin des Tierheim Brilon. Ohne die Spendenbereitschaft von Tierfreunden geht es aber nicht. Und die geht in Zeiten von Energiekrise und Inflation zurück. Das erlebt auch Nadine Henkel, Leiterin des Tierheim Korbach, das mit dem Tierheim Brilon eng zusammenarbeitet: „Alles ist teurer geworden. Und deswegen sind die Spenden deutlich zurück gegangen.“ Es habe auch schon etliche Kündigungen der Mitglied- und Patenschaften gegeben. Immerhin bei den Sachspenden sehe es noch besser aus. „Aber gerade die Daueraufträge sind deutlich rückläufig“, so Henkel. In Korbach sei man vor allem mit Hunden „ziemlich voll“. Abgabegrund Nummer 1: Beißvorfälle. Die hätten seit Corona deutlich zugenommen, da die Hundeschulen geschlossen waren.
Auch das „Bündnis Schattenhund“ beklagt, dass Hundehalter bei der Auswahl ihres Vierbeiners häufig ihre eigenen Fähigkeiten im Umgang mit den Tieren überschätzen und es in der Folge zu Vorfällen komme, die dann letztendlich eine Abgabe im Tierheim nach sich ziehen - wenn eine Abgabe denn möglich ist. In vielen Städten sind die Tierheime bereits überfüllt.
Tiere müssen zunächst in Quarantäne gehalten werden
Carolin Meerpohl: „Viele wissen nicht, dass wir aufgenommene Tiere zunächst in Quarantäne halten müssen. Das hat mit dem Bestandsschutz zu tun und wird vom Veterinäramt auch so vorgeschrieben.“ Man könne beispielsweise eine Katze nicht einfach zu den schon vorhandenen „ins Katzenhaus packen“. Die Tiere müssen auch auf ansteckende Krankheiten wie Leukose oder Katzen-AIDS getestet, kastriert und umfangreich untersucht werden. „Das dauert alles“, so Meerpohl und die Kapazitäten sind, „so leid es uns auch tut“, begrenzt.
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Halter, die sich das Tier aufgrund der Krise nicht mehr leisten können, Halter, die von ihren Tieren verletzt wurden, verzweifeln. Und auch die Tierheime verzweifeln angesichts der Tatsache, dass es zu steigenden Tötungen durch die eigenen Besitzer kommt, weil die Vereine längst über das Limit hinaus belastet sind. Und das zum Teil aus Gründen, die schlichtweg haarsträubend erscheinen: Kürzlich habe eine aufgebrachte Frau zum Beispiel ihren 10 Monate alten Labrador ins Tierheim geben wollen, weil er zuhause Blumen kaputt gemacht hat. „Sowas denken wir uns nicht aus, das ist die Realität.“, klagt Carolin Meerpohl. Oder Leute, die unmittelbar vor der Auswanderung nach Kanada ihren Hund plötzlich loswerden wollen.
Wachsende Überforderung der Tierheime auch wegen Mängel bei Haltern
Neben der mangelnden Sachkunde der Hundehalter macht das Bündnis weitere Ursachen für die wachsende Überforderung der Tierheime aus: Da sei z.B. der illegale Welpenhandel und Hundehandel über das Internet, der weitgehend unkontrollierte Import von Auslandshunden und die damit einhergehende Problemverlagerung nach Deutschland oder auch die fehlende Reglementierung für Zuchtverbände hinsichtlich Qualzuchten.
Aber auch „die veralteten Finanzierungsmodelle für Tierheime bzw gänzlich fehlende finanzielle Mittel“. Eine oft und eben auch aktuell diskutierte und geforderte Möglichkeit um die Situation der Tierheime zu verbessern: Die teilweise Verwendung der Hundesteuer.
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Die Hundesteuer wird zweckgebunden verwendet, sondern fließt in den allgemeinen Steuertopf der Stadt. Mit der Aufnahme und Betreuung von Fundtieren übernehmen Tierheime allerdings Aufgaben im öffentlichen Auftrag der Kommunen. Dafür jedoch zusätzlich eigene Einnahmen aus Spenden aufzuwenden, ist Thomas Schröder, Präsident des deutschen Tierschutzbundes, ein Dorn im Auge: „Angesichts der Rekordeinnahmen aus der Hundesteuer kann es nicht länger sein, dass Tierheime die Kommunen aus Spendengeldern quasi subventionieren.“
Enorm gestiegenen Tierarztkosten
Nadine Henkel bedauert, dass die Beiträge aus den Gemeinden gleich geblieben sind, obwohl die Kosten so stark gestiegen sind. „Auch die seit November 2022 enorm gestiegenen Tierarztkosten durch die neue Gebührenordnung für Tierärzte machen uns ehrlich Bauchschmerzen. Allein das sind mehrere tausend Euro pro Monat“. Positiv zu verzeichnen sei indes die Zunahme der ehrenamtlichen Hilfe. „Die ist seit Corona gestiegen.“
Im Herbst und Winter steig wieder die Energiekosten. „Wenn die Hälfte der kommunalen Einnahmen einmalig in einen Topf für die Tierheime fließen würde und der Bund noch einmal genauso viel dazu gibt, wäre den Tierheimen sehr geholfen“, so Thomas Schröder.
In der Stadt Brilon derzeit 1541 Hunde gemeldet
Eine Anfrage der WP ergibt, dass in der Stadt Brilon derzeit 1541 Hunde gemeldet seien (Stand: 15.08.2023). 26 davon sind aus verschiedenen Gründen steuerbefreit.
Ob die Möglichkeit, die Hundesteuer teilweise dem Tierschutz zukommen könnte schon einmal überlegt wurde? Nein, das sei nicht der Fall, heißt es von der Stadt Brilon: Es sei „keine Zweckbindung möglich.“ Immerhin lässt sich nach Angaben der Stadtverwaltung in Brilon momentan keine steigenden Abmeldezahlen von der Hundesteuer verzeichnen. Denn immer noch landen viele im Homeoffice angeschaffte Tiere im Heim. Allerdings werden auch verstärkt Tiere ausgesetzt, weiß Nadine Henkel.
„Wir sind wirklich dankbar für jede Unterstützung. Ob von den Gemeinden oder privat. Und wir tun alles, was wir können. Arbeiten alle für Mindestlohn. Wenn sich das Finanzierungsmodell jedoch nicht ändert, müssen wir noch dringender und lauter als ohnehin schon an zukünftige Halter appellieren, sich die Anschaffung eines Haustieres sehr gründlich zu überlegen und dabei die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten realistisch im Blick zu behalten.“