Marsberg/Kassel. Sie will Abitur machen und studieren. Dann bekommt sie die Diagnose, die alles verändert. Wie ein Roboter ihr hilft, ihren Traum nicht aufzugeben

Pia Schüler-Springorum (17) ist eine Kämpferin und eine gute Schülerin. Das war sie vor ihrer schweren Erkrankung und ist es heute noch genauso. Dabei hilft ihr ein neuer Roboter. Er steht für sie auf ihrem Tisch in der Schulklasse, wenn sie persönlich nicht anwesend sein kann. Auch heute noch, zweimal die Woche, ist sie mit „AV1“ im Unterricht dabei.

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Der Telepräsenzroboter ist etwa 30 Zentimeter hoch, glänzend weiß, kann sich um 360 Grad drehen und sogar mit den animierten Augen Emotionen ausdrücken. Einen richtigen Namen hat er nicht. Er heißt schlicht und einfach AV1. Er ist nicht nur für Pia Schüler-Springorum eine große Hilfe.

Rund 75.000 Kinder in Deutschland fehlen wegen einer schweren Erkrankung langfristig in der Schule. Um dennoch am Unterricht teilnehmen zu können, hat ein norwegisches Start-Up den Roboter Avatar Av1 entwickelt. Mit ihm können die Schülerinnen und Schüler Teil der Klasse sein. In Deutschland sind die Roboter seit 2018 im Einsatz.

Niederschmetternde Diagnose

Der kleine Roboter nimmt für Pia am Unterricht teil un steht auf ihrem Tisch in der Klasse.
Der kleine Roboter nimmt für Pia am Unterricht teil un steht auf ihrem Tisch in der Klasse. © Privat | Privat

Als Pia Schüler-Springorum im Mai 2021 die niederschmetternde Diagnose Krebs bekam, war Schule für sie wegen der kräftezehrenden Therapien nicht mehr möglich. Hinzu kam Corona. „Wir sind froh, dass Pia mit dem Roboter die Möglichkeit hat, weiterhin am Unterricht teilnehmen zu können und auch so die Kontakte zu Klassenkameraden und -kameradinnen und den Lehrern behielt“, verdeutlicht ihre Mutter Dr. Mareike Schüler-Springorum. Sie leitet das LWL-Therapiezentrum für Forensische Psychiatrie Marsberg und lebt mit ihrer Familie in Kassel.

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Dort besucht ihre Tochter Pia das Gymnasium und dort wird sie auch behandelt. Zu Beginn ihrer Behandlung waren auf ihrer Station bereits zwei Roboter AV1 im Einsatz. Jetzt sind es sechs. „Eine Sozialarbeiterin und ein Erzieher sind auf der Station tätig, außerdem gibt es eine Klinikschule“, erzählt Pia am WP-Telefon von ihren Krankenhausaufenthalten. Das Recht auf Bildung auch für kranke Schüler und Schülerinnen sei ein wichtiges Thema in der Kinderklinik.

Die Avatare kosten 4.000 Euro und werden durch Spendengelder über den Förderverein Krebskranker Kinder Kassel finanziert. Damit für Pia auch ein AV1 dauerhaft zur Verfügung steht, hat der Rotary-Club Brilon-Marsberg 1000 Euro gespendet. Denn die Unterhaltung der AV1 kostet etwa 1.000 Euro im Jahr. Pia: „Die Kollegin von Mama, Oberärztin Astrid Schmidt, ist Mitglied bei den Rotariern Brilon-Marsberg und hat den Kontakt hergestellt.“

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Lernen mit dem Avatar-Roboter findet die Oberärztin Astrid Schmidt am WP-Telefon „eine absolut bemerkenswerte und förderfähige Aktion“, die die Rotarier weiterhin fördern wollen. So könnten die erkrankten Kinder und Jugendlichen durch ihn ein Stück Normalität erfahren. Gerade für Jugendliche im Alter von Pia sei der Kontakt zum Freundeskreis enorm wichtig, denn viele Themen würden lieber mit Freunden als mit Eltern besprochen. Wenn sie durch Krankheit quasi aus dem System rauskatapultiert würden, sei es furchtbar für sie und für die weitere Entwicklung nicht förderlich.

Pia war jetzt bei einem Treffen der Rotarier in Brilon und hat die Schularbeit mit dem AV1 vorgestellt: Im Livestream nimmt sie am Unterricht in Echtzeit teil. Der Roboter steht auf ihrem Tisch in der Klasse. Er hat keine Arme und Beine, dafür aber eine Kamera auf der Stirn, ein Mikrofon und einen Lautsprecher im Bauch.

Per Livestream Mathe pauken

Von ihrem Tablet aus kann sie ihn von zu Hause oder vom Krankenbett aus mit Pfeilen steuern und auch die Blickrichtung des AV1 wechseln. Pia: „Ich kann mich sogar melden, Fragen stellen und Antworten geben. Auch in den Pausen bin ich mit dabei.“ Denn ihre Mitschüler/innen nehmen ihn mit dorthin.

Für Pia war und ist der kleine Roboter eine große Hilfe. „Man bekommt alles viel, viel besser mit, kann nachfragen und an Gruppenarbeiten teilnehmen.“

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Ein Schüler passt extra auf „ihren“ AV1, Ivy, auf und nimmt ihn überall mit hin, was in der Kursphase der Oberstufe gar nicht so leicht zu organisieren ist. Nach dem Unterricht kommt der AV1, Ivy dann ins Sekretariat und wird dort für den nächsten Tag geladen.

Nächstes Jahr macht Pia Abitur. Danach plant sie erst einmal ein freiwilliges soziales Jahr im medizinischen Bereich, vielleicht auf einer kinderonkologischen Station in einer Klinik in Kanada. Danach möchte sie studieren. Wahrscheinlich Jura. Die WP wünscht ihr weiterhin gutes Gelingen.