Hochsauerland. Im Jahr 2022 wurden allein im HSK 689 Fälle gemeldet, bei denen das Wohl eines Kindes in Gefahr war. Die Zahlen gehen damit leider nach oben.

Traurige Bilanz: Im Jahr 2022 ist die Zahl der Gefährdungseinschätzungen von Kindeswohl in NRW weiter gestiegen. Gegenüber 2015 hat sich die Zahl der Verfahren landesweit fast verdoppelt und stieg auf 56.914 Fälle. Das zeigen aktuelle Zahlen von IT NRW als Statistisches Landesamt. Auch für den HSK sind die Zahlen gestiegen. 359 Fälle waren es in 2015; im Jahr 2022 weist die Statistik 689 Fälle aus – im Vergleich zum Vorjahr ist das noch einmal ein Anstieg um 186 Fälle.

Kreis wollte gerichtlich Klarheit schaffen

Die Tabelle unterscheidet zwischen akuten Fällen, latenten Fällen und weist auch Zahlen aus, wo nach den Recherchen der Behördenmitarbeiter/innen Hilfsbedarf angezeigt war oder nicht. Von den 689 Fällen waren 29 akut, 263 Mal bestand rückblickend keine Gefährdung, aber trotzdem wurde Hilfsbedarf festgestellt. Bei einer latenten Gefährdung lässt sich die gegenwärtige Gefahr nicht eindeutig feststellen.

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Es steht zu hoffen, dass die steigende Zahl der Fälle in einer höheren Sensibilisierung der Bevölkerung begründet liegt und möglicherweise häufiger Meldungen gemacht werden. Auch dazu gibt die Tabelle Auskunft.

Besonderer Stellenwert

Das Thema Kindeswohlgefährdung hat beim Hochsauerlandkreis einen besonderen Stellenwert. Im Januar 2020 war eine Sozialarbeiterin des HSK-Jugendamtes wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassung verurteilt worden. Das Landgericht hatte ihr eine Mitschuld am Hungertod eines zweijährigen Jungen in Winterberg gegeben, dessen Familie sie betreut hatte. Der Kreis war damals in Revision gegangen, um durch das Urteil bundesweite Signalwirkung und Aussagen für die künftige Jugendarbeit zu erzielen. Aber auch das OLG kam zu dem Schluss, dass die Mitarbeiterin eine Mitschuld trage.

Der Verteidiger der Jugendamtsmitarbeiterin, Thomas Mörsberger (ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der Jugendarbeit) und seine Kollegin Astrid Aengenheister hatten auf die Revision gepocht. „Wir hatten gehofft, dass das OLG zu einigen Punkten im Urteil Stellung bezieht, die unserer Ansicht nach rechtlich falsch bewertet wurden.“ Mehrfach hatte Thomas Mörsberger in dem Verfahren darauf hingewiesen, dass eine Lücke klaffe zwischen der herrschenden Meinung, was eine Sozialarbeiterin tun müsse, und der tatsächlich rechtlichen Verpflichtung.

Uhl: Gesellschaft ist sensibler

Kreissprecher Jürgen Uhl sieht in der aktuellen Statistik und in dem Anstieg der Fallzahlen in der Tat ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft für das Thema sensibler und aufmerksamer geworden ist. Nach dem Vorfall in Winterberg war die Arbeit des Kreisjugendamtes umstrukturiert und dezentraler gestaltet worden.

Dazu Jürgen Uhl: „Aus den Erfahrungen von Kinderschutzverläufen werden regelmäßig Erkenntnisse gezogen, wie sie dann z.B. auch in Gesetzgebungsverfahren und den Empfehlungen des Landschaftsverbandes berücksichtigt werden. Das Kreisjugendamt setzt bei einer Risikoeinschätzung im Rahmen von Gefährdungsmeldungen ein Vier-Augen-Prinzip um, die Handlungsschritte werden in gemeinsamen kollegialen Fallkonferenzen, welche wöchentlich stattfinden, abgestimmt und alle Kinder und deren persönliche Umgebung werden im Rahmen der Gefährdungseinschätzung in Augenschein genommen. Die Beendigung einer Risikoeinschätzung erfolgt ebenfalls im Rahmen der kollegialen Teamentscheidung.“

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Nach dem Fall in Winterberg gab es damals eine Beratung mit dem Landesjugendamt. Die Organisationsstruktur wurde von neun ortsnahen Außendienststellen in drei Regionalteams aufgeteilt (nur noch Sprechstunden in den neun Städten und Gemeinden, für die das Kreisjugendamt zuständig ist), um den Anforderungen eines Flächen-Kreises besser gerecht zu werden.

Die Dienstanweisungen wurden im Rahmen der Qualitätsentwicklung überarbeitet und Supervision als regelmäßiges Instrument der Entlastung etabliert.