Marsberg/Hesperinghausen. Ihr Atelier liegt im tiefsten Hochsauerland. Hier verarztet Restauratorin Sina Theile uralte Meisterwerke. Dafür braucht sie eine ruhige Hand.
Helle Lampen umringen das Holzgestell und leuchten jeden Millimeter der Leinwand aus, die darauf festgespannt ist. Sina Theile muss genau sehen können, was sie tut: Mit einem speziellen Werkzeug trägt die Restauratorin vorsichtig ein Lösungsmittel auf die empfindliche Oberfläche der Leinwand auf. Es soll den vergilbten Überzug ablösen, der sich im Lauf der Jahrhunderte dunkel verfärbt hat und durch den sich die prächtigen Farben des Kunstwerks nur noch schwach erahnen lassen. Das Gemälde, an dem sie arbeitet, stammt aus dem Rokoko, aus dem 18. Jahrhundert. Auf großen Tischen in dem Atelier bei Marsberg sind noch weitere Bilder aufgereiht, in allen erdenklichen Größen und mit auffälligen Rahmen. Auf weißen Polstern liegen zwei verwitterte Engelsskulpturen aus Holz, die Oberflächen ihrer kindlichen Gesichter sind von feinen Rissen durchzogen.
Die Marsbergerin möchte die Kunst bewahren
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„Meine Aufgabe ist es, die Substanz zu sichern“, erklärt Sina, seit 2015 selbstständige Restauratorin für Gemälde und Skulpturen. „Es geht beim Restaurieren vor allem um den Erhalt, um das Konservieren der Kunstwerke. Sie sollen möglichst authentisch belassen werden, wir verändern so wenig wie möglich.“ Museen und Kirchen, aber auch private Kunstbesitzer zählen zu den Auftraggebern, die ihre Kunstwerke in die Obhut der 36-Jährigen geben. Eine große Verantwortung, an die sich Sina auch erst mal gewöhnen musste. „Die Stücke sind zwar über die Museen versichert und es gibt sowohl eine Transport-, Inventar- und Haftpflichtversicherung, aber man hat trotzdem immer großen Respekt vor der Aufgabe.“ In dem Atelier herrschen in Hinblick auf Temperatur und Luftfeuchtigkeit optimale Bedingungen, damit die empfindlichen Gegenstände keinen weiteren Schaden nehmen.
Die Gemälde, die zu ihr kommen, sind oft in einem erbarmungswürdigen Zustand: „Wenn die Oberfläche stark beschädigt ist, dauert die Arbeit daran oft sehr lange.“ Bevor sie mit der Reinigung eines Objekts und der Rekonstruktionsarbeit beginnt, führt Sina eine Bedarfsanalyse durch und erstellt im Austausch mit den Auftraggebern ein Konzept. „Da wird dann geschaut: Was braucht das Gemälde? Wie aufwendig wird die Restaurierung, wie viel wird das kosten?“ Sind diese Schritte geklärt, beginnt sie damit, alte Überzüge vorsichtig mit Lösungsmitteln zu entfernen und Fehlstellen in der Bildoberfläche zu kitten. Hierfür arbeitet sie viel mit alten Mitteln, die sich schon über Jahrhunderte in der Kunstwelt bewährt haben. „Wichtig ist, dass alle Materialien reversibel sind. Jeder Schritt muss schadfrei rückgängig gemacht werden können, ohne das Original zu beschädigen.“ Nach dem Lösen und Kitten folgt ihr Lieblingsteil im Arbeitsprozess, das Retuschieren: „Ich rekonstruiere das Bild, also auch die Technik und die Malweise des Künstlers, bis ins Detail: Vom Farben mischen bis zur Linienführung.“ Dabei zusehen zu können, wie sich das Bild nach und nach wieder zusammensetzt, sei ein sehr befriedigendes Gefühl.
Künstlerische Ausbildung dauert acht Jahre
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Ihren ausgefallenen Beruf liebt die gebürtige Obermarsbergerin sehr. „Da gibt es ganz viel Abwechslung, man lernt immer wieder neue Methoden und Materialien kennen.“ Auch die Vielfalt zwischen den Kunststilen und Epochen, aus denen ihre Schützlinge stammen, fasziniert die junge Frau. „Jedes Kunstwerk ist anders. Es gibt immer neue Herausforderungen.“ Mehrere Stationen in Bonn, Erfurt, Köln und Münster, ein dreijähriges Vorpraktikum, dann ein Bachelor- und ein Masterstudium - über acht Jahre dauerte die Ausbildung zur Restauratorin. „Man erlernt ganz viele verschiedene Arbeitstechniken, wie z.B. die Vergoldung.“ Auch Materialkunde und Kunstgeschichte stehen bei so einer Ausbildung auf dem Stundenplan, ebenso wie naturwissenschaftliche und chemische Komponenten: „Man muss wissen, wie verschiedene Materialien reagieren, oder wie Binde- und Lösungsmittel zusammengesetzt sein können.“ Der Einstieg in die berufliche Selbstständigkeit gleich nach dem Studium lag für Sina nahe: Im oberen Stockwerk der Kunsttischlerei, die ihr Bruder Chris Theile als ebenfalls selbstständiger Diplomrestaurator betreibt, hat sie gleich einen Ort für ihr Atelier und professionellen Anschluss gefunden.
„Das Schönste ist an dem Beruf ist aber immer das Endergebnis, der direkte Vergleich von Vorher zu Nachher.“ Ihre Arbeit muss sie mit Fotos und schriftlich genau dokumentieren, damit auch zukünftig immer nachvollzogen werden kann, wann und in welcher Weise an dem Bild gearbeitet wurde. „Weil es immer sein kann, dass mal ein Fehler passiert, sind die Objekte gut versichert“, erklärt Sina. Deshalb habe sie zwar keine Angst davor, an kostbaren Gemälden zu arbeiten, aber trotzdem einen großen Respekt vor ihnen. Jedes Kunstwerk behandelt sie mit größter Umsicht, für die langwierigen Restaurierungen braucht sie viel Geduld und Durchhaltevermögen. Für größere Aufträge arbeitet Sina auch direkt in Kirchen und Museen, oder übernimmt Projekte gemeinsam mit anderen Restauratoren. „Da gibt es ein großes Netzwerk unter Restauratoren, wir stehen eng in Kontakt und tauschen uns aus.“ Egal, aus welcher Epoche das Kunstwerk stammt und zu welcher Stilrichtung es gehört: Sina nimmt jede Herausforderung mit großer Hingabe an.