Winterberg/Hochsauerlandkreis. Landärzte fühlen sich von Politiken im Stich gelassen. Das baden auch Patienten aus. Tim-Henning Förster von der Sauerlandpraxis redet Klartext.
Es ist nicht lange her, dass die Menschen für Pfleger und Ärzte auf den Balkonen geklatscht haben. Es ist auch nicht lange her, dass mit Karl Lauterbach als Gesundheitsminister die Hoffnung gefeiert wurde, dass sich jetzt einiges im Gesundheitssystem ändern würde. Was ist von der Wertschätzung aus der Pandemie übrig geblieben? Was hat sich nach all den Krisen geändert? Mediziner Tim-Henning Förster von der Sauerlandpraxis mit Filialen in Medebach, Hallenberg und Winterberg war während der Pandemie einer der medizinischen Ansprechpartner der Westfalenpost. Mit ihm sprechen wir über aktuelle Probleme und Herausforderungen im Gesundheitssystem.
Lesen Sie auch zum Thema medizinischer Versorgung:
Nach Todesfall in Brilon: Hausarztmangel verschärft sich
Hausarztmangel in Brilon: Wie konnte es soweit kommen?
Briloner findet keinen Hausarzt: „Beschissenes Gefühl“
Die Corona-Pandemie scheint endgültig vorbei. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück? Welche Bilanz ziehen Sie für sich persönlich, aber auch für die Arbeit in der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland?
Tim-Henning Förster: Nun ja, wir würden uns sehr freuen wenn wir die Aussage so unterschreiben könnten. Nur weil die Politiker beschlossen haben, dass die Pandemie vorbei sei, bedeutet dies nicht, dass wir nicht nach wie vor eine nennenswerte Anzahl an erkrankten Personen verzeichnen. Nur weil nicht mehr getestet wird, verschwindet ein Virus ja nicht. Auch den vielen Patienten mit anhaltenden Gesundheitsstörungen als Folge der Corona-Erkrankung wird die Aussage nur ein müdes Lächeln abgewinnen. Davon ab gibt es aber auch einige gute Punkte: in den Praxen sind wir als Team enger zusammengewachsen, viele Aufgaben lassen sich gemeinsam leichter lösen. Für die tägliche Arbeit werden wir auch Dinge übernehmen, die sich als nützlich erwiesen haben, so wird eine gesonderte Infektsprechstunde erhalten bleiben, die unter erhöhten Eigenschutzmaßnahmen durchgeführt wird. Hier hat sich deutlich gezeigt, dass der Schutz durch die Maske die eigenen Erkrankungen reduziert.
Konnten Sie und ihr Team sich von den Strapazen der letzten Jahre erholen? Wenn nicht, warum bleibt die Arbeit in der Praxis so herausfordernd?
Noch nicht so richtig, eine wirklich ruhige Phase hat sich in den letzten drei Jahren nie ergeben. Schon vor der Pandemie zeigten sich die großen Herausforderungen für die kommunale Gesundheitsversorgung und die Lage hat sich nicht entspannt, im Gegenteil: vieles von dem was wir vor einigen Jahren prognostiziert haben ist bereits eingetreten.
Während der Pandemie wurde für Ärzte, MFAs und Pfleger auf Balkonen geklatscht. Wie viel ist von dieser Wertschätzung noch übrig – auf politischer Seite, aber auch seitens der Patienten?
Auf lokalpolitischer Ebene ist davon noch vieles übrig, wir stehen regelmäßig in gutem, konstruktivem Austausch mit den Rathäusern der Kommunen Winterberg, Medebach und Hallenberg. Bundespolitisch haben wir nicht das Gefühl, dass hier auch nur ein Fünkchen Wertschätzung hängen geblieben ist. Bei unseren Patienten haben wir im großen und ganzen den Eindruck, dass sie es sehr zu schätzen wissen, was die regionalen Pflegedienste, MFAs und Ärzte in der Hauptphase der Pandemie für sie geleistet haben.
Als Karl Lauterbach Gesundheitsminister wurde, hatten viele große Erwartungen an ihn. Er sollte das Gesundheitssystem endlich praxisnah umgestalten. Sind diese Erwartungen erfüllt worden?
Nein. Hätten wir die Erwartungen tatsächlich gehabt, dann wären wir mittlerweile bitter enttäuscht. Aber von der ehemaligen rechten Hand von Ulla Schmidt haben wir ehrlich gesagt auch keine Wunderdinge erwartet.
Wo hakt es im Gesundheitssystem Ihrer Meinung nach? Wie wirken sich die Probleme im Gesundheitssystem im Praxisalltag aus?
Es gibt viele Probleme im Gesundheitssystem, die steigenden Gesundheitskosten belasten sowohl die individuellen Haushalte als auch die öffentlichen Finanzen. Der medizinische Fortschritt und der demografische Wandel führen zu einer steigenden Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, während gleichzeitig die Kosten für medizinische Technologien und Arzneimittel zunehmen. Die zerstückelte Versorgung durch separate Anbieter und fehlende Kommunikation der Versicherer führt zu Ineffizienzen und unnötige Kosten, die zu einer suboptimalen Patientenversorgung führen. Im täglichen Alltag wird es immer schwerer Patienten mit spezifischen Fragen bei Fachärzten oder in Krankenhäusern unterzubringen.
Im ländlichen Raum fehlt es an Ärzten und der Mangel wird immer extremer (siehe Brilon). Wie schauen Sie mit diesem Wissen in die Zukunft der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum? Was braucht es allgemein, um die Ärzte und MFAs in unsere Region zu locken?
Brilon ist leider ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn in der aktuellen Versorgung noch weitere Hausarztpraxen durch tragische Fälle oder aus altersbedingten Gründen ohne Nachfolger geschlossen werden. Für die bisherigen Patienten der geschlossenen Praxen führt dies zu weiten Fahrstrecken zu aufnehmenden Hausarztpraxen, Pflegeheime und Behinderteneinrichtungen sind teilweise ganz von der Versorgung abgeschnitten oder vollkommen unzureichend versorgt. Den verbliebenen Praxen kann man da auch gar keinen Vorwurf machen, auch sie arbeiten am Limit und können keine weiteren Patienten versorgen. Die Patentlösung? Ich glaube gar nicht, dass es ein Problem der Region ist. Das Sauerland hat eine hohe Lebensqualität, besonders für junge Familien, vielmehr muss ein attraktives Arbeitsumfeld geschaffen werden, in dem sich junge Kollegen und Kolleginnen wohl fühlen können. Sinnvoll kann es sein, Medizinstudenten aus der Region zu zeigen, dass es attraktiv ist, zurück in die Heimat zu kommen und hier in einem Team eine prägende Rolle zu spielen. Sicher gibt es auch Charaktere, die besser in einer Einzelpraxis funktionieren, aber in unserer Sauerlandpraxis als Beispiel, können wir Aufgaben und Funktionen auf viele Schultern verteilen und so jedem Mitspieler die Möglichkeit geben, sich in seinem Rahmen zu verwirklichen. In Schmallenberg und Olsberg gibt es Praxen die auch einen solchen Weg eingeschlagen haben, daher bin ich optimistisch, dass die Versorgung auf dem Land auch in Zukunft funktionieren wird.