Marsberg. Sarah Schleicher wünscht sich mehr Homeoffice nach ihrer Elternzeit. Ihr Chef sagt nein. Die Marsbergerin kündigt. Eine neue Chance tut sich auf.

Der Wiedereinstieg in den Beruf stellt Sarah Schleicher vor ein Problem, mit dem sie nicht gerechnet hat: Fehlende Flexibilität. Denn ihr Arbeitgeber kommt ihr weder beim Homeoffice, noch bei den Arbeitszeiten entgegen. Die Marsbergerin kratzt ihren ganzen Mut zusammen – und wechselt die Arbeitsstelle. Ein Schritt, der für junge Mütter nicht gerade leicht ist und viel Mut erfordert. Der Westfalenpost erzählt sie ihre Geschichte.

„Ich habe meine Freizeit dem Job angepasst“

„Ich war mit meinem Arbeitgeber vor meiner Elternzeit sehr sehr zufrieden“, sagt Sarah Schleicher (37). Sie ist Bilanzbuchhalterin, arbeitet Vollzeit. „Mein Privatleben hat gut in die Strukturen einer 40-Stunden-Woche gepasst, ich habe meine Freizeit meinem Job angepasst“, sagt sie. Mitten in der Corona-Zeit wird sie schwanger – und alles ändert sich. Zum ersten Mal führt ihr Arbeitgeber damals die Möglichkeit für Homeoffice ein, präventiv und aus Sorge vor einer Corona-Ansteckung wird die damals schwangere Marsbergerin auch direkt nach Hause geschickt. „Das war super, ich war flexibel. Ich habe sofort gemerkt, dass Homeoffice genau mein Ding ist.“ Als ihr Kind zur Welt kommt, nimmt sie sich ein Jahr Elternzeit.

Sarah Schleicher hat nur wenig Forderungen für ihren Wiedereinstieg

Sie freut sich darauf, wieder einzusteigen in ihren Beruf. Sie sucht das Gespräch mit dem Arbeitgeber. „Wir konnten wegen Corona nicht persönlich miteinander sprechen.“ Sarah Schleicher glaubt noch heute, dass ein persönliches Gespräch besser gelaufen wäre. Sie hat nicht viele Wünsche für ihren Wiedereinstieg. Teilzeit will sie arbeiten. Sie will um 8.30 Uhr starten, statt um 8 Uhr. „So kann ich mein Kind etwas später zur Kita bringen. Dadurch, dass es schon mit einem Jahr in die Kita gehen sollte, wollte ich vermeiden, dass der Kita-Tag schon um 7 Uhr beginnt.“ Sarah Schleicher fragt außerdem, ob sie die Möglichkeit bekommen könnte, auch im Homeoffice zu arbeiten. „Im ersten Kita-Jahr war unser Kind ständig krank. Wenn ich also im Homeoffice arbeiten dürfte, müsste ich nicht Kinderkrankentage nehmen und kann meine Arbeit flexibel erledigen.“ Zu beiden Forderungen sagt ihr Arbeitgeber nein.

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Sie kann die Entscheidung ihres Arbeitgebers nicht verstehen

Noch heute klingt sie verwundert, wenn sie das erzählt. Sie kann die Entscheidung ihres Arbeitgebers nicht nachvollziehen. „Die Steuerbüros sind voll von Frauen, die Teilzeit arbeiten und Mütter sind. Diese traditionelle Denkweise hat mich daher überrascht. Homeoffice ging nicht, eine halbe Stunde später anfangen auch nicht. Dabei loggen wir uns ein, die Arbeit wäre überprüfbar.“ Der Grund, den ihr Arbeitgeber nennt, ist der immer wieder bemühte Satz, die immer wieder genutzte Floskel: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Und: „Wenn wir Ihnen das zugestehen, müssen wir das anderen auch zugestehen.“

Sarah Schleicher arbeitet als Bilanzbuchhalterin. Irgendwann will sie vielleicht eine Weiterbildung machen, noch mehr erreichen auf ihrem Karrierweg.
Sarah Schleicher arbeitet als Bilanzbuchhalterin. Irgendwann will sie vielleicht eine Weiterbildung machen, noch mehr erreichen auf ihrem Karrierweg. © WP | Privat

Sarah Schleicher will sich ihren neuen Alltag mit ihrem Kind nicht von starren und vor allem alten Regeln diktieren lassen. Sie aktualisiert eines Abends ihr XING-Profil. „Ich dachte, ich bewerbe mich aus einer denkbar schlechten Position, als Teilzeitmutter.“ Sie irrt sich. Gleich drei Anfragen erreichen sie. Ein Recruiter spricht sie an. Drei Vorstellungsgespräche hat sie, ohne eine einzige Bewerbung zu schreiben. In die Gespräche geht sie mit denselben Forderungen, die sie an ihren Arbeitgeber gestellt hat. Homeoffice, Flexibilität. Alle sagen ihr diese Möglichkeiten zu. Sarah Schleicher bekommt einen neuen Job. Bekommt mehr Gehalt. Bekommt einen entspannten Alltag für ihre Familie ohne Druck und Ängste.

Fünf Jahre gibt sie alles für ihren Job, um sie gekämpft wird nicht

Als sie ihrem alten Arbeitgeber kündigt, leistet dieser kaum Widerstand, wie sie sagt. „Ich war fünf Jahre dort, ich habe alles gegeben und dann wurde ich emotionslos abgehakt. Mein Arbeitgeber hat keine Sekunde lang um mich gekämpft. Das hat mich sehr enttäuscht.“ Sarah Schleicher glaubt aber auch, dass Unternehmen mit einer derart traditionellen Denkweise nicht anders kann, als die Leute gehen zu lassen. „Der extreme Fachkräftemangel hat mir natürlich geholfen, viele haben mich mit offenen Armen empfangen.“ Entscheidender ist aber das Können, das sie mitbringt, die Fähigkeiten, die sie ihrem neuen Arbeitgeber anbieten kann. Sarah Schleicher verliert kein schlechtes Wort über ihren alten Arbeitgeber. „Ich habe dort viel gelernt und wurde sehr gut ausgebildet.“

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Jobwechsel erfordert all ihren Mut

Für Sarah Schleicher ist der Jobwechsel ein Prozess des Loslassens. „Das alles war nicht einfach für mich.“ Ihr Mann habe sie unterstützt und – inspiriert von ihrer Tatkraft – ebenfalls einen neuen und familienfreundlicheren Job gesucht. Beide sind nun zu 100 Prozent im Homeoffice, flexibel und vor allem bei ihrem Kind. „Wir haben uns ganz schön was erkämpft“, sagt Sarah Schleicher. Sie erinnert sich daran, dass ihr eigener Vater irgendwann zu ihr sagt: „Diese Möglichkeiten hatten wir nicht.“ Sie glaubt, die neuen Möglichkeiten die auch dank Corona entstanden sind, müssen genutzt werden.

Zum ersten Mal bekommt Sarah Schleicher eine Lohnerhöhung – ohne zu fragen

Jetzt bekommt Sarah Schleicher zum ersten Mal eine Lohnerhöhung – ohne danach gefragt zu haben. „Weil ich die Leistung bringe“, sagt sie selbstbewusst. Ihre Geschichte ist eine Erfolgsgeschichte. „Sie hat mich allen Mut gekostet und ich hätte nie erwartet, was ich bekommen habe. Ich dachte, als Teilzeitmutter habe ich schlechte Chancen. Aber wir sind doch viele. Nur, weil ich ein Kind bekommen habe, verlerne ich nicht das, was ich kann.“