Brilon/Hochsauerlandkreis. Wie Kinder ihre Körper erkunden, verunsichert Eltern: Expertin Nicole Ernesti erklärt, warum Doktorspiele normal sind und wo die Grenzen liegen.

Kleine Kinder müssen sich und ihren Körper kennenlernen. Sie dürfen das und sie müssen das dürfen. Dass sie sich selbst erkunden und dafür interessieren, wie der Körper des anderen aussieht, ist völlig okay und auch wichtig für die Ausbildung der eigenen Identität. Das gilt für alle Geschlechter. Doch wo sind die Grenzen solcher „Doktor“- oder „Körpererkundungsspiele“? Bis zu welchem Punkt gehören sie zur psychosexuellen Entwicklung und ab wann sind sie nicht mehr normal? Mit diesen Fragen wird Nicole Ernesti in letzter Zeit häufig von Eltern konfrontiert. Sie arbeitet bei der Beratungsstelle der Caritas Meschede in Brilon und kümmert sich dort speziell um Beratung und Prävention im Bereich sexualisierte Gewalt bei Kindern.

Statt Doktorspiele lieber Körpererkundungsspiele

„Ich glaube, bei Eltern und Erziehenden ist die Sensibilität für das Thema sexualisierte Gewalt und Übergriffe ungemein gewachsen. Das ist wichtig und richtig“, sagt die Fachfrau. In erster Linie sollte man Kindern jedoch vermitteln, dass „Sexualität etwas sehr Normales, Gesundes und Schönes ist, was auch die Lebensenergie fördert. Ich merke aber, dass das Thema schnell einen negativen oder beschämenden Touch bekommt. Dabei ist Sexualität für Kinder wichtig, um eine eigene Identität zu entwickeln.“

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Zeitlos interessant für Kinder scheinen sogenannte Doktorspiele zu sein, die Eltern nach wie vor verunsichern. „Der Begriff ist eigentlich nicht richtig. Denn es geht nicht nur um das Ausziehen wie bei einer ärztlichen Untersuchung. Wir sprechen ganz bewusst eher von Körpererkundungsspielen, weil die Berührungen auf einer völlig normalen, kindlichen Neugier basieren und auch etwas mit dem Ausloten von Grenzen zu tun haben“, sagt Nicole Ernesti. Mit Verboten solle man daher sehr vorsichtig umgehen. Ein aufgeregtes ,Was macht ihr denn da?‘ seitens der Eltern könne dafür sorgen, dass Kinder ein gestörtes Gefühl zum eigenen Körper bekommen. Aber selbstverständlich gibt es Grenzen und Regeln und die sind zu beachten.

Kinder sollte sich maximal anderthalb bis zwei Jahre voneinander unterscheiden

Symbolbild: Bei Doktorspielen bzw. Körpererkundungsspielen solle der Altersabstand nicht zu groß sein. Es gilt die regel: Wenn das Kind sich damit wohl fühlt, dann ist es okay.
Symbolbild: Bei Doktorspielen bzw. Körpererkundungsspielen solle der Altersabstand nicht zu groß sein. Es gilt die regel: Wenn das Kind sich damit wohl fühlt, dann ist es okay. © Mangostar - stock.adobe.com | Adobe Stock

„Um es nochmal zu unterstreichen: Kinder-Sexualität ist etwas Positives und unterscheidet sich ganz deutlich von Erwachsenensexualität. Die Erkundungsspiele bei Kindern finden spontan statt und sind nicht auf ein sexuelles Ziel ausgerichtet“, erklärt Nicole Ernesti. Dass sich Kinder ihre Geschlechtsteile zeigen oder anfassen sei völlig normal. Wichtig sind der Fachfrau folgende Regeln: Jedes Kind kann selber entscheiden, ob und mit wem es in welcher Konstellation Körpererkundung spielt. Das ist eine völlig selbstbestimmte, freiwillige Sache, die sich häufig aus einem spielerischen Kontext ergibt. Dabei ist es gar nicht wichtig, wer mit wem in welcher Beziehung steht. Wenn das Kind sich damit wohl fühlt, dann ist es okay. Solange es mitgestalten und mitbestimmen kann, ist es total in Ordnung. Genau das sei auch für Eltern ein guter Orientierungspunkt. Ernesti: „Wenn ein Kind sagt, ich will das nicht oder das mag ich nicht, dann muss das gehört werden.“ Es dürfen jedoch keine Gegenstände in Körperöffnung eingeführt werden und das Alter der Kinder sollte sich maximal anderthalb bis zwei Jahre voneinander unterscheiden.

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Kein Kind bestimmt über ein anderes und es gibt kein Machtgefälle in diesem Spiel. Es gilt das Prinzip der Freiwilligkeit, jedes Kind kann die Situation jederzeit verlassen, ohne dass es Druck gibt. Ganz wichtig ist, dass sich Rollen bei der Körpererkundung abwechseln. Es ist hilfreich, den Kindern das Gefühl zu geben, dass das, was sie tun, normal ist.

Ist das noch ein Doktorspiel oder wo sind die Grenzen?

All das sollte in einem behüteten Rahmen stattfinden. In Kitas, so Nicole Ernesti, werde oft gefragt, ob man die Spiele zulassen solle. Ihre Antwort: „Ja, das ist wichtig, aber in einem geschützten Raum. Die Tür zum Zimmer einen Spalt offen lassen ist okay, aber ansonsten haben Erwachsene bei Körpererkundungsspielen von Kindern nichts zu suchen. Kinder sollten aber immer die Möglichkeit habe, sich bei einem Erwachsenen Hilfe zu holen. Daher bitte nicht einfach in das Spiel platzen, die Kinder nicht ausschimpfen, nicht die Eltern des Spielkameraden/der Freundin anrufen und den künftigen Umgang der Kinder miteinander verbieten.“ Wenn man Kinder unterbreche und ihnen ein schlechtes Gefühl vermittle, könne das zur Folge haben, dass sich Schamgefühle ausbilden und dass das Kind später hinsichtlich seiner Sexualität und seines Körpergefühls nicht mehr voll sprachfähig ist. Ernesti: „Da muss man erstmal ganz viel Sensibilisierungsarbeit leisten.“

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Die zentrale Fragestellung, mit der Eltern zu Beratung kommen, ist oftmals die: Ist das noch ein Doktorspiel oder wo sind die Grenzen? In dem Zusammenhang kommen wir plötzlich in den Bereich, wo Eltern von Tätern und von Opfern sprechen. Das ist hier völlig fehl am Platz. Eltern sollten sich untereinander austauschen und bei einer Grenzverletzung mit dem Betroffenen und dem grenzverletzenden Kind deutlich, aber wohlwollend reden. Wer sich unsicher ist, kann bei uns Rat und Hilfe bekommen.“

Bücher und Infomaterial zu dem Themenkomplex

Mehr denn je, so sollte man meinen, dass Eltern heutzutage in einer multimedialen und aufgeklärten Zeit einen weitaus lockereren Um- und Zugang mit bzw. zum Thema Sexualität und Aufklärung haben als vorherige Generationen. Doch das scheint nicht zwangsläufig der Fall zu sein. Schon die Sprache kann Barrieren im Kopf offenbaren. „Es gibt immer noch Eltern, die Schwierigkeiten damit haben, Körperteile im Gespräch mit dem eigenen Kind anatomisch richtig zu benennen. Dass man zu Hause vielleicht nicht Penis sagt, ist okay. Aber das Kind muss wissen und lernen, Körperteile so zu benennen, wie sie allgemeinverständlich und -gebräuchlich heißen. Hinzu kommen oft auch kulturell bedingte, unterschiedliche Haltungen zu Sexualität – zur eigenen und zu der ihrer Kinder. An diesem Punkt ist ein kultursensibler Umgang wichtig.“ Nicht alle Erwachsenen seien so sprachfähig, wie man es sich wünsche. „Manche sind in ihrer eigenen Biografie gefangen.“

Auf Wunsch kommt die Dipl. Sozialpädagogin in Kitas, Grundschulen oder OGS-Einrichtungen und informiert zum Thema. Die Beratungsstelle befindet sich in der Gartenstraße 33 in Brilon und ist telefonisch unter 02961 2489 erreichbar. Dort gibt es auch Bücher und Infomaterial zu dem Themenkomplex. Die Beratung kann auch anonym sein.