Brilon. Christian Leiße muss Ruhetage einführen, wegen Personalnot stößt er an seine Grenzen. Warum das Problem die ganze Briloner Innenstadt betrifft.

Dass er irgendwann einen Ruhetag einlegen werde – und das in jeder seiner drei Filialen – das hätte Christian Leiße vor einiger Zeit noch nicht gedacht. Jetzt schließt er seine Geschäfte mit Herren- und Damenbekleidung einen Tag pro Woche. Willingen mittwochs, Brilon dienstags, Winterberg montags. Der Grund: Fehlendes Personal. „Dass wir keine qualifizierten Mitarbeiter mehr finden, das wird schnell zu einem großen Problem für die Innenstädte“, warnt der Briloner Gewerbevereinsvorsitzende.

„Corona war ein Brandbeschleuniger“, sagt Christian Leiße zur Personalnot

„Durch die Corona-Pandemie hat sich das Problem nur verstärkt“, sagt Christian Leiße. Er sitzt auf einer gemütlichen Bank in seiner Boutique in Willingen. Trotz strömendem Regen komme alle zehn Minuten Kunden herein, schütteln die Regentropfen aus den Haaren, schauen sich um. Christian Leiße ist heute allein im Laden. Immer wieder muss er das Interview unterbrechen und beraten. Zeigt Hosen in verschiedenen Größen, ruft in seinen anderen Filialen an um Verfügbarkeiten zu prüfen, faltet die Pullover wieder in das Regal. Zeit zum Aussprechen hat er nur wenig. Zeit zum Durchatmen kaum noch. „In Winterberg öffnen wir ja auch sonntags und ich habe im letzten Jahr irgendwann festgestellt, dass ich über 50 Tage durchgearbeitet habe. Ohne Pause. So habe ich mir das nicht vorgestellt.“

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Mitarbeiter sind in allen Branchen Mangelware

 Christian Leiße, 1. Vorsitzender von Prima Brilon (links) präsentiert hier mit dem Wirtschaftsförderer Oliver Dülme den Briloner Einkaufsgutschein. Schon seit jeher setzt sich Leiße für die Innenstadt in Brilon ein.
Christian Leiße, 1. Vorsitzender von Prima Brilon (links) präsentiert hier mit dem Wirtschaftsförderer Oliver Dülme den Briloner Einkaufsgutschein. Schon seit jeher setzt sich Leiße für die Innenstadt in Brilon ein. © BWT - Brilon Wirtschaft und Tourismus GmbH

Immer wieder seien die Schwierigkeiten, gutes Personal zu finden, belächelt worden. Allerdings: 2019 habe er noch 15 Mitarbeiter gehabt, 2023 sind es noch acht – „das teilt sich natürlich in Voll- und Teilzeitstellen. Was man aber festhalten muss: Die Aushilfen sind mir in der Pandemie weggelaufen. Corona war ein Brandbeschleuniger.“ Für Leiße ist der Personalmangel ein noch größeres Problem als etwaige Lieferschwierigkeiten. In allen Branchen seien Mitarbeiter Mangelware.

Neue Generationen legen mehr Wert auf Freizeit als vorher

„Keiner hat eine Erklärung dafür, wo die Leute hin sind“, sagt er. Er reimt sich selbst einige Gründe zusammen. „Der geburtenstarke Boomer-Jahrgang geht nun nach und nach in den Ruhestand. Viele sogar früher unter Hinnahme von Abschlägen.“ Gleichzeitig legen laut Leiße die jüngeren Berufseinsteiger – die Millennials und Generation Z – mehr Wert auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance, steigen nach Ausbildung und Studium teils nur in Teilzeit in den Beruf ein. Die Quote akademischer Ausbildungen sei außerdem „erschreckend hoch“, sagt Leiße. „Das Handwerk und andere Branchen wie der Einzelhandel haben es verpasst, attraktive Bedingungen anzubieten. Das wird erst jetzt nachgeholt. Man erkennt auch an der Ausbildungsbörse, die vor kurzem in Brilon stattgefunden hat, dass die Firmen ein großes Interesse daran haben, die jungen Menschen einzustellen. Aber viele entscheiden sich dennoch für eine akademische Laufbahn. Lehrberufe müssen wieder attraktiver werden.“

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Umdenken muss stattfinden – um die Innenstädte zu retten

Da ist Christian Leiße bei möglichen Lösungen für das Problem angekommen. „Es muss einen Paradigmenwechsel geben. Gerade hier im Sauerland sieht man doch, dass Leistungsträger nicht immer studierte Menschen sein müssen. Viele hier haben einen gut bezahlten Beruf über die klassische Ausbildung erlangt. Das muss wieder offener kommuniziert werden.“ Gleichzeitig müssen die Unternehmen und Einzelhändler attraktive Rahmenbedingungen schaffen. „Ich gebe meinen Mitarbeitern immer dann am Wochenende frei, wenn ihre Partner es auch haben. Ich komme ihnen so gut es geht entgegen.“ Er plädiert außerdem für die Arbeit im Sauerland. „Hier werden gute Gehälter bezahlt bei geringeren Lebenshaltungskosten. Ich selbst habe zehn Jahre in Großstädten gearbeitet und bin bewusst zurück ins Sauerland gegangen. Ich habe es nie bereut.“ Leiße hofft darauf, dass viele Fachkräfte im HSK anfangen, über ihre derzeitige Lebenssituation nachzudenken und sich umzuschauen. „Viele pendeln über die Stadtgrenzen, auch ins hessische. Hier gibt es aber doch auch so gute Möglichkeiten.“

Aufrechterhaltung der Innenstädte wird schwieriger

Und was ist die Konsequenz, wenn die Lösungen nicht oder nicht schnell genug greifen? Ruhetage zum Beispiel. „Es gibt Kollegen, die auf mich zukommen, und ebenfalls über Ruhetage nachdenken“, sagt Christian Leiße. Ruhetage sind eine Konsequenz, die er auch selbst nur ungern gezogen hat. Denn, machen an einem Tag alle Geschäfte für einen Ruhetag zu, ist die Stadt einen Tag pro Woche wie ausgestorben. „Das wünscht sich keiner“, sagt Leiße. Er erzählt, dass manche Gastronomen in Willingen zwei Tage geschlossen hätten – während der Krokusferien. Vor ein paar Jahren noch undenkbar, heute nicht anders möglich. Leiße: „Es ist ein strukturelles Problem für die Innenstädte und Branchen, dass die Aufrechterhaltung der belebten Innenstädte schwierig macht. Er selbst sucht gerade ebenfalls eine Modeverkäuferin oder einen Modeverkäufer. Er wirbt mit guter Bezahlung und „weiteren Extras“ auf seiner Website dafür.